Psychologe Martin Niederstätter

Burnout im Alltag

Was kann man tun, wenn die Akkus leer sind? Ein Gespräch mit dem Psychologen und Bildungswissenschaftler Martin Niederstätter.

Publiziert in 21 / 2025 - Erschienen am 18. November 2025

Vinschgau/Lana - Der Wecker klingelt, Sie sind schon müde, bevor der Tag überhaupt begonnen hat. Die To-do-Liste im Kopf läuft bereits ab: Kinder wecken, Mails beantworten, Termine koordinieren. Am Ende des Tages bleibt das Gefühl, alles geschafft zu haben – und trotzdem völlig leer zu sein. „Warum bin ich so erschöpft, obwohl ich doch alles erledige?“, fragen sich viele Menschen. Experten sprechen in solchen Fällen von Burnout – einer chronischen Erschöpfung, die das Leben auf allen Ebenen beeinträchtigen kann. der Vinschger hat über dieses Thema mit dem Experten Martin Niederstätter gesprochen. Zum Kreis der Menschen, die der Psychologe und Bildungswissenschaftler in Lana betreut und begleitet, gehören auch Vinschgerinnen und Vinschger.  

der Vinschger: Herr Niederstätter, was genau passiert bei einem Burnout?


Martin Niederstätter: Burnout ist ein Zustand tiefer, anhaltender Erschöpfung – körperlich, emotional und geistig. Menschen, die davon betroffen sind, fühlen sich ausgelaugt, demotiviert und entfremdet von ihrer Arbeit oder ihrem Alltag. Häufig kommen Schlafprobleme, Konzentrationsschwierigkeiten oder das Gefühl hinzu, alles sei sinnlos geworden. Burnout entsteht nicht über Nacht, sondern ist das Ergebnis einer langen Phase dauerhafter Überforderung.

Manche sagen, Burnout sei nur ein Modewort oder eine Erfindung. Was entgegnen Sie solchen Aussagen?

Das ist ein weit verbreitetes Missverständnis. Burnout ist keine Modeerscheinung, sondern ein medizinisch und psychologisch anerkanntes Phänomen. Zwar wird der Begriff manchmal populär verwendet, aber die typischen Symptome – emotionale Erschöpfung, das Gefühl der inneren Distanzierung und der Leistungsabfall – sind real und messbar. Wer sie ignoriert, riskiert ernsthafte gesundheitliche Folgen.

Warum erleben heute so viele Menschen dieses Gefühl des Ausgebranntseins?

Unsere Gesellschaft hat sich stark verändert. Wir leben in einer Zeit permanenter Erreichbarkeit, hoher Erwartungen und Selbstoptimierung. Arbeit, Familie, Freizeit – alles soll perfekt laufen. Viele Menschen geraten dadurch in einen Zustand ständiger Anspannung. Hinzu kommt, dass die Grenzen zwischen Beruf und Privatleben verschwimmen. Homeoffice zum Beispiel kann zwar Freiheit geben, bedeutet aber oft, dass die Erholung zu kurz kommt. Auch soziale Medien tragen dazu bei: Der subtile Druck, immer aktiv, produktiv und erfolgreich zu wirken, erschöpft uns langfristig.

Gibt es Menschen, die besonders gefährdet sind?

Grundsätzlich kann jeder betroffen sein. Besonders gefährdet sind Menschen, die hohe Ansprüche an sich selbst stellen, Perfektion anstreben oder schwer „Nein“ sagen können. Aber auch Menschen in sozialen, medizinischen oder pädagogischen Berufen sind oft betroffen, weil sie viel geben und selten an sich selbst denken. Entscheidend ist die Balance zwischen Einsatz und Erholung – und die fehlt heute vielen.

Woran erkennt man, dass man selbst auf dem Weg in ein Burnout geraten könnte?

Es gibt einige typische Warnsignale. Dazu gehören ständige Müdigkeit, Gereiztheit, Schlafprobleme oder das Gefühl, den Alltag nur noch zu „funktionieren“. Auch körperliche Symptome wie Kopf- oder Rückenschmerzen können ein Hinweis sein. Viele merken, dass Dinge, die früher Freude gemacht haben, plötzlich gleichgültig werden. Wenn man sich immer häufiger leer und überfordert fühlt, sollte man das ernst nehmen – das ist kein Zeichen von Schwäche, sondern ein Warnsignal des Körpers.

Was können Betroffene tun, wenn sie merken, dass sie sich erschöpft fühlen?

Der wichtigste Schritt ist, anzuhalten und ehrlich auf sich selbst zu schauen. Viele verdrängen ihre Erschöpfung, weil sie glauben, „noch durchhalten zu müssen“. Besser ist es, frühzeitig gegenzusteuern: feste Pausen einplanen, ausreichend schlafen, regelmäßig Bewegung und bewusste Auszeiten einbauen. Auch soziale Kontakte sind entscheidend – Gespräche mit Freunden oder Familie helfen, Distanz zu gewinnen. Wenn die Symptome bleiben, sollte man professionelle Hilfe suchen.

Was können Arbeitgeber und die Gesellschaft insgesamt tun, um Burnout vorzubeugen?

Unternehmen sollten eine Kultur fördern, in der Gesundheit und Erholung denselben Stellenwert haben wie Leistung. Das bedeutet: realistische Erwartungen, faire Arbeitszeiten, Wertschätzung und offene Kommunikation. Davon profitieren am Ende auch die Betriebe selbst – denn wer sich wohlfühlt, bleibt motiviert und leistungsfähig. Viele Unternehmen haben das bereits erkannt und setzen zunehmend auf präventive Maßnahmen. Gleichzeitig müssen wir als Gesellschaft verstehen, dass Erschöpfung kein persönliches Versagen ist. Psychische Gesundheit geht uns alle an – sie ist eine gemeinsame Verantwortung.

Ihr wichtigster Rat?

Nehmen Sie Ihr Wohlbefinden ernst. Niemand kann dauerhaft leisten, ohne sich zu erholen. Lernen Sie, Grenzen zu setzen – und vor allem, Pausen nicht als Schwäche, sondern als Stärke zu sehen. Denn nur wer sich selbst gut behandelt, kann auf Dauer auch für andere da sein.

Redaktion

Diese Seite verwendet Cookies für funktionale und analytische Zwecke. Lesen Sie unsere Cookie-Richtlinien für weitere Informationen. Durch die Nutzung dieser Website erklären Sie sich damit einverstanden.