Grenzen überschreitende Zusammenarbeit hat Zukunft
Publiziert in 32 / 2011 - Erschienen am 14. September 2011
Der Interreg Rat in den „rätischen Landesteilen“ Unterengadin mit Val Müstair, Oberes Gericht und Vinschgau hat in Laas Bilanz gezogen und eindeutige Bekenntnisse für Grenzen überschreitende Zusammenarbeit abgelegt. „Europa ist schön durch die Vielfalt, aber wir müssen die Räume in dieser Vielfalt verbinden“, erklärte Landeshauptmann Luis Durnwalder.
von Günther Schöpf
Südtirols Landeshauptmann ließ keine Zweifel aufkommen: „Die Interreg-Programme wird es weiterhin geben. Europa ist sich bewusst, dass Verbindungen geschaffen werden müssen. Wir leben in gleich gefühlten Räumen, aber in Berggebieten und die müssen wir verbinden“ meinte sinngemäß Südtirols oberster Bürger Luis Durnwalder. Regierungsrat Hansjörg Trachsel aus Chur nannte seine Reise nach Laas eine Reise zu Freunden“. „Wir sind in Europa“, meinte er, „aber wir gehören nicht zu Europa, auch in absehbarer Zeit nicht. Umso wichtiger ist es, in kleinen Schritten die von Menschen gezogenen Grenzen abzubauen.“ Die beiden Spitzenpolitiker waren neben Europaparlamentarier Herbert Dorfmann, Landesrat Richard Theiner und Landtagsabgeordnetem Sepp Noggler Ehrengäste des Interreg Rates unter dem Vorsitz des Bezirkspräsidenten und Bürgermeisters von Laas Andreas Tappeiner. In seiner Begrüßung hatte dieser seinen Standeskollegen oder deren Stellvertretern zwischen Kastelbell und Zams, zwischen Chur und Sponding, den Mitarbeitern der Regionalentwicklungszentren und den Projektträgern die Bedeutung eines Grenzen überschreitenden Informationsflusses und der dezentralen Entscheidungsbefugnis erläutert. Er hat mit rund 5,9 Millionen Euro auch die Wertschöpfung für den Vinschgau beziffert und am Regionalentwicklungstisch entwickelte Kleinprojekte als Anstöße für größere Vorhaben bezeichnet. Nicht nur konkrete Beispiele von Kleinprojekten, auch visionäre, größere Vorhaben konnte der Moderator des Treffens im Josefs-Haus von Laas, Josef Hofer, den Anwesenden nach musikalischer Einleitung ankündigen. Hofer ist Obmann des Genossenschaft für Weiterbildung und Regionalentwicklung (GWR) in Spondinig und sitzt am „Vinschger Regionalentwicklungstisch“, der Ideenschmiede für Grenzen überschreitende Zusammenarbeit (siehe Kasten).
Was früher trennte, verbindet jetzt
Vielleicht war es eine bewusste Wahl des Geschäftsführers der Genossenschaft für Weiterbildung und Regionalentwicklung, Friedl Sapelza. Der Bericht über die einst trennenden und jetzt verbindenden Grenzbefestigungen wurde im Programm vorgezogen. Jedenfalls hatte es Symbolkraft, dass ausgerechnet die seit Jahren „friedlichen Grenzübertretungen“ zwischen Nauders jenseits und Graun diesseits der Staatsgrenze an den Anfang gestellt wurden. Am Mikrophon standen Hermann Klapeer, Alt-Bürgermeister von Nauders, dessen Name seit neun Jahren für eine fast nicht für möglich gehaltene Instandhaltungsaktion der historischen Grenzfeste Finstermünz in der Innschlucht steht, und Heinrich Noggler, Jung-Bürgermeister in Graun, mit einer ebenso für nicht möglich gehaltenen Anzahl von Grenzbefestigungen und Panzersperren aus den 30er-Jahren in seiner Gemeinde und mit einem Bunker, in dem mit der Etsch der zweitlängste Fluss Italiens entspringt.
