„Ohne Schutzklausel können wir den Konvent gleich ‚einpacken’“
Publiziert in 34 / 2016 - Erschienen am 28. September 2016
Bei einem Nein zur Reform „haben wir gar nichts“. Bürgermeister sollen sich in die Sache hineinknien. Länderlogik anstelle von Parteienlogik.
der Vinschger: Herr Kammerabgeordneter Albrecht Plangger, Sie befassen sich seit 3 Jahren als Mitglied der Verfassungskommission mit der viel diskutierten Ver-
fassungsreform. Sie haben die höchst umstrittene Reform sozusagen von Geburt an heranwachsen sehen. Was ist das für ein „Kind“? Um was geht es wirklich?
Albrecht Plangger: Im Wahlkampf 2013 haben alle Parteien Verfassungsreformen in mehreren Bereichen groß angekündigt. Staatspräsident Giorgio Napolitano hat im Vorfeld eine Expertenkommission eingesetzt, die sehr wohl brauchbare Vorschläge erarbeitet hat. Diese Reform ist vor allem das „Kind“ des damaligen Staatspräsidenten, der von der Notwendigkeit der Reform felsenfest überzeugt war. Auf diese Vorschläge hat die Regierung aufgebaut und wir sind am Anfang mit dieser Reform mit Zwei-Drittel-Mehrheiten durchmarschiert. Bis zuletzt mussten aber viele Kompromisse eingegangen werden, aber es wurde auch viel verbessert, zumindest was uns Südtiroler angeht. Während der Kommissionsarbeit habe ich viele Kollegen erlebt, die am Anfang glühende Verfechter der Reform waren, in der ersten Lesung auch noch dafür gestimmt haben, nun aber nach dem Bruch zwischen Renzi und Berlusconi das Gegenteil vom Gegenteil verkünden. Eine solche Narrenfreiheit aus reinem politischem Kalkül oder aus reinem Populismus sollte bei einer Verfassungsreform vermieden werden, da diese über den Parteien steht.
Im Zusammenhang mit der Reform gab es bereits mehrere Abstimmungen in der Kammer und sie haben 3 Mal für die Reform gestimmt. Geschah das aus Überzeugung, oder wollten Sie als SVP-Vertreter und somit als PD-Verbündeter der Regierung Renzi ganz einfach die Stange halten?
Die Ja-Stimme kam immer aus Überzeugung, da das perfekte Zweikammersystem unbedingt abgeschafft gehört und der Senat als Länderkammer neu ausgerichtet werden soll. Man versucht es seit 30 Jahren. Nun bietet sich die einmalige Chance, die es unbedingt zu nutzen gilt, sonst bleibt wieder alles für 10 Jahre gleich. Italien muss unbedingt den Beweis schaffen, dass es sich von innen heraus selbst reformieren kann.
Wenn man in Südtirol über diese Reform spricht, fällt sofort das Wort Zentralisierung. Will Renzi alle Macht in Rom konzentrieren?
Mit der Verfassungsreform 2001 hat man viele Kompetenzen, ganz oder zumindest teilweise, an die Regionen abgegeben. Einige konnten und wollten verwalten, andere waren dazu nicht fähig. Ein Skandal folgte dem anderen, die regionalen Gesundheitsbetriebe erhielten vielfach staatliche Kommissare. Aus meiner Sicht haben die Regionen die Kompetenzen und somit die Verantwortung zurückgegeben, sie wurden ihnen nicht genommen. Eine Anhörung der Landeshauptleute von
Piemont, Veneto und der Lombardei in meiner Kommission war für mich ein „Schlüsselerlebnis“: alle drei Landsleute habe das Wort „Kompetenzen“ in ihren rund 10-minütigen Statements nie in den Mund genommen, wohl aber dauernd gefordert, dass die Regionen weiterhin das Geld an die Bürger verteilen, die Kriterien für die gerechteste Aufteilung und die Verantwortung für den sozialen Ausgleich dürfe aber ohne weiteres der Staat behalten oder übernehmen. Es ging nur um das Geldverteilen und nicht um eigenständige Verwaltungskompetenzen. Ab diesem Zeitpunkt war somit für mich klar, dass sich die Reform zentralistisch entwickeln wird und es auch für Südtirol keine neuen Kompetenzen geben würde, um die Schere zwischen Regionen mit Normalstatut und Regionen mit Sonderstatut nicht noch größer werden zu lassen. Ab diesem Datum mussten wir daher vorrangig unsere bestehenden Kompetenzen verteidigen und nicht nach Seilschaften suchen, um neue Kompetenzen dazu zu bekommen.
