Windkraft: Der Einstieg war schon der Ausstieg
Der Stein des Anstoßes. Das Windrad steht zu nahe am Weiler Alsack.

Windkraft gegen Volkskraft. Aber war’s das schon?

Publiziert in 19 / 2012 - Erschienen am 16. Mai 2012
Haben wir eine Vinschger Variante von Wutbürgern erlebt? War das schon der Ansatz einer Piratenpartei oder wurden die ersten Südtiroler Wind-„Nimbys“ aktiv, die sehr wohl für die Windenergie sind, aber „not in my backyard“, nicht in meinem Hinterhof? von Günther Schöpf Vielleicht ist es schlicht und einfach nur Wahlkampf. Wie auch immer: Im Herbst werden die Windräder auf den „Multn“ abgebaut und wieder ins Wipptal zurück transportiert. Die nur 500 Meter vom größeren der zwei Windräder entfernt wohnenden Alsacker können wieder schlafen und die Hoader wieder „Ortler und Longkreiz schaugn“. Die „Bürgerinitiative Malser ­Haide“ hat sich gegen die „Miteigentümergemeinschaft Windkraft Marein“, also gegen die Gemeinden Mals, Graun, Glurns, ­Schluderns, das Vinschger Elektrizitätskonsortium (VEK), die E-Werke Prad und Stilfs, die Schludernser Energiegenossenschaft (SEG) und die Energiegenossenschaft Oberland (EGO) durchgesetzt. Dass die geballte Vinschger Stromkompetenz, vor welcher Landesregierung und SEL zittern, ausgerechnet gegen eine lose, überparteiliche Gruppe den Kürzeren zog, hat mehrere Gründe. Ausschlaggebend war natürlich: Man hat versäumt, um eine Genehmigung anzusuchen. Aber da wäre noch die fatale Informationspolitik und die Einbildung - oder nennt man es Arroganz? - dass man den Leuten ja nicht alles auf die Nase binden muss. Die Anhänger der Bürgerinitiative sind ein buntes Völkl. Bürger aus St. Valentin, Alsack, Ulten, Plawenn und ­Burgeis gehören dazu. Touristiker oder auch Verwalter ergänzen die amorphe Truppe. Und natürlich sympathisieren mit der Initiativgruppe quer durch den deutschen Sprachraum auch Liebhaber des Vinschgaus, Landschaftsschützer, Umweltschützer und Heimatpfleger. Gleichzeitig nützten viele in der Gemeinde Mals die Gelegenheit, den derzeitigen Machern im Rathaus gehörig am Zeug zu flicken. Die Protestbewegung hatte sich quasi aus dem Stand gebildet. Und zwar am 4. November 2010, als „Der Vinschger“ damals titelte: „Die neue Windkraftstudie ist da“. Die Fotomontage aus der Umweltverträglichkeitsstudie mit sieben Windrädern, um 90 Meter höher als die zwei bestehenden, wurde der auslösende Schock. Ein Schildbürgerstreich Peter Gasser erinnert sich gut an die ersten Septembertage des Jahres 2003: „Es herrschte Aufbruchsstimmung damals, als das ­erste Windrad stand. Die Firma Leitner hat dann im Oktober ein Zeltfest ausgerichtet und die Burgeiser Musi spielen lassen.“ Der Malser Tierarzt ist derzeit begehrter Gesprächspartner für viele Medien, einmal wegen seiner kräftig formulierten Standpunkte, dann wegen seines Rufes als streitbarer Umweltschützer, der „von allem Anfang an fasziniert von der Windenergie“ war, wie er erzählte. „Beim zweiten Windrad, das irgendwann gekommen ist, hab ich mich schon gewundert, wie weit es Richtung ­Alsack aufgestellt worden ist, aber das wird wohl mit der Grundverfügbarkeit zu tun gehabt haben. Die Windräder waren für mich immer zwei Landmarken, die ein neues Zeitalter symbolisierten. Dass wir in unserer Region, in unserer kleinen Gemeinde auf moderne Energieformen zurück greifen, hat mich schon mit Stolz erfüllt. Andrerseits hatte ich als Umweltschützer die Hoffnung, dass damit der eine oder andere Bach seine Ruhe haben wird. Eine weitere Hoffnung war die Wende zur regionalen Energie­autarkie und die Einrichtung eines Windkraftkompetenzzentrums. Jetzt müssen die Räder abgebrochen werden, um viel Geld und ohne Wenn und Aber. Ein gewaltiger Schildbürgerstreich. Dass die Windräder problematisch für die Landschaft sind, ist mir klar. Dass sie zu einer Beeinträchtigung einiger Bürger führen, muss sehr ernst genommen werden. Mich frustriert aber die polemische Art und Weise, mit der so eine wichtige Angelegenheit für den Obervinschgau vom Tisch gewischt wird. Ohne dass man Gelegenheit hatte, sich über eine Bürgerversammlung zu informieren, ohne dass der Bürger Gelegenheit hatte, sich zu äußern, wie er dazu stehe.