Bürgermeisterliche Kinderbetreuung
Noch in den Kinderschuhen steckt das Projekt aus dem Themenkreis „Pro Familie im Tourismus“, das der Koordinator für Vinschger Bildungsausschüsse, Ludwig Fabi, und der Bürgermeister von Galtür, Toni Mattle, unter der viel sagenden Überschrift „ProFiT“ vorstellten. Mattle, auch Landtagsabgeordneter in Innsbruck, berichtete von acht Betrieben, die es wagen, in einer touristisch intensiv genützten Region Familie und Beruf zu vereinbaren und mit abgesicherten und damit zufriedenen Mitarbeitern Tourismusbetriebe zu führen.
Wie Wissensvermittlung, Wintertraining und Wettkampftermine zu vereinbaren sind, erklärten Christine Wiesmann, Lehrerin für kaufmännische Fächer am Skigymnasium Stams, ihr Vinschger Kollege an der Sportoberschule in Mals, Markus Klotz, und zwei Schüler aus Laas. Über die „online Kursräume“ der Lernplattform „Moodle“ werde zwischen Lehrer und Schüler kooperiert und auf die individuellen Lernbedürfnisse der angehenden Athleten eingegangen. Ebenfalls kooperieren und auf Bedürfnisse Jugendlicher eingehen wollen Jugendorganisationen im Val Müstair und im Vinschgau. Stefan Hellweger, Jugenddienst Obervinschgau, Myriam Sanzio, Mittelvinschgau, und Romedi Conradin aus Valchava wollen die Jugendlichen zu Akteuren und die „Neue Festkultur“ zum Thema machen. Außerdem ist es ihnen ein Anliegen, über „online-Medien“ im Projekt „Traditionen@Generationen“ Jugendliche über Bräuche und Brauchtum der jeweils anderen Region zu informieren.
„Bahnsinnige“ Tour
durch Zentraleuropa
Zwei spritzige, ältere Herren rundeten den Präsentationsreigen mit einem Projekt ab, das nur „bahnsinnigen“ und visionären Schweizern einfallen konnte. Walter Castlberg vom Amt für Wirtschaft und Tourismus in Chur und Walter Finkbohner, ehemaliger Direktor des SBB - „nicht des Südtiroler Bauernbundes, „sondern der Schweizerischen Bundesbahnen“, schob Castlberg ein – wählten einen ungewöhnlichen, aber überzeugenden Einstieg und gaben zu bedenken: Warum findet man in Reiseprospekten keine Abbildungen von Autos und immer mehr von Eisenbahnen? Weil das Auto des Nachbarn stört und weil 76 Prozent der Reisen zwischen Schweizer Städten mit öffentlichen Verkehrsmitteln stattfinden, lautete die Antwort der Referenten. Mit der Südtiroler Marketing-Gesellschaft (SMG) im Boot sei zum ersten Mal im Juni 2009 aus der kühnen Idee, mit Zug und Bus von St. Moritz über den Ofenpass, durch Südtirol nach Venedig zu fahren, ein gelungenes Experiment geworden. Seit kurzem bieten die „Tour“ drei Schweizer und zwei italienische Reiseveranstalter auch konkret an. „Mittelfristig soll die Tour den Bekanntheitsgrad des Jakobweges erhalten“, wird Walter Finkbohner in einem Internet-Auftritt der SMG zitiert.
Bevor der Interreg-Rat zum Stehbuffet ins Altersheim St. Sisinius lud, punktete Andreas Tappeiner mit „Marmor-Impressionen“ aus New York, London, Berlin, Stuttgart und Wien.
Interreg-Programme im Vinschgau
Am Regionalentwicklungstisch unter dem Vorsitz von Bezirkspräsident Andreas Tappeiner werden EU-Projekte entwickelt, angeregt und koordiniert. Ihm zur Seite sitzen Friedl Sapelza (Sekretär), Doris Stocker (Schriftführerin, Tourismus), Günther Platter (Handwerk), Gustav Tschenett (Bildung), Josef Hofer (Präsident der GWR), Irene Unterkofler (Landwirtschaft), Martha Stecher (Sozialdienste), Roselinde Gunsch Koch (politische Verantwortliche für EU-Projekte im Bezirk). Das Projektvolumen für 18 größere Projekte beträgt 5,9 Millionen Euro und verteilt sich mit 3,7 Millionen auf Projekte Vinschgau-Schweiz und mit 2,2 Millionen auf die Zusammenarbeit Vinschgau-Österreich. 15 Projekte unter 25.000 Euro laufen als kleine Projekte außerhalb des üblichen Verwaltungsweges.
Günther Schöpf