Lässt sich mit der Schutzklausel für Südtirol, wie sie in der Reform verankert werden soll, die Autonomie unseres Landes wirklich absichern?
Im Moment haben wir überhaupt keine Schutzklausel. Aus Südtiroler Sicht kann es nur besser werden. In unserem Fall liegt die Gefahr eher bei der mangelnden Reform des Autonomiestatutes. Durch die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes haben wir laufend Kompetenzen verloren, die Teil des derzeitigen Autonomiestatutes sind. Das Prinzip des „Einvernehmens“ ist eine zusätzliche Garantie zur völkerrechtlichen Verankerung unseres Statutes. Mit dieser Schutzklausel „ist der Fuß jedenfalls in der Tür“, auch weil diese Schutzklausel nur eine Übergangsregelung ist. Langfristig gehört das Prinzip des Einvernehmens in das Autonomiestatut selbst geschrieben. Dieses Ziel müssen wir im Visier behalten. Mit einem „Nein“ zur Reform vertun wir uns sicherlich diese Chance für lange Zeit.
Einige Kritiker sagen auch, dass Südtirol mit der Reform das Recht auf Selbstbestimmung aufs Spiel selbst.
Diese Verfassungsreform hat keine Auswirkungen auf unser Recht auf Selbstbestimmung. Unsere Verhandlungen waren nicht auf Sezession ausgerichtet, sondern auf eine Schutzklausel für die dringend notwendige Revision und Anpassung unseres Autonomiestatutes an neue Gegebenheiten. Diese können wir mit einem „Ja“ zur Reform erstmals in der Verfassung selbst verankern. Ohne Schutzklausel könnten wir es nie wagen, das Autonomie-
statut „aufzuschnüren“ und den „Konvent“ zu organisieren.
Was soll die Reform dem Staat bringen und was unserem Land?
Mit der Abschaffung des perfekten Zweikammersystems, der Umwandlung des Senats in eine Länderkammer, der Reduzierung der Senatoren und der Abschaffung der Provinzen wird die Gesetzgebungsprozedur schneller und effizienter, die Gebietskörperschaften wie Regionen und Gemeinden erhalten im Senat eine direkte Vertretung und die Politikkosten können erheblich gesenkt werden. Mit weniger Kompetenzstreitigkeiten zwischen Regierung und Regionen vor dem Verfassungsgerichtshof wird die Zusammenarbeit zwischen beiden leichter und konfliktärmer. Für unser Land bringt die vorhin erwähnte Schutzklausel mit dem Einvernehmen die Chance, unserer Autonomiestatut revisionieren zu können, ohne das bisher Erreichte einer Gefahr auszusetzen. Der neue Artikel 116 bringt die Möglichkeit, mit einem viel einfacheren Gesetz als einem Verfassungsgesetz mit drei Lesungen - was in einer 5- Jahres-Legislatur nur auf einer absoluten Vorzugsschiene zu schaffen ist - zusätzliche Kompetenzen, wie z.B. die Umwelt, zu erhalten und zwar mit einem normalen Staatsgesetz auf Initiative des Landtages und nach Anhörung der Lokalkörperschaften, welches auf der Grundlage des Einvernehmens zwischen Staat und Region mit absoluter Mehrheit der Parlamentsmitglieder beschlossen wird.
Wäre es nicht sinnvoller, den Senat mitsamt dem Beamtenapparat vollständig abzuschaffen?
Der Senat wird auf ein Drittel reduziert. Auch bin ich überzeugt, dass eine sogenannte Länderkammer - wie in fast allen Nachbarstaaten - immer noch sinnvoll und vor allem im Interesse unsres Landes ist. Ich wünsche mir aber, dass sich im zukünftigen Senat die Landeshauptleute selbst hineinwählen lassen, dann kriegt das Territorium - auch in einem sonst eher zentralistisch ausgeprägten Staatsgefüge - eine wirklich wichtige Stimme. Beim Senat sollte unbedingt, auch räumlich, die Staat-Regionenkonferenz angesiedelt werden, damit Hand in Hand und nicht gegeneinander gearbeitet werden kann. Da ist noch Einsparpotential. Beim neuen Senat kann sich noch vieles zum Guten wenden und seine Kompetenzen bei der Abstimmung, dem sogenannten „raccordo“, zwischen staatlichen Aufgaben und Länder- bzw. Gemeindeobliegenheiten sowie Europa- und Minderheitenfragen sind durchaus wichtig. Vielleicht „regiert“ im Senat nicht wieder die Parteienlogik, sondern die Länderlogik. Dies wäre eine Chance für echten Föderalismus, der unserem Land nur zu Gute kommen kann.
