Theodor Harpprecht und Peter Dangl am Ortler und ein hochalpiner Fund von 1873
Publiziert in 45 / 2009 - Erschienen am 16. Dezember 2009
Sulden – Der folgende Bericht soll Hochinteressantes, aber unbekannt Gebliebenes zweier sich einst sehr nahestehender Männer vor Augen führen. Sie sind noch heute manchen ein Begriff, aber vor ca. 100 Jahren waren sie sogar sehr berühmt. Der eine, Theodor Harpprecht, wurde 1841 im Schwabenland bei Stuttgart geboren und wuchs auch dort auf, ehe es ihn als 20-Jährigen immer wieder unwiderstehlich in die Berge zog - zunächst zum Wandern, aber bald wurde daraus das, was wir heute mutigen Hochtourismus mit Führer nennen würden. Das hatte im Falle Theodor Harpprechts in den Hohen Tauern begonnen, ehe er sich ab etwa 1868 verstärkt den Ortlerbergen zuwandte. Der andere, Peter Dangi, kam 1844 in Sulden zur Welt, also schon sehr nahe den eisgekrönten Ortlergipfeln. Hier wurde er Bergführer und fiel bald durch hervorragende Leistungen auf, die aus seinen besonderen Begabungen für Ausdauer, Mut und Umsicht resultierten. Gemessen an ihren Talenten und Neigungen hatten beide Männer das Glück der Geburt in eine Zeit hinein, in der die hochtouristische Erschließung der Alpen beschleunigt in Gang kam und nicht mehr aufzuhalten war. Für ihre Jugendzeit hieß das, dass die dominante Gipfelsturmphase sich unauffällig in eine Ära der Erstbegehungen anfangs noch gemiedener zu steiler oder vereister Wände, freistehender Türme oder Rinnen wandelte.
So hatte Harpprecht in der Ortlergruppe sich zunächst die Erstbesteigung der Thurwieser Spitze zum Ziel gesetzt. Das gelang ihm zwar im Jahre 1868 auch tatsächlich, doch er sah nicht viel, denn es herrschte sehr schlechtes Wetter (Nebel). Auch war die Zeit knapp, so dass er keine Markierung einzurichten vermochte, die später das erreichte Gipfelziel belegen konnte. Und so fühlte er sich gezwungen, dieser Besteigung ein Jahr später eine zweite folgen zu lassen. Hatte ihn 1868 zuvor noch sein vertrauter Bergführer Joseph Schnell aus Kais begleitet, so war es diesmal der junge Peter Dangi, der sich dabei, wie Harpprecht selbst sagt, „als vortrefflicher Steiger und tüchtiger Führer bewährte“. Dies war der Anfang einer Bekanntschaft, aus der eine tiefere Freundschaft erwachsen sollte.
Und damit sind wir beim Kernpunkt der Dokumentation zu diesem Beitrag, dessen Erhalt im Archiv des Suldener Posthotels in erster Linie Hans Wallnöfer zu verdanken ist. Es handelt sich um die Original-Messingplakette mit dem deutlich geprägten Namen Harpprecht und einem erläuternden Kurztext wohl vom Finder, dem schon damals hochgeschätzten Bergführer Alois Tembl entworfen. Man darf vermuten, dass die Idee für das Messingtäfelchen u. a. auf die unangenehmen Erfahrungen Harpprechts mit zurückzuführen ist, denen er z. B. bei der Erstbesteigung der Thurwieser Spitze begegnete, wenn keine dauerhafte Belegmöglichkeit anderer Art vorhanden war. Nicht selten wurden Steinmandl gebaut oder Zettel in geleerte Rotweinflaschen am Gipfel hinterlegt. Demgegenüber war diese Kartenmethode, wie er sie nannte, ein viel langlebigeres Verfahren.
Die überraschende neue Entdeckung auf dem als „Hochalpiner Fund“ titulierten Dokument von 1898 ist aber die, dass das Messingschild, also die Karte des erfinderischen Theodor Harpprecht, trotz ihres Alters und der damit verbundenen Schwärzung unter der kräftigen Prägung seines Namens noch zusätzlich die bisher unerwähnte geritzte Gravur (wahrscheinlich vor Ort am Berg mit dem Taschenmesser ausgeführt) „Peter Dangl 9. Aug. 1873“ erkennen lässt. In diesem Zusammenhang seien nun heute, also noch weitere 100 Jahre später über die Erstbegehung der Harpprecht-Rinne und über beide Persönlichkeiten einige interessante Daten der gegenwärtigen Generation vor Augen gerührt. Heute ist ja die Harpprecht-Rinne am Ortler auch den modernen Kletterern ein fester Begriff. Und an ihrem oberen, etwa 300 m langen Steigungsabschnitt muss der Bergführer Alois Tembl, wie unser Dokument belegt, im Jahre 1898 die zitierte Harpprecht-Messingplakette gefunden haben, denn Harpprecht selbst schrieb dazu in seinem erst viel später ausgedruckten Bergfahrten-Buch (1928): „Nachdem wir an der Stelle, wo wir den Grat betraten, eine Karte unter einer Steinplatte verwahrt hatten, ging es weiter am östlichen Abhang des Grates hin.“ Man beachte, dass er wir sagt, was seine freundschaftliche Aufmunterung zu Peter Dangls Gravur für uns unterstreicht.