“ Gasser machte keinen Hehl daraus, wer dafür verantwortlich ist. Die Klasse der Politiker – wie er sich ausdrückt – und die Miteigentümer hätten es versäumt, das Thema offensiver unter die Menschen gebracht und das Für und Wider klar auf den Tisch gelegt zu haben. „Bevor sich eine Debatte entwickeln konnte, haben die in Bozen dann den Riegel mit einem Gesetz zugemacht“, entrüstete sich Gasser. „Ich bin überzeugt, dass wir spätestens in zehn Jahren – aber so lange dauert es gar nicht – uns des absurden Schildbürger­streiches bewusst werden.“ Politisch überfahren Bürgermeister ­Ulrich Veith war anzumerken, dass er die Sache zum Abschluss bringen will. Gassers Kritik nahm er zur Kenntnis. Wenn die Rede auf die Verlängerung der Ermächtigung kam, um die anzusuchen man versäumt hatte, verzichtete er auf jede Schuldzuweisung. „Demokratiepolitisch haben wir einen Fehler gemacht“, räumte er ein. Man habe sich „von ein paar Schreiern einschüchtern lassen“ und von den Medien dauernd aufs Dach bekommen. Die Befürworter hätten mehr oder weniger geschwiegen. Damit steht fest: Für den Malser Bürgermeister wird dieses erste Kapitel Windenergie unter Bauchweh und wahrscheinlich auch mit einem Imageschaden zu Ende gehen. Zum wiederholten Male machte er aufmerksam: „Wir hatten die Bürgerversammlungen bereits geplant. Wir hatten uns getroffen, um die angekündigte Informationsbroschüre auf den Weg zu bringen. Dann ist uns das Landesgesetz angekündigt worden. Wir hätten es aber durchziehen sollen. So weiß man gar nichts. Ich bin überzeugt, dass eine Befragung zu den zwei bestehenden Windrädern positiv ausgefallen wäre. Bei sieben bin ich auch skeptisch gewesen. Für das Landschaftsbild wäre dies zu viel gewesen.“ Was die Verlängerung der Betriebsgenehmigung betreffe, ergänzte Veith, hätten noch im Februar 2011 sowohl der Landesrat, als auch der Landeshauptmann eine Ausnahmegenehmigung für fünf Jahre angekündigt. „Das wäre für uns gut gegangen; bis dahin hätte es auch eine neue Technologie gegeben. Technisch war ich damals zu blauäugig, politisch bin ich überfahren worden. Einen Passus zu den zwei Windrädern im Gesetz unterzubringen, wäre möglich gewesen. Das haben wir aber alle zusammen verschlafen.“ Objektiv darüber reden Peter Gasser sah Vorgangsweisen und Reaktionen in Sachen Windräder auch als Lehrbeispiel direkter ­Demokratie. Demokratische Entscheidungen können unterstützen und auf jeden Fall entlasten. Mit einer Bürgerabstimmung nach rückhaltloser Bürgerinformation hätten verbindliche Entscheidungen getroffen werden können. „Wir müssen lernen, dieses Instrument in die Hand zu nehmen“, meinte er. „Die Bevölkerung muss mitgenommen werden. Wenn sie nicht mit will oder nicht teilnimmt, ist dies ein anderes Kapitel.“ Auf die Frage, wie er mit den Beschwerden aus Alsack umgehen wolle, meinte der Umwelt schützende Windkraft-Befürworter Gasser: „Sehr, sehr ernst nehmen. Diesen Problemen auch nachgehen. Lärm ist eine physikalisch messbare Größe. Es gibt die Einheit Dezibel und die ist nachzumessen. Wir müssen wissen, um welche Größen es geht. Nur davon reden, dass der Lärm unzumutbar ist, ist zu wenig. Ich bin überzeugt, dass 50 Prozent der Südtiroler Bevölkerung unter Lärm leiden und in unzumutbaren Verhältnissen leben. Beim Infraschall gibt es auch unterschiedliche Aussagen, aber dazu müssen Fachleute gehört werden. Die Erkenntnisse müssen in ein Konzept einfließen. Ich kann mir vorstellen, dass das Windrad tatsächlich zu nahe bei Alsack steht und dass es näher zur Staatstraße hätte kommen müssen, wo ohnehin Lärm besteht. Es muss aber objektiv darüber gesprochen werden.“ Zeit für Lösungen Zu den kürzlich aufgetauchten Vorwürfen, seit Monaten nicht imstande gewesen zu sein, Kontakt zur Firma Leitner aufzunehmen, erklärte Ulrich Veith: „Nachdem im November letzten Jahres die Absage gekommen ist, hab ich natürlich sofort mit Leitner Kontakt aufgenommen. Aber ich gebe ehrlich zu, dass ich keinen Stress gehabt habe. Schließlich brauchen wir im Winter die Energie. Inzwischen liegen die Kosten für den Abbruch ohne Beseitigung der Betonsockel vor.