Bald 100
Das bewegte Leben von Rosl Kerschbaumer Perkmann
Rosl Perkmann mit den Urenkeln David, Anna Luzia und Klein-Rosa (v.l.); es fehlen Giulia und Lukas.
Gerade mal 84 Jahre und ein lässiges Motorrad trennen Rosl Perkmann von ihrer ältesten Urenkelin Giulia
Karl Perkmann und Rosl Kerschbaumer haben sich am 13. Oktober 1954 das Ja-Wort gegeben.
Rosl hat immer was zu tun. Im Bild beim Gießen am Törl-Herrgott.

„Ihr habt ja keine Ahnung“

Rosl Kerschbaumer Perkmann auf dem Weg zum 100. Geburtstag

Publiziert in 20 / 2025 - Erschienen am 4. November 2025

Latsch - Es handelt sich nur mehr um Wochen, dann gehört die Rosa Kerschbaumer, Witwe Perkmann, in Latsch die „Schmied Rosa“, in Tarsch die „Pohlen Rosa“, zum Kreis der 100-Jährigen. Man muss Bescheid wissen, denn allein Rosls Bewegungsdrang, der um 5 Uhr morgens einsetzt, lässt nicht auf das ehrwürdige Alter schließen. Tochter Wally, ihre Betreuerin, hat Mühe, Schritt zu halten. „Sie ist neugierig und interessiert, aber auch unruhig“ würden Lehrer ins Zeugnis schreiben. Wäre die Rosl Kerschbaumer ein Grundschulkind, hätte man sie wahrscheinlich auf Hyperaktivität testen lassen. Wie gesagt, ihren Tagesablauf beginnt sie um 5 Uhr. Das Frühstück hat sie schon am Vorabend vorbereitet. „A Semmele und a Scheibele Dinkelbrot“ mit selbst gemachter Marmelade und ein leichter Milchkaffee gehören zur Zeremonie. Dabei will sie ihre Ruhe haben, erinnert sich Tochter Wally. Rosl ist überzeugt, dass dies ihre wichtigste, energetische Grundlage für den ganzen Tag ist.

Die Fragen der Ahnungslosen

Nach ihren Erinnerungen gefragt, kommt sofort der Spruch: „Ihr habt ja keine Ahnung...“. Soll heißen: „Ihr werdet das, was wir erlebt haben, ohnehin nie begreifen.“ Geboren ist das 2. Kind der Maria Pohl und des Anton Kerschbaumer am 2. Dezember 1925 in Tarsch. Es war ein Mittwoch und es war saukalt. Vater Anton war der Schmied in der Latscher Au, in der „Au Schmitt“ und stammte eigentlich aus dem Eisacktal. Sein plötzlicher Tod im Krankenhaus von Meran am 2. Juni 1938 brachte die Familie in Krise. Er war im städtischen Friedhof begraben worden. Als seine Familie in der Lage war, sich um das Grab zu kümmern, war es nicht mehr auffindbar. Warum Rosa den Kindergarten in Latsch und die Schule in Tarsch besucht hatte, konnte sie sich nicht erklären. Dies hing wohl mit dem Arbeitsrhythmus des Vaters zusammen. Inzwischen war die Familie gewachsen. Nach Ernst, geboren 1923, Rosa 1925, erblickten 1928 Anton und 1929 Bibiana das Licht der Welt. Als Nachzügler wurde 1939 Albert geboren.

Heimatsuche im Reich

Im selben Jahr 1939 konnten die Südtiroler ihre Heimat mit dem Deutschtum vertauschen. Vor allem Familien in ärmlichen Verhältnissen eröffnete sich die Möglichkeit, durch die Option irgendwo im Deutschen Reich eine sichere Hofstelle zu erhalten. Mit Sack und Pack – bei den Kerschbaumers müsste es mit „Kind und Kegel“ heißen – zogen Mutter Maria und die 5 Kinder Richtung Österreich. Ihr erster Aufenthalt in einem großen Innsbrucker Hotel war ein Schock. Sie habe nur geweint und war voller Heimweh, erzählte Rosl. „Mir war so derweillong und i hon soffl greart.“ Das sollte aber niemand merken. Sie habe sich geschämt und sich in dem „riesigen Hotel“ nie wohl gefühlt. „Irgendwie haben wir erst Deutsch lernen müssen“, so Rosa. „Wir wollten einen ‚Gelati‘ wie andere Kinder auch, aber wir wussten nicht, wie man das in Deutsch ausdrückt.“ Von Innsbruck und nach einem kurzen Aufenthalt in Igls zog man weiter nach Bischofshofen im Salzburgischen Pongau. Dort heiratete Maria Pohl, Witwe Kerschbaumer, den Engelbert Pedross. Dort kam auch deren erstes gemeinsames Kind zur Welt. Traudl hieß Rosas Halbschwester. Rosa selbst war inzwischen von einer „sehr netten Metzger-Familie“ in Bischofshofen aufgenommen worden. Da die 2 Söhne der Familie zum Kriegsdienst mussten, übernahm Rosa zusammen mit Resi, Tochter des Hauses, die Metzgerei. „Niemand kann sich vorstellen, dass wir Mädchen die Metzgerei mit allem, was dazugehörte, übernommen und weitergeführt haben“, meinte Rosa. Ihr älterer Bruder Ernst hatte Arbeit in Hallein gefunden.