Erläuternd bemerkte er ferner noch, dass er eigentlich eine neue Besteigungsroute über das Ortler-Hochjoch beabsichtigt hatte, statt dessen aber in die später nach ihm benannte Schnee- und Eisrinne geriet, welche eine Art Abkürzung seiner geplanten Ortlerbesteigung darstellte. Und er schrieb (zitiert im gleichen Bergfahrten-Buch): „Nach einer Unterbrechung von 67 Jahren war also der Hintergrat- oder Gebhardweg zum ersten Male wieder mit Erfolg betreten...“
Doch beinahe wäre es schief gegangen, denn - wie Harpprecht eine gefährliche Szene selbst anrührt - entstand plötzlich in der Höhe ein Gepolter und Peter Dangl schrie: „Oh, jetzt kommen die Steine!“ Aber es ging noch einmal gut, weil die Dolomitbrocken durch die „Schneekehle“ in großen Sprüngen an ihnen vorbeisausten, ohne sie zu treffen. Da Peter Dangl danach von dem erschöpften Harpprecht zur „Rekognoscirung“ vorausgeschickt wurde, den Weg zu erkunden, wie man aus so schwieriger Lage doch noch den Ortlergipfel erreichen könne, hätte aus heutiger Sicht die Harpprecht-Rinne eigentlich fairerweise in der Literatur eher den Namen Harpprecht-Dangl-Rinne verdient. Theodor Harpprecht musste sich infolge eines Rückenmarkleidens schon ab 1877 aus seiner Welt der geliebten Berge zurückziehen und es begann eine achtjährige Leidenszeit, denn er starb erst 1885, wie der speziellen biographischen Literatur über ihn zu entnehmen ist. Zuvor hatte er 1869 mit der frühen Gründung und als Erster Schriftführer der Sektion Schwaben des Deutschen Alpenvereins schon Großes geleistet. Und zu seinen mutigen Besteigungen gehören in den Hohen Tauern z. B. das Große Wießbachhom von Kaprun aus im Jahre 1868, der Großvenediger 1871 sowie im gleichen Jahr die Simony-Spitze. Unser Peter Dangl (der Ältere) starb 1908. Sein Sohn (Peter Dangi, der Jüngere) wurde ebenfalls ein bekannter Bergführer und erhielt von dem Sächsischen König Friedrich August III. im Jahre 1913 als hohe Auszeichnung die Friedrich-August-Medaille in Silber. Andrea Kuntner hat dies in ihrem Buch „Die Bergführer von Sulden und Trafoi“ (2004) auf Seite 75 sogar mit Abbildung belegt. Und wir fügen hinzu, der jüngere Peter Dangl ist es, der ausgezeichnet wurde, denn er und nicht der ältere Peter Dangl war es, der den König von Sachsen 1913 von der Schaubachhütte zum Cevedale führte. Nicht unbedeutend, sondern hier sehr erwähnenswert scheint uns der Hinweis, dass es auf der Schwäbischen Alb seit 1935 auch heutzutage noch eine der Sektion Stuttgart des Deutschen Alpenvereins (vormals Schwaben) gehörende Gaststätte gibt, die den Namen „Harpprecht-Haus“ trägt. Sie befindet sich nahe der kleinen Ortschaft Schopfloch etwa auf halbem Wege zwischen Stuttgart und Ulm und liegt in einer reizvollen Gegend in etwa 800 m Höhe in der an Jurakalk-Kuppen reichen Nordwestrandzone der Schwäbischen Alb, was heißt, auch hier hat geologisch gesehen ein junger Vulkanismus im Umkreis von Urach das mesozoische Kalkgestein durchdrungen, so wie es am Ortler in der Nähe der Königsspitze fast synchron geschehen ist. Doch hier war kein Deckenbau wie in den Alpen wirksam geworden, so dass die jurassischen Kalke der Alb uns noch immer prächtige Fossilien finden lassen. Auch sind die vulkanischen Gesteine hier vor etwa 20 Millionen Jahren aufgedrungen und damit kaum halb so alt wie die alpinen. Heute, mehr als weitere 100 Jahre nach der ersten Aufzeichnung des damals erst 25 Jahre alten Fundes aus dem „ewigen Eis“, muss es uns erst recht berühren, zu welchen Leistungen die Bergsteiger der Vergangenheit damals schon fähig waren, zumal sie viel längere Anmarschrouten zu bewältigen hatten, als wir mit unseren Biwak- und Hüttensystemen und bei einer viel massiveren Eiskruste im Niveau der Gletscher. Von „ewigem Eis“, wie im historischen Dokument noch 1898 hervorgehoben, wagen wir heute nach der jahrzehntelangen und nicht enden wollenden Klimaerwärmung nicht mehr zu sprechen.