Am Limit, aber voll engagiert
Schwierige Phase im Wohnhaus der Lebenshilfe
Im Bild (v.l.): Sieglinde Platter, Claudia Dietl, Hartmut Pircher, Wilfried Kaserer, Martin Nagl, Georg Horrer und Franca Marchetto.
22 Bewohnerinnen und Bewohner werden derzeit im Wohnhaus der Lebenshilfe Schlanders und in der Wohngemeinschaft im Holzbruggweg betreut und begleitet.
22 Bewohnerinnen und Bewohner werden derzeit im Wohnhaus der Lebenshilfe Schlanders und in der Wohngemeinschaft im Holzbruggweg betreut und begleitet.

„Personalmangel bringt uns an die Grenzen“

Georg Horrer: „Es braucht verstärkt eine berufsbegleitende Ausbildung und eine höhere Entlohnung.“

Publiziert in 9 / 2022 - Erschienen am 10. Mai 2022

Schlanders - Wer im Haus Slaranusa der Lebenshilfe Vinschgau in Schlanders arbeitet, hat nicht mit Geräten und Maschinen zu tun, sondern mit Menschen. Mit Personen, die unterschiedliche Beeinträchtigungen haben und für die das Wohnhaus im Haus Slaranusa sowie die Wohngemeinschaft im Holzbruggweg das Zuhause sind. „Ich lebe nicht an deinem Arbeitsplatz. Du arbeitest in meinem Zuhause!“ Diese Worte, zu lesen auf einem gemalten Bild im Wohnhaus, bringen die Wünsche und Sichtweise der betreuten Menschen klar und einfach auf den Punkt. Für das Betreuerteam sind diese Worte zugleich ein Auftrag: „Wir sind sozusagen die Familie der Bewohnerinnen und Bewohner, und zwar an 365 Tagen im Jahr, Tag und Nacht. Vieles, was auch in ‚normalen’ Familien gemacht wird, geschieht auch hier bei uns. Wir gehen ins Kino, verbringen zusammen die Freizeit, machen Ausflüge und sind auch an Wochenenden zusammen.“ So beschreiben Georg Horrer, der Bereichsleiter für Arbeit in der Lebenshilfe und Leiter des Hauses Slaranusa, der Leiter der Wohngruppen Wilfried Kaserer, der Leiter des Arbeitsverbundes Martin Nagl, die Krankenpflegerin Sieglinde Platter, die Sozialbetreuerin Claudia Dietl, der Sozialbetreuer Hartmut Pircher und Franca Marchetto, die Leiterin des Bereiches Wohnen bei der Lebenshilfe, die Tätigkeit und das Arbeiten in den Wohngruppen.

Mitarbeiterteam sank von 25 auf 17

Hand in Hand mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie sah sich auch das Haus Slaranusa mit teils großen Schwierigkeiten und bis dahin nie dagewesenen Herausforderungen konfrontiert. Abgesehen davon, dass sich das Virus im Zuge der zweiten Welle ab November 2020 nicht nur bei den Bewohnerinnen und Bewohnern ausbreitete, sondern auch das Mitarbeiterteam erfasste, kam es später aufgrund der Impflicht zu Suspendierungen und schließlich auch zu Kündigungen. „Nun sieht es leider so aus, dass die Mitarbeiterzahl von 25 Voll- bzw. Teilzeitbeschäftigten in der Zeit vor Corona auf 17 gesunken ist“, gibt Wilfried Kaserer zu bedenken. „Wir bräuchten dringend mindestens 8 neue Kräfte“, ergänzt Georg Horrer, um die derzeit 22 Bewohnerinnen und Bewohner gut betreuen und begleiten zu können. Erschwerend dazu kommt laut Kaserer und Horrer, „dass bei weitem nicht alle Personen, die bei uns wohnen und leben möchten, aufgenommen werden können.“ Im Gegenteil, „wir haben eine lange Warteliste.“

„Wir geraten an die Grenzen“

Dass sich der Mitarbeiterschwund auch negativ auf das verbliebene Team auswirkt, liegt auf der Hand. „Vor Corona waren wir noch fast wie eine große Familie, nachher wurde plötzlich vieles schwierig oder unmöglich“, blickt Claudia Dietl zurück, die seit 1996 als Betreuerin im Wohnhaus arbeitet. „Gemeinsam ins Kino gehen, eine Pizza essen oder zusammen in den Urlaub fahren war nicht mehr denkbar.“ Dass familiäre Klima habe Schaden genommen und auch die Beziehungen zwischen den Betreuten und Betreuenden hätten gelitten: „Die Bewohnerinnen und Bewohner sind uns ja ans Herz gewachsen.“ Dass der Personalmangel die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an ihre Grenzen gebracht hat und nach wie vor bringt, bestätigt auch Hartmut Pircher, der seit 12 Jahren als Quereinsteiger im Wohnhaus arbeitet. Zuvor hatte er 20 Jahre während der Sommermonate als Hirte verschiedene Almen in der Schweiz und im Trentino bewirtschaftet.

