Das seltene Bild stammt aus dem Jahr 1937. Es zeigt Schmuggler, die sich in Santa Maria auf den Weg machen. Von links: Peter Tappeiner vom Vorburghof in Tschengls), Mair (Vorname unbekannt) vom Schlanderser Sonnenberg, Herbst (Vorname unbekannt) aus dem Passeiertal und Hermann Blaas vom Hinterburghof in Tschengls. Letzterer hat das Foto fast dreißig Jahre lang in der Herz Jesu Tafel im Herrgottswinkel der Stube zwischen Pappkarton und Bild versteckt gehalten

Mit zentnerschweren Säcken auf Schleichwegen

Publiziert in 3 / 2005 - Erschienen am 17. Februar 2005
Im Schutze der Dunkelheit setzten sich von Santa Maria oder Müstair aus Gestalten in Bewegung, Tag für Tag, Sommer wie Winter, mit 40 Kilogramm schweren Säcken auf ihren Rücken. Zahllose Schmuggler schleppten im vergangenen Jahrhundert Tonnen von Zigaretten, Saccharin und Kaffee über die Grenze nach Südtirol. Auf abgelegenen Steigen, durch felsiges Gelände, über Schneefelder und durch Bäche zogen sie ihre nächtlichen Pfade. Kleinbauern, junge Burschen und vereinzelt sogar Frauen schlichen „schwarz“ über die Grenze, angetrieben von der Not der damaligen Zeit. Der niedere Einkaufspreis der Ware in der Schweiz ermöglichte Gewinne bei deren Verkauf in Italien. Familienväter frönten dem illegalen Treiben, um ihre zahlreichen Kinder ernähren zu könnten. Junge Burschen lernten das „Schmugglerhandwerk“, weil sie sonst keine Arbeit fanden. Immer wieder wechselten sie ihre Routen, um die Kontrollposten auf dem Grenzstreifen zu umgehen. Je extremer der gewählte Weg war, desto geringer war die Gefahr, erwischt zu werden. Viele kauften und verkauften die Ware selbst. Die meisten rackerten sich als Träger ab, im Auftrag von Geschäftsleuten aus ganz Südtirol. Diese organisierten die Schmugglertouren in großem Stil und gaben ihre Identität nicht preis. Es kursierten lediglich einige Spitznamen. Für ihre Mittelsmänner war es ein Leichtes, Leute zu verpflichten. Der Verdienst der Träger konnte sich sehen lassen. In den dreißiger Jahren gab es für einen Sack Zigaretten zu je tausend Pakete 200 Lire. Das war der Wert eines einjährigen Kalbes. In den 60er Jahren wurden 15.000 Lire bezahlt. Ein Waldarbeiter verdiente damals in acht Stunden 1.500 Lire. Für das Geld hatten Schmuggler einige Risiken zu tragen. „Mit einem Fuß im Grab, mit dem anderen im Gefängnis“, so beschreibt der 72-jährige Alfons Ortler vom „Maurhof“ bei Prad die Lage. Er schmuggelte von Mitte der fünfziger bis Mitte der sechziger Jahre und war meist in einer acht- bis zehnköpfigen Gruppe bestehend aus Pradern und Lichtenbergern unterwegs. Ihre Feinde waren nicht nur die Grenzhüter, sondern Kälte, Eis, unwegsames Gelände und Lawinen. Mehrere illegale Grenzgänger bezahlten vor allem zu Beginn des Jahrhunderts mit ihrem Leben. Väter und junge Burschen aperten oft erst im Frühjahr aus. „Ein Vetter von mir ist im Schnee ums Leben gekommen“, erzählt Alfons. „Zweimal sind auch wir unter eine Lawine geraten, am „Chavalatsch“ und auf dem „Rifairer Schartl”. Wir konnten uns zum Glück selbst befreien.“ „Taxis“ brachten die Männer oft bis zu zweimal wöchentlich nach Taufers i. M.. Dort überquerten sie die „grüne“ Grenze bei Puntweil oder über „Sommaprada“. Ihr Ziel war Sta.Maria. Beim „Corradin“ standen die gefüllten Säcke bereit. Bei anbrechender Dunkelheit machten sich die Männer in Abständen mit der schweren Last entweder in Richtung „Chavalatsch“ auf den Weg oder schlichen den Rambach entlang. Witterten sie Gefahr, wichen sie über„Sommaprada“, den „Baustadlhof“, den Schlosshof und den „Eselweg“ aus, von wo aus sie Laatsch erreichten. Die Kapelle „Cosmas und Damian“ war zeitweise eines der Zwischenlager. Die Gefahr von den „Finanzern“ erwischt zu werden, war in der Talsohle größer. Vor allem im Sommer lagen diese in ihren Schlafsäcken versteckt auf der Lauer. Mit Gewehrsalven schreckten sie so manchen Schmuggler auf. Kamen diese in Bedrängnis, warfen sie ihre Säcke ab und ergriffen die Flucht. Alfons musste seinen Sack einmal auf der Rambrücke in Rifair zurück lassen, als einziger der achtköpfigen Gruppe. Etwas sicherer vor „Finanzern“ waren die Steige über die Bergkämme, vor allem im Winter. Die meisten Grenzhüter mieden die eisigen Höhen. Deshalb wählten Schmuggler sehr oft diese Wege. Alfons und seine Begleiter wechselten ständig die Übergänge, von denen