Kannst du mir bitte ...

Publiziert in 7 / 2023 - Erschienen am 12. April 2023

Wo geht’s hier zum Bahnhof? Wo bekomme ich um diese Zeit noch etwas zu essen? Wie weit ist es bis zur nächsten Tankstelle? Es ist bequem, ein Gerät bei sich zu haben, das auf alles eine Antwort weiß. Früher war es so, dass man Leute auf der Straße anhauen musste. Sofern jemand anzutreffen war. Meistens hatte man Glück. „Wissen Sie, wo …?“ Die Frage ist noch nicht beendet und schon kommt die Antwort: „Nein, ich bin nicht von hier.“ Heutzutage braucht man nicht mehr nach Leuten Ausschau zu halten, um Antworten zu bekommen. Heute führen fast alle die „ganze Welt“ mit sich: im Hosensack, in der Handtasche, im Anzugrock, in der Hand. Heißt das Ding vielleicht deshalb Handy? Handy ist das englische Wort für „handlich“. Handlich sind die Dinger allemal. Sofern die Batterie geladen ist und der Empfang stimmt. Und da sein muss es natürlich auch, das Wunderding. Wird es vergessen, liegen gelassen oder gestohlen, schauen wir ganz schön verloren aus der Wäsche. Wir sind gelähmt und blockiert. Wir haben Angst, dass uns die Luft ausgeht. Am Morgen hat mich das Ding noch gefragt, was ich mache. Es ermunterte mich, etwa Neues zu posten und dies und jenes zu kaufen: Nimm 2, zahl 3. Und jetzt stehe ich einsam und verlassen da. Nicht einmal einen Freund kann ich anrufen. Seine Nummer habe ich Gott sei Dank im Kopf. Also kratze ich allen Mut zusammen und haue einen Unbekannten auf der Straße an: Kannst du mir bitte kurz dein Handy leihen?

Josef Laner
Josef Laner
Vinschger Sonderausgabe

Diese Seite verwendet Cookies für funktionale und analytische Zwecke. Lesen Sie unsere Cookie-Richtlinien für weitere Informationen. Durch die Nutzung dieser Website erklären Sie sich damit einverstanden.