Quer durch die Tschechei

Mit Mutter Maria, Rosls Stiefvater Engelbert Pedross, den Brüdern Anton und Albert, Schwester Bibiana und Halbschwester Traudl saß auch Rosl im Zug und durchquerte die damalige Tschechoslowakei. Verlassene Höfe sah sie keine. Sie ahnte sehr schnell, was auf sie und ihre Familie zukommen könnte und reiste im Zug wieder nach Österreich zurück. Zuvor war aber gefeiert worden. Im Dorf Klokocov bei Ostrava, heute Slowakei, war am 24. Februar 1944 das 7. Kind, die Tochter Marlene, zur Welt gekommen. Das Kriegsende im Mai 1945 erlebten Rosl und Bekannte im ruhigen Ötztal, fast in Sichtweite ihrer ersehnten Heimat Tarsch und nur durch den Hochjoch-Ferner und den Similaun-Gletscher vom Schnalstal getrennt. Irgendwann war der Gedanke, so nahe an der Grenze zur Heimat zu sein, stärker als die Angst als illegaler Grenzgänger erwischt zu werden. Bevor man „schwarz“ die Grenze überquerte, gab es lange Überredungsversuche und auf Seiten von Rosl ein striktes Verweigern. Schließlich war dann doch das Heimweh stärker. Bald hatte man die Strapazen verdaut und Rosl samt Vetter Hans und seiner Frau durften mit dem „Brottransporter“ des Pepi Fuchs verhältnismäßig bequem, aber eben ‚schwarz‘ Latsch erreichen – durchgefroren und erschöpft. Rosl hatte Glück und bekam einen Arbeitsplatz bei der Familie Niederfriniger in Schlanders, wo sie den Haushalt versorgte. 

Als Schmugglerin unter Verdacht

Irgendwann tauchten Carabinieri mit der Nachricht auf, sie sei wegen des illegalen Grenzübertrittes angezeigt worden und habe sich bei der österreichischen Grenzpolizei zu melden. Während sie von den Carabinieri respektvoll behandelt worden war, habe man sie im Gasthaus „Fuhrmanns Loch“ auf der österreichischen Seite der Grenze in Reschen kleinlich gefilzt und zum Teil auch ihrer Lebensmittel beraubt. Das Leben ging weiter und Rosl passte sich an. In Latsch lernte sie Karl Perkmann, den Pfisterer Karl, kennen. So benannt, weil er von der Familie Fleischmann, vulgo Pfisterer, angenommen worden war. Karl, Jahrgang 1919, hatte von der Gemeinde günstigen Baugrund erworben und war dabei, sich an der Kreuzung Zafigweg-Törlweg ein Haus zu bauen. Mit Rosl Kerschbaumer ging er am 13. Oktober 1954 der Bund der Ehe ein. Ein Jahr später kam Sohn Robert zur Welt. 1958 kamen Tochter Waltraud und 1959 Hannes dazu. Das Familienglück der Familie Rosl und Karl Perkmann endete mit Karls Tod im Jahre 1984. Im Jahr 2000 hatten Robert und Elisabeth ihr Wohnhaus an das bestehende angebaut. Gut 20 Jahre später war das Enkelkind Alexander mit Silvia dabei, über Oma Rosls Wohnung ein mehrstöckiges Haus aufzubauen. „Das Klumpern und Klappern hat mir nichts ausgemacht.“ Inzwischen ist Rosl durch sieben Enkelkinder zur fünffachen Urgroßmutter geworden und die Verwandtschaft wartet ungeduldig auf den 2. Dezember, Uromas 100. Geburtstag.

Günther Schöpf
Günther Schöpf

Diese Seite verwendet Cookies für funktionale und analytische Zwecke. Lesen Sie unsere Cookie-Richtlinien für weitere Informationen. Durch die Nutzung dieser Website erklären Sie sich damit einverstanden.