Abgesehen von den sehr unterschiedlichen Meinungen auf staatlicher Ebene gehen die Ansichten zur Reform auch hierzulande weit auseinander. Zwischen den Parteien ebenso wie innerhalb von politischen Gruppierungen. Auch in Ihrer Partei gibt es Befürworter und Gegner. Wie sieht die Lage diesbezüglich im SVP-Bezirk Vinschgau aus, dem sie als Obmann vorstehen?
Ich werde als Obmann mein Möglichstes tun, meine Landesleute zu überzeugen, dass es vor allem wichtig ist, dass überhaupt eine Reform zustande kommt. Ob sie dann gut oder schlecht ist, kann sowieso nur die Zukunft zeigen. Ein Stillstand wäre fatal. Ich setze vor allem auf die Bürgermeister. Sie sollten sich in die Sache hineinknien und dann ihre Bürger beraten. Auch dazu wurden sie gewählt.
Was passiert, wenn beim Referendum das Quorum nicht zustande kommt oder wenn das Nein gewinnt?
Dann haben wir gar nichts. Keine Schutzklausel und keine Möglichkeit, mit einem ein-
facheren Verfahren als einem Verfassungsgesetz zu neuen Kompetenzen zu kommen. Bei der Gesetzgebungsprozedur bliebe alles beim Gleichen, die Gesetze und die Verantwortung würden weiterhin zwischen Senat und Kammer hin- und hergeschoben und ohne Schutzklausel können wir unseren „Konvent“ zur Anpassung des Autonomiestatutes an die neuen Gegebenheiten auch gleich „einpacken“. Ein „Aufschnüren“ ohne die Garantie des „Einvernehmens“ wäre höchst unverantwortlich. Wir werden uns mit neuen Reformvorschlägen auseinandersetzen müssen, bei denen vielleicht wirklich die Sonderautonomien in Frage gestellt werden und bei denen nicht nur die Provinzen abgeschafft, sondern die Regionen zu
Makroregionen zusammengefasst werden sollen.
Wie erklären Sie einem Vinschger Bergbauern, dass es besser ist, mit Ja zu stimmen?
Stillstand ist immer schlecht. Jede Reform birgt zwar Gefahren in sich, aber meist auch Chancen. Mit einem „Nein“ kriegen wir nicht automatisch eine bessere Sicherungsklausel oder ein Vetorecht für den Landtag. Alles bleibt beim Alten, auch unser Autonomiestatut.
Wie bewerten Sie das geplante neue Wahlgesetz? Auch dieser Vorschlag stößt bei Oppositionsparteien in Südtirol auf harsche Kritik. Geht es der SVP nur um ihre eigenen Sessel in Rom?
Das aktuelle Wahlgesetz ist aus Südtiroler Sicht gut. In jedem der 4 Wahlbezirke gewinnt jener Kandidat bzw. jene Kandidatin, der bzw. die am meisten Stimmen auf sich vereinigen kann. Wie bei der Direktwahl der Bürgermeister. Die Opposition muss sich zusammenraufen und gute Kandidaten präsentieren. Wird das Wahlgesetz nach dem Referendum in dem Sinne geändert, dass der Mehrheitsbonus nicht der stärksten Partei, sondern der stärksten Koalition zu Gute kommt, dann muss man halt vor der Wahl auf der richtigen Seite stehen. Bei den letzten Wahlen waren Bersani und Berlusconi nur 0,26% voneinander getrennt. Wir als SVP waren mit unseren rund 140.000 Stimmen auf der richtigen Seite, aber es hätte auch anders ausgehen können, und wir hätten uns ordentlich die Finger verbrannt. Bei der Frage stärkste Partei oder stärkste Koalition spielt die SVP aber wirklich keine Rolle. Das wird auf einer ganz anderen
Ebene „ausgeschnapst“.
Josef Laner