Die Schuttmassen aus dem Plawenntal bilden den größten Schuttkegel Europas. Sie stauen den Haider See, umrahmen das Dorf Burgeis und reichen bis nach Glurns.

Vinschgauer Murkegel

Publiziert in 1 / 2004 - Erschienen am 14. Januar 2004
Neben den vielen bereits bekannten Besonderheiten wie Sonnenberg, König Ortler, Golden Delicious, Messners Juval oder der im Reschenstausee stehende Altgrauner Kirchturm gibt es eine weitere, die vor allem Geographen immer wieder in den Vinschgau kommen lässt: Es handelt sich um die zahlreichen großen und kleinen Murkegel, welche das Tal von der Malser Haide bis hinunter nach Partschins in flache und steile Abschnitte gliedern. Die Murkegel sind nicht nur eine herausragende Landschaftsform, sondern sie werden vor allem von den Bauern sehr geschätzt. Auch wenn es gelegentlich, wie im November 2002, in Naturns zu Vermurungen kommt, überzeugt die Fruchtbarkeit dieser Lagen. Früher gedieh dort vorzügliches Korn, heute bringt es dort der Golden Delicious zu Ruhm. Es ist gewiss, dass sich die Murkegel erst am Ende und nach der letzten großen Eiszeit formten. Der riesige, eiszeitliche Talgletscher hatte einerseits damals vorhandenen Schutt aus dem Vinschgau geschürft, andererseits füllte er im Vorbeifließen seitliche Hohlformen wie Kessel und Mulden mit Moränenschutt auf. Nachdem sich die Gletscher vor rund 14000 bis 12000 Jahren ins Hochgebirge zurück gezogen hatten, waren die Hänge des Haupttales übersteil und das darauf abgelagerte Moränenmaterial noch unbefestigt. Dieses stürzte alsbald bei starken Niederschlägen in Form von Muren zu Tal. Aber nicht nur der vom Eiszeitgletscher abgelagerte Schutt kam in Bewegung, ebenso kam eine geologische Besonderheit zum Tragen: Die Gesteine links und rechts des Haupttales sind von Haus aus stark zerrüttet und zudem leicht verwitterbar. Dieser Verwitterungsschutt, der sich auch heute noch laufend neu bildet, wurde regelmäßig mobilisiert. Moränen- und Verwitterungsschutt bauten über Jahrtausende, herauf bis in unsere Tage die Murkegel auf. So sammelten sich auf der Malser Haide – dem größten Murkegel des Vinschgaus und damit wohl auch der Alpen – rund 1550 Millionen Kubikmeter Material an. Allerdings sind diese Massenprozesse nicht immer in gleicher Heftigkeit abgelaufen: es gab Zeiten, wo die Murtätigkeit enorm war und es gab Zeiten, wo sie gering war. Muren befördern neben Gesteinsmaterial auch Holz, welches am Murkegel deponiert und von nachfolgenden Muren verschüttet wird. Manchmal treten heute bei Grabungen gut konservierte Baumstämme zu Tage. Sie sind Zeugen jahrtausendelanger Murtätigkeit, weil ihr Absterbedatum mittels Radiokarbonmethode oder Dendrochronologie ermittelt werden kann. So konnte für den 1350 Millionen Kubikmeter großen Schuttkegel des Gadriàbaches anhand einer in 40 Meter Tiefe verschütteten Föhre nachgewiesen werden, dass sich zwei Drittel des Kegelvolumens in der Zeit vom Ende der Eiszeit bis 8000 vor heute anhäuften. Untersuchungen an einer bei Aushubarbeiten für den Erweiterungsbau der Naturnser Obstgenossenschaft von Rudolf Höller und Heini Koch geborgenen Fichte ergaben, dass sich am Tablander Murkegel in den letzten 2500 Jahren sieben Meter Murschutt ablagerten. Es lässt sich daher verallgemeinernd feststellen, dass die Murtätigkeit kurz nach dem Ende der Eiszeit am stärksten war und anschließend bis herauf in unsere Tage zurückging. Heute befinden wir uns in einer Phase der relativen Stabilität: Zum Einen sind die ehemals riesigen Schuttreservoire der mittleren und höheren Hanglagen erschöpft, das meiste Material liegt bereits herunten auf den Murkegeln; zum Anderen fixieren Bäume und Sträucher, Gräser und Kräuter mit ihren Wurzeln das noch vorhandene Lockermaterial und geben im Verhältnis zu früher nur noch tröpfchenweise Murschutt frei. Kommt es heutzutage dennoch zu einem Murgang, wird dieser im dicht besiedelten und intensiv genutzten Tal von seinen Bewohnern besonders stark wahrgenommen. Hanspeter Staffler

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