„Ein wenig Anerkennung, mehr wollen wir doch gar nicht!“
Publiziert in 27 / 2011 - Erschienen am 13. Juli 2011
Der Europäische Rat hat 2011 offiziell zum „Jahr des Ehrenamtes“ erklärt. „Der Vinschger“ hat aus diesem Anlass ein Interview mit Edmund Gurschler, dem Sektionsleiter, und Alexander Peer, Ausschussmitglied für Öffentlichkeitsarbeit der Sektion Schlanders des Weißen Kreuzes geführt. Diese beiden Ehrenamtlichen stehen stellvertretend für viele, die einen großen Beitrag zur Lebensqualität in unserer Gesellschaft leisten. Unentgeltlich und aus Überzeugung.
von Andrea Perger
„Der Vinschger“: Ihr seid beide schon über 10 Jahre im Verein. Was ist die Motivation, sich ehrenamtlich zu engagieren?
Edmund Gurschler: Ich habe als Sektionsleiter mit vielen im Verein gesprochen und sie nach der Motivation gefragt. Meine ganz persönliche Motivation ist, neben dem Aspekt anderen Menschen zu helfen, vor allem die Freundschaften, die man im Verein hat. Und das gilt für die meisten, das ist ein Hauptgrund. Aber auch um mich in Erster Hilfe fit zu machen, wenn in meinem persönlichen Umfeld etwas passiert und es ist Fakt, die meisten Notfälle passieren in der privaten Umgebung, da kommt uns unsere solide Ausbildung zugute. Aber es kommt vor, dass einige zur Tür rein kommen und sagen: So, ich möchte jetzt zum Weißen Kreuz, denn ich möchte was für die Allgemeinheit leisten und anderen helfen.
Alexander Peer: Das ist wahrscheinlich der Anfangsgedanke, wenn man beitritt, anderen zu helfen. Wenn man dann etwas länger dabei ist, dann entwickeln sich natürlich Freundschaften, Kontakte. Das trägt dann langfristig. Wir machen Ausflüge, wir unternehmen allerhand, wir haben hier oft eine Mords-Hetz. Wir versuchen es schon sehr angenehm für unsere Freiwilligen zu machen, das ist wahrscheinlich in allen Vereinen so.
Was nehmt ihr von eurer Zeit beim Verein mit?
Edmund Gurschler: Oh, das ist jede Menge. Da braucht man nur schauen, was im Arbeitsleben gefordert wird: Teamfähigkeit, Konfliktfähigkeit, Kommunikationsfähigkeit usw., wie könnte man Teamfähigkeit und andere soziale Fähigkeiten besser lernen, als in einem Verein. Ich habe von meiner ehrenamtlichen Tätigkeit und den Schulungen unglaublich viel profitiert. Und die Kenntnisse in Erster Hilfe, wenn das keine Bereicherung ist. Oder auch das erlebte Team, die Kameradschaft, die gegenseitige Unterstützung.
Ich sehe auch vieles nicht mehr als selbstverständlich: Das Leben, die Gesundheit, das alles lernt man wieder mehr zu schätzen.
Alexander Peer: Ich teile das vollkommen, vor allem der letzte Punkt ist für mich der Wichtigste.
Jahr des Ehrenamtes, wie ist die Lage in eurem Verein?
Alexander Peer: Es ist leider Gottes so, dass die Zahl der Freiwilligen seit einiger Zeit rückläufig ist, das ist kein gutes Zeichen. Im Durchschnitt sind die Leute auch nur mehr etwa 5 Jahre im Verein. Es ist vielleicht auch wegen der Zeit. Denn es ist zeitaufwendig, da darf man kein Blatt vor den Mund nehmen, das ist in allen Vereinen so und bei uns halt speziell: Ausbildung, Übungen, Dienste, mindestens vier Mal im Jahr Fortbildungen, denn die Notfallmedizin entwickelt sich ständig weiter, … und wenn wir nicht die hätten, die auch 5 bis 8 Mal im Monat Dienst machen, dann müssten wir den gesamten Dienst mit festangestellten Mitarbeitern decken und dies wäre finanziell nicht tragbar. Jetzt ist wichtig, dass wir neue Leute dazubekommen.
Edmund Gurschler: 2005 waren es etwa 130 Freiwillige, heute etwa 85, es ist aber immer noch dieselbe Tätigkeit zu leisten. Ich sehe diese Entwicklung aber nicht nur bei uns, andere Vereine berichten dasselbe. Das ist ein gesellschaftliches Phänomen. Auch die Zeit im Verein hat sich geändert, früher waren Leute 20, 30 Jahre beim Weißen Kreuz dabei, heute ist der Durchschnitt 5 bis 6 Jahre dabei. Ich bin 31 Jahre und zähl ja schon fast zu den Alten im Verein! Logisch ist das mit Familie einfach schwierig. Das sind die Fakten: es schaut momentan etwas prekär aus.