sie zwischen dem Stilfserjoch und dem Glurnser Köpfl Dutzende kannten. Nach zwölf bis dreizehn Stunden Fußmarsch versteckten sie ihre Säcke auf Stilfser oder Lichtenberger Seite im Wald und brachten sie tags darauf zu den Verladeplätzen, die ihnen genannt worden waren. Wer seinen Sack nicht über die Wegstrecke retten konnte, bekam kein Geld. Verbissen wurde bei Gefahr um jeden „Pinggel“ gekämpft. Alfons und seine Gruppe sahen sich auf der Lichtenberger Seite einmal von Finanzern umzingelt, entledigten sich ihrer Säcke und flohen. Die Ordnungskräfte gaben sich mit der „Beute“ zufrieden und zogen sich scheinbar zurück. Alfons wartete in unmittelbarer Nähe ab und behielt die Ware im Auge. Er wollte sich seinen Sack wieder zurückholen. Als er schon ganz nahe dran war, schlug vor ihm eine Gewehrkugel im Boden ein. Blitzschnell ergriff er erneut die Flucht. Der 82-jährige Bruno Spiess aus Taufers i. M. stand schon mit zehn Jahren für seinen Vater Schmiere, als dieser vom Müstair aus über „Tseschaida“ im Avingatal mit Tabak und Kaffee heimwärts zog. Es war immer an den Tagen, in denen er als Schneider in Müstair auf „Stör“ war. Bis zum „Zehnersteig“ oberhalb des Klosterhofes musste er ihm entgegen gehen und auskundschaften, ob die Luft rein war. Die Schmuggelware verkaufte der Vater an Bekannte im Ort. Schon bald begann Bruno selbst zu schmuggeln und tat sich mit Kollegen zusammen. Anfangs kauften sie noch beim „Conrad“ in Müstair Tabak in kleinen Mengen ein und handelten damit. Später verdingten sie sich als Träger oder schmuggelten auf Bestellung. Einmal wurden er und sein Begleiter dabei um zwei Säcke Kaffee betrogen. Zwei Laatscher, die die Bestellung aufgegeben hatten, zückten bei der Übergabe an der „Schaferhütte“ oberhalb von Laatsch die Pistolen und verschwanden mit den Säcken. In den Kriegsjahren versiegten die Schmugglerströme zeitweise. In den fünfziger und sechziger Jahren war Bruno erneut in Trägergruppen tätig. „Alles war bestens organisiert und lief in großem Stil und nach ausgeklügeltem Zeitplan“, erinnert er sich. Die Schmugglerwege führten meist durch das Tal. Umgeladen wurde nahe Rifair oder im Calvenwald. In Windeseile beluden die Männer die Lastwagen, die sofort wegfuhren. Nicht selten verschlossen Grenzhüter ihre Augen. War dem nicht so, wurde es brenzlig. „In einer Nacht haben sie uns einmal 400 Kilogramm Zigaretten abgenommen“, sagt Bruno. Den Trägern entging der Tageslohn, und es folgten Hausdurchsuchungen bei mehreren Verdächtigen. Zu Beginn der sechziger Jahre wurden immer mehr Schmugglergruppen im Auftrag verschiedenster Händler tätig. „Die Jungen von Taufers haben fast alle geschmuggelt“, betont Bruno. Angeheuert wurden sie von älteren einheimischen Burschen, die die Fäden zogen. Viele selbst ernannte Chefs machten das große Geld. Die einen legten es auf die hohe Kante, die anderen gaben es in Nachtlokalen oder Spielkasinos in vollen Zügen aus. Ein Anführer habe, so wird erzählt, Geldscheine im Bierkeller in Prad an eine Leine gehängt und mit dem Feuerzeug in Brand gesetzt. Neid und Rivalitäten keimten auf. Es kam so weit, dass eine Gruppe der anderen systematisch die Ware abjagte. Der Ruf „Finanzer“ genügte, um die Männer der anderen Gruppe in die Flucht zu schlagen und die Säcke an sich zu nehmen. Der „Trick“ flog auf, als wirkliche „Finanzer“ in der Nähe waren und von ihrer Schusswaffe Gebrauch machten. Es gab einen Verletzten. Durch Gewehrkugeln der Ordnungshüter kamen im Laufe der Jahrzehnte allerdings nur wenige Schmuggler zu Schaden. Den „Finanzern“ war die Ware wichtiger. Schüsse in die Luft reichten meist aus, um dieser habhaft zu werden. Sie sollte laut Bestimmungen vernichtet werden. Hinter der Kaserne brannte regelmäßig ein Feuer. Ob allerdings die gesamte beschlagnahmte Menge in Rauch aufgegangen ist, sei dahingestellt. Der wirtschaftliche Aufschwung drängte die Schmugglertätigkeit anfangs der 70er Jahre zurück. Die jungen Leute fanden Arbeit, teils diesseits, teils als Gastarbeiter jenseits der Grenze. Der steigende Kurs des Schweizer Franken und der Anstieg der Preise für Tabak, Kaffee und Saccharin beendeten die Schmuggler Epoche. Vorabdruck aus dem demnächst erscheinenden Buch WIRTSCHAFTEN IM RÄTISCHEN DREILÄNDERECK ARUNDA 66/2005
Magdalena Dietl Sapelza

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