St. Prokulus Ein Glücksfall nicht nur für Naturns
Seit 1987 betreuen und führen Maria und Heini Koch Tausende von Touristen in St. Prokulus. Ein einfallsreicher Naturnser hat ihnen den Titel “Prokuluswächter” verliehen.

Ein ungelöster Fall wird zum Glücksfall

Publiziert in 17 / 2012 - Erschienen am 3. Mai 2012
Seit 100 Jahren geben Kirchenbau und Malereien in der Prokulus-Kirche der Fachwelt Rätsel auf. 2012 wollen die Naturnser nicht nur forschen, sondern feiern und einfach stolz sein. von Günther Schöpf Die Gelegenheit zu feiern war günstig: Vor 100 Jahren war man auf die frühmittelalterlichen Fresken in St. Prokulus gestoßen. Seit 100 Jahren empfiehlt jeder seriöse Reise- oder Kunstführer einen Besuch von Naturns und St. Prokulus mit den einzigartigen Fresken. Seit 100 Jahren zerbrechen sich Kunst- und Frühgeschichtler, Anthropologen und Archäologen die Köpfe, wann und warum diese Kostbarkeit in der kleinen Eigenkirche eines tüchtigen Bajuwaren oder eines vermögenden Alpenromanen ausgerechnet an der Grenze des langobardisch-fränkischen Einflussbereiches entstehen konnte. Es dauerte von 1912 bis 1923, bis man über die Malerei des 15., des 14. und des 12. Jahrhunderts in die vorkarolingische Zeit vorstieß und es dauerte 90 Jahre, bis der Sterzinger Archäologe Hans Nothdurfter anhand von Gräbern und Beifunden zu der heute anerkannten Datierung von 650 nach Christus kam. Doch die Entdeckung war schon vor 100 Jahren als Sensation empfunden worden. Naturns rühmt sich seither der ältesten Fresken im deutschen Sprachraum. Seit damals begann St. Prokulus Kreise zu ziehen und Abhandlungen über die Kirche in Naturns Bücherregale zu füllen. Nicht nur in den Schreibstuben der Universitäten wurde analysiert und interpretiert. Zahlenmystiker traten auf den Plan. Nach und nach wurde der unbekannte Maler „rehabilitiert“. Aus dem „groben Handwerker“ der Frühzeit wurde ein versierter, theologisch gebildeter und weit gereister Maler. „Es geht ja um die Botschaft und nicht um die Form“, wird der „Prokuluswächter“ Heini Koch seinen vielen Besuchern erzählen. Er und seine Frau Maria trugen und tragen seit 30 Jahren mit Begeisterung und Leidenschaft dazu bei, dass die Gemeinde Naturns nicht nur das Identifikationspotential von St. Prokulus wahrnahm und -nimmt, sondern sich auch der touristischen Attraktion bewusst wurde. Hatte man 1923 den rührigen Kulturförderer August Kleeberg von Hochnaturns angefeindet, weil er „die heidnischen Kühe in die Kirche und den Heiligen auf die Schaukel brachte“, entdecken seit 1991 zunehmend Werbestrategen und Tourismusmanager die „expressive Malerei von Sankt Prokulus“, die einmalig blieb und für die es keine Vorbilder gibt. „Es ist wohl besser, wenn die Kirche nicht alles preisgibt“ (Waltraud Kofler Engl) Die Direktorin im Amt für Bau- und Kunstdenkmäler, Waltraud Kofler Engl gestaltete den wissenschaftlichen Hintergrund der Jubiläumsveranstaltung „Prokulus 12“, die bis zum Patrozinium am 9. Dezember 11 Veranstaltungen und Maßnahmen vorsieht. Kofler Engl war zusammen mit Dekan Rudolf Hilpold als Vertreter der besitzenden Kurie, mit Bürgermeister Andreas Heidegger, Kulturreferent Valentin Stocker, den Referenten Margot Svaldi und Barbara Pratzner, mit Friedl Ganthaler, Obmann des Kulturvereins St. Prokulus, mit der „Wächterfamilie“ Maria, Heini und Christoph Koch, mit den Kulturmanagern Konrad ­Laimer und Johannes Haller, mit der Leiterin des Prokulus-Museums, Karin Lamprecht, mit dem Naturnser Historiker und Universitätsdozenten Helmut Gritsch und mit Tourismusdirektor Ewald Brunner Gast der Familie Franz, Giuseppina und Roland Gurschler auf Burg Hochnaturns. Was als Informationsveranstaltung für die lokale Presse gedacht war, wurde für fast alle ­Naturnser zur Entdeckung einer neuen Identifikationsquelle ihrer Gemeinde. Für die meisten zum ersten Mal öffneten sich die Burgtore. Zum ersten