Wo Tirol eng und ein kulturhistorischer Glücksfall ist
Publiziert in 27 / 2010 - Erschienen am 14. Juli 2010
Nauders – In Altfinstermünz wurde am 24. Juni wie vor 1.000 Jahren Kalk gebrannt, Steine wurden zu Farbstoffen gemahlen, es wurde romanisch und gotisch gemauert, Besucher gingen ein und aus, Schulklassen wurden geführt, Kinder konnten Fresken malen, Denkmalpfleger und Universitätsprofessoren diskutierten. Altfinstermünz war an diesem Tag alles gleichzeitig. Die Grenzfestung und Zollburg war Fortbildungsort und Ausbildungsstätte, Ausflugsziel und Museum. Die als schönste und am besten erhalten bezeichnete Zollfestung Österreichs war mit dem Inn-Übergang Jahrhunderte lang ein wirtschaftliches Nadelöhr zwischen Nord und Süd. An jenem umtriebigen Donnerstag war sie aber der internationale Nabel der österreichischen Bauforschung und Denkmalpflege. Der „Seele“ des Vereines Altfinstermünz, Hermann Klapeer, dem stellvertretenden Landeskonservator für Tirol, Walter Hauser, und dem Leiter von regio L (Regionalmanagement für den Bezirk Landeck), Gerald Jochum, war es gelungen, die mustergültig restaurierte Festung in den Mittelpunkt eines Netzwerkes zu stellen. In der Innschlucht gaben sich die „Restaurierungswerkstätten Baudenkmalpflege Mauerbach des Bundesdenkmalamtes“ unter Astrid Huber und Oberflächenrestaurator Hannes Weissenbach, die Salzburger „Pigmentmühle“ von Stefan Enzinger, die „Schule für Dorf und Landentwicklung Tierhaupten“ in Bayern, die „Abteilung Dorferneuerung-Land Tirol“ mit Stefan Schöpf und das „Institut für Mineralogie und Petrographie“ der Universität Innsbruck mit Ingenieurin Anja Diekamp ein Stelldichein.
Im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit an diesem Donnerstag standen aber ein Maurerseminar und das historische Kalkbrennen. Gäste des Asylantenheimes in Landeck hatten Nachtwache geschoben, um über mehrere Tage und Nächte den Kalkofen zu beheizen. Dass es in Altfinstermünz nicht nur ein Schaubrennen war, erklärte die Universitätsdozentin Anja Diekamp: „Neben gewöhnlichen Kalksteinen wird versuchsweise Dolomit gebrannt, um endlich dem außergewöhnlichen Erhaltungszustand vieler historischer Putze und Mörtel in Tirol und Südtirol auf den Grund gehen zu können. Ich selber habe seit 2003 an 26 Objekten über 300 Proben entnommen - Finstermünz war das erste - und an zwei Dritteln dieser Proben aus dem Einzugsgebiet des historischen Tirols immer Dolomitkalk festgestellt.“
Während Hannes Weissenbach auf die Betriebstemperatur im Ofen von 900 bis 1.000 Grad einging, führten Hermann Klapeer, der Altbürgermeister von Nauders, und Robert Klien, der ehemalige Schulinspektor, eine Schulklasse nach der anderen über die Innbrücke, durch die Festung und den Felsengang zur Marien-Kapelle. Dazwischen wurden Steine herangekarrt und im Hintergrund eine Mörtelmischmaschine betrieben. Bruno Schuchter vom Projekt für Langzeitarbeitslose „Naturwerkstatt Tirol“ erklärte Maurern aus verschiedenen Bundesländern, warum die Kollegen der Romanik und Gotik fortlaufend die Gerüstbalken mit eingemauert hatten. Denkmalpfleger Walter Hauser brachte die Medienvertreter zum Schmunzeln, als er meinte: „Die Tiroler waren Weltmeister bei der Fassadengestaltung. Sie konnten 500 Jahre Garantie geben. Wer kann das schon?“
Günther Schöpf