Vereine beklagen zunehmend, dass es schwierig ist, Leute für die internen Vereinsgremien zu finden, wie schaut es da bei euch aus?
Edmund Gurschler: Das können wir bestätigen, vielleicht bei uns noch etwas extremer, denn wir haben relativ viele Führungskräfte: Ausschuss, Gruppenführer, Leiter der Jugendgruppe, Leiter Notfallseelsorge, Leiter Schnelleinsatzgruppe und es ist wirklich extrem schwer für diese Positionen Leute zu finden, was ich allerdings auch verstehe. Das ist ein Haufen Arbeit, die unbemerkt im Stillen passiert, du läufst, tust und machst und erhältst kaum ein Dankeschön, oft sogar noch das Gegenteil.
Und es ist eine Menge Verantwortung.
Edmund Gurschler: Genau, was viele Vereinsleute an Verantwortung zu tragen haben, und das ehrenamtlich, ist schon anerkennenswert! Ich sage nur: einen Fall Mathá, da brauchen wir nicht zu diskutieren, den darf es nicht mehr geben. Die Absicherung wird zunehmend bedeutender, dennoch kann man sich nicht für alles absichern und das schreckt sehr viele motivierte Leute ab. Mitarbeit im Verein ja, aber Verantwortung für das Tun Anderer zu übernehmen, das tut keiner mehr gerne.
Alexander Peer: Schon die Verantwortung, dass alles läuft ist groß, da hat man immer eine Menge im Kopf zu behalten, es ist viel zu tun und zu denken. Und gerade bei uns gibt es keine Pause. Immer ist jemand im Dienst. 24 Stunden, 365 Tage im Jahr. Gerade deswegen muss man in unseren Verein etwas mehr Zeit stecken als in andere und sich ständig weiterbilden.
Welchen Stellenwert hat das Ehrenamt in unserer Gesellschaft, was denkt ihr?
Alexander Peer: Ich habe den Eindruck, dass der Stellenwert in den letzten Jahren stark gesunken ist und weiterhin sinkt.
Woran liegt es? Nehmen wir an es gäbe euch einfach nicht mehr, was ist dann?
Edmund Gurschler: Überspitzt ausgedrückt: Dann bleibt man halt auf der Straße liegen. Jedenfalls ein ganzes Stück länger. Wenn ich in Sulden einen Herzinfarkt oder einen Unfall habe und einige Sektionen des Weißen Kreuzes gibt’s nicht mehr, dann muss ich halt warten, bis der Rettungswagen von Schlanders oder gar Meran da ist. Ich habe nur manchmal das Gefühl, das ist nicht allen bewusst. Ohne Freiwillige, kann dieses Rettungssystem vom Land Südtirol angesichts des immer kleiner werdenden Budgets nicht aufrechterhalten werden und ohne Ehrenamt gehen wir als Gesellschaft 100 Schritte zurück anstatt uns nach vorne zu entwickeln.
Je nach Interesse schätze ich einen Verein mehr, einen anderen weniger. Aber euch wird doch wohl keiner in Frage stellen.
Edmund Gurschler: In Frage stellen wohl eher nicht, aber es gibt schon Leute, die sagen, solange ich sie nicht brauche,… Aber in dem Moment, wo sie uns brauchen, haben manche mit dem Freiwilligen nicht mehr genug. Am liebsten hätten sie dann sofort den Primar der Kardiologie vom KH Bozen, der in 5 Minuten vor Ort sein soll mit seinem Team und das Super-Pillele verabreicht, dass alles wieder gut ist. Und dass das nicht geht, ist vielen nicht bewusst, dürfte aber bei genauerem Hinsehen durchaus verständlich sein. Ein Rettungswesen, mit nur Fix-Angestellten ist in der heutigen Form nicht bezahlbar, das geht nicht. Was all die Vereine in Südtirol leisten, ist nicht nur zu registrieren, sondern auch mal ganz gezielt anzusprechen und zu loben und ich spreche hier nicht nur von den Rettungsorganisationen, es gibt noch genügend andere, wie z.B. den KVW, die Caritas, die Sportvereine, Musikkapellen oder einfach nur kleine Zusammenschlüsse wie „Essen auf Rädern“ oder die „Kleiderkammer“, ganz wichtig auch die diversen Selbsthilfegruppen um nur einige zu nennen.
