„Den Vatersegen hatte ich“
Ein seltenes Bild aus längst vergangenen Zeiten: Otto und Erna mit ihren Eltern Ursula und Michael Josef Moser.

„Nie fühlte ich mich so schlecht wie damals in Rom“

Publiziert in 16 / 2014 - Erschienen am 30. April 2014
Otto Moser war 5 Jahre alt, seine Schwester Erna um 3 Jahre älter, als ihr Vater Michael Josef Moser beim Attentat in der Via Rasella das Leben verlor. Ein kleines Tagebuch gewährt Einblick in den Alltag der Soldaten. Stilfser Brücke - Otto erinnert sich, wie sein Vater einen Speltenzaun errichtete, wie er mit ihm in den „Truser Gonnen“ spazieren ging und wie er ihm und seiner Schwester Erna das Kreuzzeichen auf die Stirn machte. Dabei war Otto Moser aus Stilfser Brücke erst 5 und Erna 8 Jahre alt, als ihr Vater Michael Josef Moser, vulgo Tischler Sepp, der in Stilfser ­Brücke in einer Tischlerei arbeitete und einen kleinen Laden betrieb, am 23. März 1944 in Rom das Leben verlor. Er war einer der 33 Wehrmachtssoldaten des Regiments „Bozen“, die beim Attentat in der Via Rasella getötet wurden. Jahrzehnte später fuhr Otto ­Moser mit seiner Frau Zilli und den 4 Kindern Silvia, Isolde, Evi und Paul im Nachtzug nach Rom, um die Straße, in der Michael Josef Moser starb, und seine Grabstätte aufzusuchen. „Nie in meinem Leben habe ich mich schlechter gefühlt als damals in der Via ­Rasella“, erzählt Otto Moser dem der Vinschger, dem er auch Einblick in das kleine Tagebuch seines Vaters gewährte. 70 Jahre nach dem Attentat in der Via Rasella und dem Massaker, bei dem am 24. März 1944 in den Ardeatinischen Höhlen 335 italienische Zivilisten als „Sühnemaßnahme“ für das Attentat erschossen wurden, ist es ein seltenes Zeitdokument. Von Heldentaten ist nicht die Rede Das Tagebuch beginnt im September 1943. „Am 29. September zu meinem Geburtstag kam ich zur Musterung und wurde für tauglich befunden“, notiert der Tischler Sepp. Er hatte sich nicht freiwillig gemeldet, sondern wurde eingezogen. Seine Einträge erzählen vom konkreten Alltag, von scheinbar banalen und kleinen Geschehnissen. Als er feststellte, „dass mir ein Rasierspiegel, ein Taschenspiegel und mein Tintentegel kaputt ging“, dachte er: „Scherben bringen Glück…und ich hab auch immer ein wenig Glück gehabt.“ Weil er zu einer „Zahnreperatur“ nach Meran musste, kam er nach Hause, „wenn auch bloß für 5 Stund in der Nacht, um 3 Uhr morgens habe ich am 2. Februar wieder Abschied genommen von meinen Lieben.“ Am 13. Februar ging es von Gossensaß in Richtung Poebene: „Oh du mein Südtirol mein Heimatland leb wohl, wir sehen uns wieder, aber wann, aber wann,“ notiert Michael Josef Moser in seinen kleinen Block. Er schreibt von einem „ebenen und schönen Gelände“ und von Schnee und Eis beim Überqueren des Appenins. Pistoia beschreibt er „so schön wie ein Paradies“. „Um 11 Uhr mittags am Fastnachtssonntag hielten wir Rast...am Montag um 8 Uhr sind wir in Rom angekommen.“ Nach 9 Tagen sahen sie wieder ein Bett. „Nun ging das Warten wieder von vorne los, aber in aller Gemütlichkeit, man könnte fast meinen der Krieg ist aus, auch wenn die Sirene heult...“. Er holte sich täglich ein ¾ Liter Wein, „da der Liter 23 Lire kostet, 2 Spiegeleier 34 Lire, ein Liter Öl 600 Lire...“. Die Front ist mittlerweile nur mehr ca. 7 Kilometer entfernt. Ende Februar berichtet er, „dass in der Nacht oft Scheiben geschlagen wird, aber wie, Handgranaten waren es...