Die Kapelle beim Roten Schloss in Latsch unmittelbar neben der Hauptstraße.
Alljährlich am Pfingstmontag präsentiert sich die Annakapelle festlich geschmückt.

Wenn die Annakapelle öffnet 

Publiziert in 10 / 2025 - Erschienen am 20. Mai 2025

Latsch - Ein feierlicher Zug mit „Himmel“, Monstranz, Kirchenchor und betenden Gläubigen bewegt sich alljährlich am Pfingstmontag durch Latsch: die Flurprozession, die von der Pfarrkirche zur barocken Annakapelle beim Roten Schloss führt. Dieses gelebte Glaubenszeugnis reicht weit in die Geschichte zurück – ebenso wie die kleine, kunstvolle Kapelle selbst. Die barocke Annakapelle wurde um 1710 von den Herren von Kleinhans in Auftrag gegeben und vom Trentiner Baumeister Franz Dellai geplant und erbaut. Geweiht ist sie der heiligen Anna, der Mutter Marias. Stilistisch handelt es sich bei dieser Kapelle um eine nicht typische Tiroler Kapelle. Besonders ausdrucksstark ist die „Wessobrunner Madonna im Rosenkranz“, die über dem Portal thront. Sie stammt vom Bildhauer Gregor Schwenzengast. Die Kapelle und das angrenzende Rote Schloss befinden sich seit 1872 im Besitz der Familie Schuler. „Wir sagen immer noch Plimaprozession“, erzählt Heinrich Schuler. Früher ging’s nämlich von der Pfarrkirche bis zur Plimabrücke in Richtung Goldrain. Bei der Annakapelle wurde das erste Evangelium verkündet. Insgesamt vier Evangelienstationen prägen heute die Prozession: nach der heiligen Messe in der Pfarrkirche folgt das erste Evangelium bei der Annakapelle, das zweite beim Bildstöckl in Richtung Plafad, dann das dritte beim Rückweg am Bildstöckl in der Jaufengasse und schließlich das vierte Evangelium in der Pfarrkirche selbst. „Früher ging es die Hauptstraße entlang“, erinnert sich Schuler. Vermutlich wegen des Verkehrs sei der Weg dann abgekürzt worden. Die heutige Route ist kürzer, aber nicht minder symbolträchtig. Der Beginn war früher immer um 8:30 Uhr, nach der heiligen Messe um 8 Uhr. „Letztes Jahr war’s abends – so konnt’ ich zum ersten Mal nach Trafoi fahren, um an der Wallfahrt zu den hl. Drei Brunnen teilzunehmen“, erzählt Schuler.

Kunstvolle Fresken 

Die Annakapelle öffnet nur an diesem einen Tag im Jahr ihre Türen. In ihrem Inneren überrascht sie mit kunstvollen Fresken, die unter anderem eine Stadtlandschaft zeigen, bei der es sich um Jerusalem handeln dürfte. Ein besonderes Stück ist der sogenannte Pestherrgott, ein barockes Kruzifix, das laut Experten möglicherweise aus Spanien stammt. Seine Herkunft bleibt aber ein Rätsel, das die Kapelle noch geheimnisvoller erscheinen lässt. Mit der Flurprozession vereint sich am Pfingstmontag in Latsch liturgische Feier, Volksglaube, gelebte Geschichte und stille Kunstbetrachtung. Interessierte können sich auch heuer am 9. Juni selbst ein Bild davon machen. Die heilige Messe beginnt wieder um 19 Uhr, danach steht die Prozession auf dem Programm. 

Michael Andres
Michael Andres
Vinschger Sonderausgabe

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