Alexander Peer: Es ist vielleicht einfach alles selbstverständlich geworden und das ist schade. In den 50er-Jahren gab es einen Rettungswagen für das ganze Tal, der von dem schichthabenden Portier des Krankenhauses Schlanders ohne jegliche Ausbildung gefahren wurde, unabhängig von der Schwere des Notfalls. Einfach rein ins Auto und ab ins Krankenhaus und wenn es zu spät war, war es eben zu spät. Das war damals leider so. Heute hingegen haben wir bei uns in Südtirol einen wirklich sehr guten Standard, aber der ist halt einfach zur Selbstverständlichkeit geworden und wird von manchen deshalb auch nicht mehr geschätzt. Das gilt nicht nur für unseren Verein, sondern für viele andere auch, alles selbstverständlich, ohne dass hinterfragt wird, wie viel Arbeit dahinter steckt, oder noch mehr, ohne dass gefragt wird, welchen Beitrag man selbst leisten könnte. Frei nach dem Motto: das steht mir doch zu.
Wenn Freiwilligkeit weg fällt, dann fällt viel weg, dann verlieren wir eine Menge an Lebensqualität. Gerade in Gebieten wie dem Vinschgau. Wenn Sektionen geschlossen werden, oder kleinere Vereine wegfallen, dann wissen wir schon, was es heißt am Berg zu wohnen. Je größer die abzudeckende Zone, umso länger warte ich. Das gilt für Feuerwehr, Bergrettung und andere genau gleich.
Manche sind im Beruf sehr eingespannt, da wird’s schwierig.
Alexander Peer: Ja, schwierig ist es sicher für viele. Beruflich sind die Anforderungen sehr gestiegen. Jeder hat ein Privatleben, Partnerschaft, Arbeit. Leicht ist das nie und für niemanden, die Frage ist, ob man sich trotzdem die Zeit nimmt, denn je mehr sich einbringen, desto mehr kann bzw. wird die ganze Arbeit von vielen getragen, nicht nur von einigen.
Edmund Gurschler: Franz Tappeiner, Bezirkspräsident der Feuerwehren im Bezirk Untervinschgau, hat bei der Bezirksvollversammlung der Feuerwehr an das Jahr des Ehrenamtes und die Wichtigkeit der Mithilfe aller erinnert. Durch seine Ausführungen begann ich mich zu hinterfragen. Ich habe mich gefragt, wie man eine Nachricht an die Gesellschaft bringen könnte und fand ein sehr treffendes Zitat von John F. Kennedy: „Frage nicht was dein Land für dich tun kann, sondern was du für dein Land tun kannst“. Das muss uns als Gesellschaft leiten, das sollte die Quintessenz sein. Dass jeder nicht nur fordert, fordert, fordert, sondern auch einen Beitrag leistet, jeder noch so kleine Beitrag ist wichtig und hat große Auswirkungen.
Wie könnte die Gesellschaft Freiwillige mehr fördern und anerkennen?
Edmund Gurschler: Der Freiwillige kommt unter anderem mit dem Ziel zu helfen, aber natürlich fragt er sich auch, was hab ich davon. Die Politik lobt das Ehrenamt immer in den höchsten Tönen, aber das ist meiner Meinung nach nicht genug. In unseren Augen gäbe es schon Möglichkeiten der Unterstützung. Ein Vorschlag: Gratis-Abos oder Verbilligungen für öffentliche Verkehrsmittel, Ticketbefreiung, Guthaben für die Rente oder auch Vorteile bei öffentlichen Ansuchen wären möglich. Das wären eine große Unterstützung und ein unübersehbares Zeichen der Wertschätzung und Anerkennung. Es gibt schon Wege, wenn man will! So ist die Einladung zum heurigen Fest des Ehrenamtes der Gemeinde Schlanders ebenso eine tolle Wertschätzung unserer Arbeit und hat uns sehr gefreut.
Alexander Peer: Das ist es, was fehlt. Freiwillige brauchen ein Zeichen der Anerkennung, das muss gar nichts Großes sein, aber das ist ein ganz wichtiger Motivationsfaktor.
Edmund Gurschler: Anerkennung ist aber auch, wie man mit den Leuten umgeht.
Ich will nicht politisch werden, das ist nicht meine Aufgabe. Wenn das Gesetz Krankenpfleger im Rettungswagen vorschreibt, dann ist das Fakt und auch Südtirol muss Gesetze befolgen. Das ist eine Sache. Aber wie das in den Medien, vor allem in der Tageszeitung gebracht wurde, das hat vielen Ehrenamtlichen im Herzen wehgetan. Und auch das muss man sagen: es haben auch einige deswegen den Verein verlassen. Wenn wir von Wertschätzung und Anerkennung reden, dann kommt es eben auch darauf an, wie man über Ehrenamtliche spricht. Wir haben einen langen Weg gemacht, Ausbildung, Übungen, Praxis und Fortbildung; wir sind meiner Meinung nach gut ausgebildet, aber das Bild in den Medien war ein ganz anderes, das halten manche nicht aus. Das hat uns übel getan, wirklich. Rettungswesen ist mehr als Weißes Kreuz, das sind Bergrettung, Feuerwehr, Rotes Kreuz, Ärzte, Pfleger, Rettungstaucher, Flugrettung und Berufsfeuerwehr etc., das ist das Zusammenspiel aller, wobei jeder das macht, was er am besten kann, wofür er ausgebildet wurde. Schlammschlachten helfen niemandem, sie verunsichern Helfer wie auch Patienten und kosten letztendlich viel Kraft und Energie.