“ Am 2. März „hatten wir plötzlich um 2 Uhr früh Alarm...hinaus ins Feld, aber nicht ganz an die Front.“ Michael Josef Moser spricht oft von seinen „Leidensbrüdern“. Am 5. März war es so kalt „wie bei uns im Dezember...“ „Ihr Südtiroler, ihr lehmige...“ Bei der Ausbildung hieß es: „Still gestanden, Maul halten...ihr Südtiroler, ihr lehmige könnt ihr’s nicht oder wollt ihr nicht...möcht bloß wissen wann ihr einmal Soldaten werdet.“ Der letzte Tagebucheintrag ist mit dem 19. März (Heiliger Josef) datiert: „...ich bin nämlich 39 Jahr Sepp...Heiliger Josef, hab auch mit uns Armen Erbarmen“. 4 Tage nach diesem Eintrag explodieren in der Via Rasella eine in einem Müllkarren versteckte Bombe und eine Granate. Die Explosionen ereignen sich in der Mitte eines Zuges marschierender Soldaten. Michael Josef Moser gehört zu den Opfern. Mit dem aus Trafoi gebürtigen und später in Prad wohnhaften Ernst Thöni, der ebenfalls mitmarschierte, sich aber nicht in der Mitte des Zuges befand, hat sich Otto Moser später einmal unterhalten. Sein Vater hatte demnach schwerste ­Verletzungen am Kopf erlitten. – Otto legt jetzt das ­Tagebüchlein beiseite. Er ist gerührt. „Vom Vater sind mir nur positive Bilder geblieben. Schöne Erinnerungen. Deshalb sage ich auch immer, dass Väter Zeit für ihre Kinder haben und gut zu ihnen sein sollen“, bricht es aus ihm heraus. Mit Wörtern wie Helden oder Heldentum hat er nichts am Hut: „Soldaten sind keine Helden. Wenn sich diese Bezeichnung überhaupt jemand verdient, sind es die Frauen, die geschaut haben, dass es daheim irgendwie weiter ging.“ Eine dieser Frauen war Ottos Mutter Ursula. Nach dem Tod ihres Mannes hat man ihr das Tagebüchlein ihres Mannes, die Geldtasche samt dem Geld, die Taschenuhr und das Rasierzeug nach Hause geschickt. Die schlimme Nachricht sollte ihr ein Mann aus Prad überbringen. Dieser wollte in einem Gasthaus in Stilfser Brücke zunächst einen Schwager seiner Mutter dazu überreden, Ursula den Tod ihres Mannes zu melden. Der Schwager aber lehnte ab, sodass es der Prader selbst tun musste. Die damalige Stimmung im Haus hat Otto noch heute vor Augen: „Ich war erst 5, habe mir aber zusammen mit einem noch jüngeren Bub fest vorgenommen, diesem Mann den Kopf abzuhacken.“ Erna war an diesem Tag in der Schule: „Es waren die Lehrerin und meine Cousine, die mich aus der Klasse herausholten und mir mitteilten, dass mein Vater tot ist. Sie haben mich dann nach Hause begleitet.“ „Der Vatersegen hat mir geholfen“ Als Ursula Moser starb, war Otto erst 15 Jahre alt und so gut wie auf sich allein gestellt. Seine Schwester Erna habe unter dem Tod von Vater und Mutter viel mehr gelitten als er. Erna, die wir in Prad besuchten, bestätigt das: „Es waren sehr harte Zeiten. Obwohl ich immer versucht habe, schlimme Sachen aus jener Zeit zu vergessen, wühlt es in meinem Innern noch heute. Man hat zu wenig getan, um meinen Vater daheim zu behalten.“ Ihr Vater sei zwar ziemlich streng gewesen, aber auch liebevoll. „Als ich zwei Jahre alt war, schenkte er mir diesen ‚Hossareita’“, erzählt Erna und zeigt auf ein Schaukelpferd aus Nussbaumholz, das ihr Vater selbst hergestellt hat. Was Erna ebenfalls noch gut in Erinnerung hat, sind die jährlichen Wallfahrten von Stilfser Brücke zur Lourdeskirche nach Laas: „Wir machten uns immer mit einem Herrenrad auf den Weg. Otto saß im kleinen Sitz, ich im Gepäckskorb und die Mama auf der Stange.