Arbeit und Ausbildung

Zum Sozialbetreuer wurde Hartmut im Zuge einer berufsbegleitenden Ausbildung. Später unterstützte ihn die Lebenshilfe bei einer Zusatzqualifikation (Sozialpsychiatrie). „Die Kombination von Arbeit und Ausbildung empfand ich als sehr sinnvoll,“ blickt Hartmut zurück. Die unterschiedlichen Dienstzeiten im Wohnhaus, in dem 5 Wohngemeinschaften im Turnusdienst betreut werden, bezeichnet er als abwechslungsreich. Die unterschiedlichen Aufgaben, wie Kochen, Tätigkeiten bei der Freizeitgestaltung oder unterstützende Pflegemaßnahmen seien fordernd und bereichernd in einem. Die Hauptarbeitszeit konzentriert sich in der Regel auf den Nachmittag. Die wesentliche Aufgabe im Wohnhaus sei es, „die Bewohnerinnen und Bewohner bei ihren alltäglichen Bedürfnissen und Wünschen in einer wertschätzenden Art und Weise zu unterstützen“ und ihnen beim „Erleben sozialer Kontakte und bei der Teilhabe am kulturellen und gesellschaftlichen Leben behilflich zu sein.“ Das können Konzerte sein, Theateraufführungen, Barbesuche und vieles mehr. Gefragt seien nicht so sehr „Experten“ mit Methoden und Techniken, „sondern eine feinfühlige und offene Grundhaltung.“

Der Wert des Zwischenmenschlichen

Was Sieglinde Platter an ihrer Arbeit als Krankenpflegerin im Haus Slaranusa besonders schätzt, ist das Zwischenmenschliche und das Vertrauen, das sich zwischen den betreuten Menschen und den Betreuenden bildet. Der Lebenshilfe ist es gelungen, Sieglinde Platter im Juli 2021 als festangestellte Fachkraft zu gewinnen. Zuvor hatte sie im Krankenhaus und im Seniorenheim gearbeitet. „Es ist für uns eine große Stütze, eine Krankenpflegerin im Haus zu haben, man denke zum Beispiel nur daran, dass Blutabnahmen direkt im Haus erfolgen können“, sagt Georg Horrer und erinnert gleichzeitig daran, dass es eigentlich die Zuständigkeit des Sanitätsbetriebes wäre, diese Stelle zu besetzen. Was Sieglinde Platter u.a. noch in den Raum wirft, sind bestimmte, aber eigentlich nicht begründete Berührungsängste, die manche Menschen haben, wenn es darum geht, sich für eine Arbeit mit Personen mit Beeinträchtigungen zu entscheiden: „Wer diese Hemmschwelle überwindet, merkt rasch, wie interessant, befriedigend und bereichernd eine solche Arbeit sein kann.“ Im Gegensatz zu anderen Arbeitsumfeldern „spielen hier das Zwischenmenschliche und das Vertrauen noch eine große Rolle.“

„Saugkraft“ der Schweiz

Einig sind sich alle darin, dass viele Fachkräfte vom Arbeitsmarkt in der Schweiz „aufgesogen“ werden, nicht zuletzt deshalb, weil die Löhne dort viel höher sind. In einer besseren Bezahlung für Berufe im Sozialbereich sieht Georg Horrer eines der wichtigsten Anliegen. Sein Appell an die Politik ist entsprechend klar: „Die Leistungen im Sozialbereich sind total unterbezahlt. In diesem Punkt muss die Politik endlich handeln.“ Horrer bezieht sich dabei nicht nur auf die Lebenshilfe, sondern auch auf die Seniorenheime und andere soziale Einrichtungen: „Es ist mittlerweile leider so, dass wir uns gegenseitig Personal abwerben und das kann es wirklich nicht sein.“ Einen großen Handlungsbedarf sehen er und Franca Marchetto auch im Bereich der Ausbildung: „Das Ausbildungsmodell für soziale Berufe muss dringend überdacht und angepasst werden.“ Als unbedingt notwendig und zielführend erachtet Horrer eine berufsbegleitende Ausbildung. Marchetto kann sich auch verstärkt Praktika für Studentinnen und Oberschülerinnen vorstellen sowie Schnuppertage und Sommerjobs im Haus der Lebenshilfe. 

Auch freiwillige Mitarbeit ist gefragt

Erschwert haben die Corona-Einschränkungen auch die Mitarbeit von Freiwilligen im Wohnhaus der Lebenshilfe. Die Bereitschaft von Ehrenamtlichen, mit den betreuten Menschen spazieren zu gehen, sie ins Dorf zu begleiten oder mit ihnen die Freizeit zu verbringen, hat abgenommen. Martin Nagl hofft, dass sich auch diese Situation bald wieder bessern wird: „Unser grundsätzliches Bemühen, das Haus zu öffnen, mit den Betreuten hinaus zu gehen und Menschen von außen ins Haus zu holen, wurde infolge der Pandemie eingebremst, aber wir setzen alles daran, diesen Weg weiterzugehen.“ Nicht unerwähnt lässt Georg Horrer im Rückblick auf die zwei Corona-Jahre, „dass wir uns stets bemüht haben, all das, was nur irgendwie möglich war, in Eigenverantwortung zuzulassen.“ So habe man zum Beispiel den Betrieb im Wohnhaus immer aufrecht erhalten und den sozialen Kontakt zu den Angehörigen so weit wie möglich unterstützt. Der Arbeitsverbund im Haus Slaranusa, wo die in den Wohngemeinschaften betreuten Menschen in der Regel untertags beschäftigt sind, musste zeitweise geschlossen bleiben. Das Team des Arbeitsverbundes half in dieser schwierigen Zeit dankenswerterweise mit, fehlende Dienste im Wohnbereich abzudecken.

Hilfe für selbstbestimmtes Leben

An der großen und vielschichtigen Aufgabe, den betreuten Menschen ein weitgehend selbstbestimmtes Leben und Wohnen zu ermöglichen, hält das gesamte Mitarbeiterteam der Lebenshilfe fest. „Besser gerecht werden könnten wir unserem Auftrag, wenn sich Leute bereit erklären, bei uns zu arbeiten und uns auf diesem Weg zu begleiten“, sagt Georg Horrer.

Josef Laner
Josef Laner

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