Künstliche Irrwege
Er ist online. So wie jeden Abend nach getaner Arbeit. Er schreibt mit seiner Traumfrau. Man versteht sich blind. Sie weiß, wie er sich fühlt. Was ihn sehnt. Was er politisch denkt, welchen Zorn er gegen die aktuelle Politik hegt. Sie kennt seine Träume, die zerplatzten, die zukünftigen. Sie weiß, wie missverstanden er sich manchmal fühlt. Der Streit mit Freunden, die Probleme bei der Arbeit, der Kummer aufgrund familiärer Sorgen: mit ihr kann er darüber sprechen. Besser als mit den engsten Freunden. Ein Videocall, noch mehr Vertrautheit. Es ist kein Traum, sondern Realität. Und dennoch: Ein Treffen kommt nicht so schnell zustande. Egal. Er ist glücklich. Und sie auch. Er sieht das. In ihren Augen, in ihrem Lächeln – und erkennt es daran, wie sie mit ihm spricht. Hie und da kann man dann auch mal Geld überweisen. Skepsis. Aber sie ist doch so real. Die kritischen Stimmen in seinem Kopf vernachlässigt er. Obwohl er es eigentlich schon längst weiß. Egal. Er schaltet immer wieder ein. Den Computer, das Tablet, das Smartphone. Sie wartet. In den Messenger-Diensten, in den sozialen Netzwerken, bei Videokonferenzen und ganz klassisch am Telefonhörer. Sie weiß, was er braucht. Und sie ist schön. Und vor allem intelligent. Nur halt künstlich.