“ Wenn es dem Vater zu anstrengend wurde, „lud“ er die Mama ab, fuhr mit den Kindern ein Stück weiter und radelte zurück, um die Mama zu holen. Auch Otto erinnert sich an diese Wallfahrten. Später in seiner Jugendzeit sei er bestimmt kein Heiliger gewesen, „habe im Innersten aber immer gefühlt und gewusst, dass ich den Vatersegen habe und dass mich dieser Segen das ganze Leben lang begleiten wird.“ Er habe seit jeher eine tiefe Abneigung gegen Waffen und gegen jede Art von Krieg und Militarismus gehabt. Als er in Rom durch die Via Rosella ging, „übermannte mich eine derart ungute und böse Energie, sodass ich nicht bleiben konnte. Für mich ist das ein unguter Ort, den ich nie mehr sehen will.“ Am Tag danach besuchte er mit seiner Familie die Massengrabstätte auf dem Soldatenfriedhof in Pomezia bei Rom, wo sein Vater ruht: „Der Friedhof, wo rund 26.000 Soldaten ihre letzte Ruhe gefunden haben, war gut gepflegt.“ Den Namen seines Vaters fand er zusammen mit den Namen 5 weiterer Soldaten an einem der Grabsteine. Die Attentats-Opfer waren zunächst in einem Acker in Rom bestattet und nach dem Krieg umgebettet worden, nachdem der ursprüngliche Eigentümer den Acker zurückverlangt hatte. Otto Moser hat seinen Weg im Leben gefunden. Trotz teils traumatisierender Ereignisse in der Kindheit. „Geholfen haben mir die positiven Bilder, die ich vom Vater und auch der Mutter in Erinnerung habe und die mich immer begleiten werden.“ Wie als zweite Mutter stand den Geschwistern Otto und Erna die Schwester der Mutter, die Taufpatin Theresia, zur Seite. Ebenso großer Dank gebührt laut Otto der Cousine Maria und ihrem Mann, dem „Masutter Ander“, „die uns in jeder Situation geholfen haben.“ Otto wurde Tischler, brachte sich auch in öffentlichen Verwaltungen ein sowie in sozialen Vereinen in seiner Heimatgemeinde. Er wirkt bis heute in Vereinen mit. Otto hat auf seine Art gelernt, mit dem Attentat der Via Rasella und den Folgen des Krieges insgesamt zu leben und zu überleben. Als in Bozen Anfang der 50er Jahre ein Schweigemarsch stattfand, angeführt von Silvius Magnago, um Kriegsrenten einzufordern, marschierte auch seine Schwester Erna mit. Ursula selbst hat aufgrund ihres frühen Todes keine Kriegsrente erhalten. Otto und Erna hingegen schon, aber nur bis zur Volljährigkeit. „Wir erhielten gemeinsam monatlich 14.000 Lire. Das war seinerzeit nicht wenig“, erinnert sich Otto. Sepp Silvia Moser hat anlässlich des 70. Jahrestages des Attentats in der Via Rasella folgende Gedichte für ihrer Großvater und alle Toten geschrieben: Via Rasella Zerfetzte Zukunft auf starrer Erde und brüllender Widerhall am Tag danach. Es war Krieg, und sie waren Menschen. Alle. Märznacht 1944 Auch nach jenem Tag ging der Mond auf mit all seinen Sternen. Ob er weinte dabei, ist nicht gesagt. Überliefert aber, dass ein Kind ihn vom Himmel schoss mit seinem Stein aus Fäustchenhand. Vom Vorbei-S(ch)ein Erinnerung an Land gespült alle Jahre wieder Die Toten begraben die Tränen versiegt Aschfahle Blumen noch immer auf lodernder Erde Wir Enkel Wir müssen sie aufheben, die Worte, die zerfetzten, und wunden vom Krieg. Ans Herz nehmen sie, damit Zittern endet und Sprache heilt in schwankender Zeit.

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