Alexander Peer: Es geht um die Art, wie die Diskussion über die Presse geführt wurde, teilweise mit niedrigstem Niveau. Da fühlten sich viele angegriffen und ich nehme mich da nicht aus.
Um zu informieren und um neue Freiwillige zu gewinnen organisiert ihr Infoabende, wie geht’s da weiter?
Alexander Peer: Im Herbst finden die nächsten Infoabende in Laas und Schlanders statt, zu denen wir jetzt schon alle herzlich einladen. Es geht darum die Leute zu informieren, wer wir sind, was wir tun und Fragen zu beantworten. Es würde uns freuen, wenn viele Leute zu den Informationsabenden kommen. Auch freuen würden wir uns über Leute, die beitreten wollen und uns in unserer anspruchsvollen und sinnvollen Tätigkeit unterstützen, aber auch alle anderen Bürger sind recht herzlich willkommen.
Wer ist für euren Verein eigentlich geeignet?
Edmund Gurschler: Alle! Nicht jeder will Rettungseinsätze mitmachen, aber wir haben eine so vielfältige Tätigkeit, da ist für jeden Platz, der sich einbringen will, je nach Interesse und Fähigkeiten. In manchen Köpfen ist noch das Bild: Weißes Kreuz ist Rettung, Unfälle und Blut; bis zum heutigen Tag hat noch wirklich jeder seinen Platz im Verein gefunden. Die Dienstleistungen vermehren sich ständig: Jugendbetreuung, Notfallseelsorge, Schnelleinsatzgruppe, Krankentransport, aber auch Schminktruppe für Übungen, und vieles mehr.
Alexander Peer: Zum Schluss appelliere ich noch einmal an unsere Mitbürger: „Trauts Enk“! Wenn ihr Lust habt bei uns im Verein mitzuwirken, egal in welcher Form, meldet euch einfach über unsere Home Page: sektionen.wk-cb.bz.it/de/schlanders/ oder Facebook Gruppe: WK Schlanders wir suchen Dich. Es besteht auch die Möglichkeit einen Dienst als Praktikant mit unseren Freiwilligen zu absolvieren, um sich vielleicht ein besseres Bild von unserer Tätigkeit zu machen.
„Steht zu uns!“
Ich möchte mich als Sektionsleiter bei allen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der Sektion Schlanders bedanken. Was sie zurzeit leisten ist nicht hoch genug zu honorieren. Aufgrund des Schwundes sind viele zusätzliche Dienste abzudecken und auch wenn es schwierig ist, so ziehen doch alle am selben Strang für das gemeinsame Ziel, nämlich dem Notleidenden, dem Kranken zu helfen. Nicht vergessen dürfen wir auch unsere Lieben zu Hause. Wenn ein Nachtdienst zu machen ist, stecken sie in diesem Moment zurück und auch das ist ein großer Beitrag zum Funktionieren des Vereins. Ich danke auch allen umliegenden Sektionen, da viele Freiwillige Helfer z.B. aus Sulden, Oberland, Prad, Mals, Lana, Ulten und Meran uns in dieser schwierigen Phase unterstützen und Dienste abnehmen.
Zu guter Letzt möchte ich auch ganz gezielt alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des gesamten Vereins Weißen Kreuzes loben. Auch wenn es nach außen fast nie durchgedrungen ist, so brodelte es intern doch gewaltig ob der medialen Anschuldigungen unter die Gürtellinie. Aber dennoch ist es bisher gelungen, gemeinsam aufzutreten und gemeinsam über die Landesleitung zu sprechen. Dennoch erwarten sich nun alle vollkommen zu Recht die Rückendeckung von Seiten des Vereins, von Seiten des Landes und vor allem auch von Seiten der Bevölkerung. Schließlich machen wir das nicht einfach zum Spaß, dafür gäbe es andere Hobbys, sondern um dem Nächsten zu helfen.
Ich danke nun noch dem „Vinschger“, dass er aus Eigeninitiative zu uns gekommen ist, diese Titelstory ermöglicht hat und unserem Verein die Möglichkeit gegeben hat, vor einer breiten Leserschaft zu sprechen.
Edmund Gurschler
Andrea Perger