Mal fand eine Pressekonferenz in der „beispielhaft erhaltenen und eingerichteten Burg“ (Bürgermeister Heidegger) statt. Entsprechend stolz berichtete Burgherr Franz Gurschler von einem seiner Vorgänger auf Hochnaturns, von August Kleeberg, der zwischen 1923 und 1958 maßgeblich dafür gesorgt hatte, dass die kunsthistorische Sensation „Fresken in St. Prokulus“ freigelegt, restauriert, publiziert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. Maria und Heini Koch hatten dazu eine „Parallelausstellung“ über Leben und Wirken des August Kleeberg zusammengestellt. Veröffentlichungen aus dem Jahre 1924 befanden sich in der Sammlung, dazu frühe Ansichten von St. Prokulus und als besondere Kostbarkeit der Briefwechsel Kleebergs mit einem Naturnser in den Vereinigten Staaten. Darin ersuchte der Schlossherr auf Hochnaturns um Namen von wohlhabenden Amerikanern, denen er die Mitgliedschaft in der „Bruderschaft St. Prokulus“ schmackhaft machen wollte. Die Ziele der Bruderschaft hat sich mehr oder weniger derzeit der Kulturverein St. Prokulus in seine Statuten geschrieben. Dunkle Wolken über Prokulus Die Nachricht alarmierte. Ausgerechnet zur Eröffnung des neuen Prokulus-Museums geisterte sie durch den Blätterwald, krampfhaft unterdrückt von den Betroffenen. Die Wandmalereien seien höchstens in das 10. Jahrhundert zu datieren, glaubte der Historiker Walter Landi festgestellt zu haben. Am Anspruch, die ältesten Fresken im deutschen Sprachraum aufzuweisen, war gerüttelt. Die Feststellung wurde in ein Sammelwerk anerkannter Wissenschaftler aufgenommen und hatte zur Folge, dass man sich an mehreren Fronten rührte und der Sache auf den Grund ging. Zwischen 2007 und 2011 wurde dann der Nachweis erbracht, dass es keinen Vorgängerbau gegeben hatte, dass Apsis und Schiff eine Baueinhei. Wenn der Kirchenbau um 650 errichtet worden ist, kann er nicht über Jahrhunderte unausgemalt geblieben sein. Außerdem hätte man Staubspuren zwischen Putz und Malerei finden müssen. Der Naturnser Historiker in Innsbruck, Helmut Gritsch, hat es in seiner „Entdeckungsgeschichte“ bestätigt und Amtsdirektorin Waltraud Kofler Engl mit ihrem Vortrag im Rittersaal von Hochnaturns belegt und bekräftigt: In St. Prokulus befinden sich die ältesten Fresken des deutschen Sprachraums. Man war erleichtert und ging gestärkt an die Vorbereitung des Jubiläums heran. In 11 Veranstaltungen will man den Veroneser Heiligen wieder zum Thema machen. Der Kreativität – erkennbar an der Handschrift von Konrad Laimer und an den Einfällen von Johannes Haller (Bunkermuseum Moos in Passeier) – waren keine Grenzen gesteckt. Den Auftakt machte die Einladung von Koordinator Valentin Stocker zum „Aperitiv al Fresko“, untermalt von den Liedern der Familie Norma, Michael und Monika Schaller. „Prokulus ist weit mehr als eine frühmittelalterliche Freskosammlung“ (Waltraud Kofler Engl) Nach der Eröffnung der Ausstellung Prokulus 12 im Museum folgt am 11. Mai eine Projektion an die Außenmauer der Raiffeisenkasse und weitere Ausstellungen mit Grafiken und Postkarten. Am 10. Juni folgt die Ausstellung „Menschen bei Prokulus“. Im selben Monat, am 23., wird im Bürger- und Rathaus eine Sonderausgabe der Kulturzeitschrift Schlern vorgestellt. Im Juli findet der Workshop „Kulturgeschichte aus dem Kochtopf“ statt. Unter „Nocturnum-Begegnungen an der Via Claudia Augusta“ muss man sich ab 4. August eine Ausstellung im Postgebäude vorstellen. Ein weiteres „Nocturnum“ weist auf die Begegnung zweier Goldschmiedeschulen am 20. Oktober hin. Begleitend dazu sind Lesungen, Vorträge und Führungen im Posthaus, im Museum und auf der Wiese beim Kirchlein zu erwarten. Im September wird die „Prokulus 12 Tonmusik“ zu hören sein und ein Kalenderprojekt zwischen Schulen und Raiffeisen­kasse wird das Jubiläum abschließen.
Günther Schöpf
Günther Schöpf

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