O Reim, Reim …
„Schaug wia mei Scheibele außigeat“
Prad/Vinschgau - Der „Scheibenschlogsunnta“, der erste Sonntag in der Fastenzeit, steht in vielen Orten im Vinschgau seit jeher im Zeichen des Scheibenschlagens. Heuer fiel der „Kassunnta“ auf den 6. März. Von Vetzan bis St. Valentin a.d.H. wurden an diesem Tag auf Anhöhen, an besonderen Stellen und auf teilweise historischen Plätzen Larmstangen und Kreuze aufgestellt und angezündet sowie glühende Scheiben in die Nacht geschlagen. der Vinschger war heuer beim Scheibenschlagen auf dem Koatlacker Scheibenschlogegg in Prad mit dabei. Offizielle Nachweise gibt es zwar nicht, aber Gilbert Stillebacher, einer der leidenschaftlichsten Koatlacker Scheibenschlager, ist überzeugt, dass es sich bei diesem Ort, von dem aus weite Teile des Obervinschgaus gut einsehbar sind, um eine prähistorische Stätte handelt. Die Grundzüge des Scheibenschlagens im mittleren und oberen Vinschgau sind zwar dieselben, aber kleinere Unterschiede gibt es doch, und zwar nicht nur von Gemeinde zu Gemeinde, sondern auch von Platz zu Platz innerhalb einer Gemeinde. In der Gemeinde Prad wird der Brauch in Lichtenberg gepflegt, in Agums sowie auf dem Roßkopf (Unterdorf), am Prader Berg und in Koatlack. Während es von alters her lose Gruppen, Nachbarschaften oder Freundeskreise waren, die das Scheibenschlagen ausübten, haben in einigen Dörfern im Laufe der Zeit Vereine, wie etwa die Bauernjugend oder die Schützen, die Pflege des Brauchs übernommen. In Koatlack hält eine lose Gruppe den „Scheibenschlogsunnta“ und die damit verbundenen Bräuche hoch.
Ohne Vorbereitungen geht nichts
Zu den Besonderheiten des Scheibenschlagens auf dem Koatlacker Scheibenschlogegg gehört der Brauch, dass nicht nur eine Larmstange, sondern auch ein Kreuz aufgestellt wird. Sowohl die Larmstange als auch das Kreuz werden nicht mit Stroh, sondern mit Schilf umwunden. Geschnitten, gesammelt und gebunden werden die „Peanzgn“ schon im Vorfeld bei den Prader Gräben und beim Fischerteich Prad. Das Winden der rund 20 Meter langen Larmstange und des über 20 Meter langen Kreuzes gehört zu den wichtigsten Aufgaben am Vormittag des Scheibenschlagsonntags. Bis spätestens Punkt 12 Uhr müssen die Stange und das Kreuz stehen und vom Dorf aus einsehbar sein. Beim Aufstellen des Kreuzes mit Hilfe langer Holzstangen, der „Gabeln“, sind Muskelkraft und Geschick gleichermaßen gefragt. Zu den Vorbereitungen im Vorfeld des Scheibenschlagens gehört auch die Anfertigung der Scheiben. „Unser Scheiben sind ausschließlich aus Zirbenholz“, sagt Gilbert Stillebacher nicht ohne Stolz. Die meisten Scheiben sind rechteckig, einige werden eigens mit Ornamenten und Zeichen verziert. Bei diesen handelt es sich um die „Kassunntascheiben“.
Scheiben schlagen durften heuer nur Kinder
Aufgrund der Trockenheit und der damit einhergehenden Waldbrandgefahr mussten heuer überall besondere Vorsichtsmaßnahmen beachtet werden. In Prad war in Absprache mit der Forststation, der Gemeinde und der Freiwilligen Feuerwehr vereinbart worden, dass nur die Kinder die Scheiben schlagen konnten. Das Anzünden der Larmstangen bzw. „Hexen“ war zeitlich versetzt worden, sodass die Feuerwehr in der Lage war, überall mit dem Tankwagen vor Ort zu sein. Dass das Scheibenschlagen heuer ausnahmsweise den Kindern vorbehalten war, empfand die starke Koatlacker Scheibenschlager-Gruppe keineswegs als negativ, denn auf diese Weise konnten die Kinder verstärkt in den Brauch „hineinwachsen“. In Koatlack ist es übrigens schon seit Jahren so, dass eine Gruppe von Kindern immer ihre eigene kleine Larmstange und ihr kleines Kreuz aufstellt und anzündet. Dreinreden lassen sich die Kleinen dabei nicht. Beim Hinausschleudern der glühenden Scheiben mit den Haselruten gaben die Kinder unter der Anleitung der Großen ihr Bestes. Zum Teil mitgeholfen haben die Großen auch beim Ausrufen der traditionellen Sprüche. „O Reim, Reim … Weim weart epar dia Scheib sain?“ klang es ins Dorf oder: „Kas in dr Tosch, Wein in dr Flosch, Korn in dr Wonn, Schmolz in dr Pfonn, Pfluag in dr Eard, schaug wia mei Scheibele außigeat.“ Der uralte Brauch des Scheibenschlagens gilt als Kult, mit dem die winterliche Kälte ausgetrieben und die Sonne begrüßt werden soll. Das Anzünden der „Larmstong“ und des Kreuzes um 20 Uhr war auch heuer der Höhepunkt des Scheibenschlagens auf dem Scheibenschlogegg. „Zuntr, zuntr, trallala“ riefen dann alle, bis das Feuer erlosch. Die gemeinsame Pflege des Brauchs hat die Menschen des Dorfteils Koatlack, die Familien und die Kollegenkreise noch enger „zusammengeschmiedet.“