“ Man spricht von mindestens 500.000 Euro. Woher soll das Geld kommen? „Wir haben 2011 keine Erträge an die Miteigentümer ausgeschüttet“, erklärte Veith, „um mögliche Abbaukosten zu decken. Derzeit wird untersucht, wer wie viel zahlen muss. Alles ist noch offen.“ „Letztendlich darf es der Bürger zahlen“, warf Gasser dazwischen. Veith: „Einen Teil wird Leitner zahlen, das ist kein Thema“. Es gibt also kein Zurück mehr? „Für die beiden Windräder auf keinen Fall. Auch Altbürgermeister ­Albrecht Plangger hat sein Wort gegeben: verlegen oder abbauen. Ich schließe aber nicht aus, dass man die Diskussion zur Windkraft auf demokratischer Basis wieder aufnimmt. Ich gebe Fehler zu und jetzt ist es an der Zeit, Versprechungen zu halten und Probleme zu beseitigen: das Landschaftsproblem in St. Valentin und das Lärmproblem für Alsack. Aber es geht nicht nur um Einnahmen aus Windkraft, es geht um das Projekt energieautarker Obervinschgau.“ Zum Abbau meinte Gasser: „Es fragen sich viele, ob wir uns solche Wahnsinnstaten leisten können. Schlimmer noch. Es wird von der Landesregierung signalisiert, dass wir uns für alle Ewigkeit von der Windkraft verabschieden müssen. Der Abbau kann doch nicht ausschließen, dass wir entlang der Straße einen kleinen Windpark errichten könnten, von dem wir alle etwas davon haben.“ Heftiger Gegenwind Hans Zagler und die Initiativgruppe hatten es verhältnismäßig leicht, Versäumnisse nachzuweisen und Widersprüche aufzudecken. Die ganze Wahrheit sei nie auf den Tisch gelegt worden, sagte er. Versprechungen wurden nicht eingehalten. Man habe nur die Kilowattstunden vor Augen gehabt. Die Befindlichkeiten der Menschen wurden abschätzig als „subjektiv“ kommentiert. Es habe wie ein Hohn geklungen, wenn Georg Wunderer von einer „energieautarken und daher touristisch attraktiven ­Region“ geschrieben habe. Als Beweis, dass man der Bevölkerung nie reinen Wein einschenken wollte, legte Zagler ein Rundschreiben des ehemaligen Bürgermeisters Albrecht Plangger an die Hoader vor. Es soll verteilt worden sein, kurz bevor der damalige Gemeinderat Theo Noggler am 21. September 2003 im Namen der Union für Südtirol in der Grundschule von St. Valentin eine Bürgerbefragung durchführen ließ. Im Rundschreiben steht fett gedruckt und schwarz eingerahmt: „Es geht um dieses eine Testrad: ob dieses bleiben oder nach der Testphase wieder abgebaut werden soll und nicht um weitere Windkrafträder“. „Und was ist geschehen?“ fragte Zagler. „Im Dezember 2005 ist das zweite aufgestellt worden. Einfach so.“ Als nächstes Beweismittel legte Hans Zagler den Vertrag der Miteigentümergemeinschaft mit der Firma Leitner in der Fassung vom 17. Februar 2004 vor. Unter Punkt 1 der Vereinbarung einigten sich die Parteien, „für die Dauer von 30 Jahren errichten und betreiben die oben angeführten Körperschaften auf der Parzelle (….) oder auch auf anderen zur Verfügung stehenden Grundstücken (…) a) eine Windkraftanlage von 1,2 MW Leistung auf Marein (…), b) eventuell weitere 4 bis 5 Windturbinen (…).“ An dieser Stelle ist zu vervollständigen, dass es 2010 einen Bürgermeisterwechsel in Graun und 2008 den in Mals gegeben hat. Sowohl Heinrich Noggler in Graun, als auch Ulrich Veith haben sich mit dem umstrittenen Erbe ihrer Vorgänger auseinandersetzen müssen. Vieles spricht dagegen Hans Zagler ließ es nicht bei den Unterlagen bewenden. „Der Kopf der Bürgerini­tiative“ führte auch die Reaktionen der Autofahrer beim Schattenschlag an; er zitierte die Carabinieri, die von einer Häufung von Auffahrunfällen berichtet hätten. Er erzählte von den Reaktionen der Gäste, als man ihnen die Fotomontage laut Studie gezeigt habe. Er verwies auf die bestätigenden und ermutigenden Schreiben von Ärzten und legte das Dossier eines Mediziners aus ­Padua vor mit Untersuchungen zur Infra-Schall Problematik in der Nähe von Windkraftanlagen. Zagler wies nach, dass man nicht von einer Amortisation der Windräder reden könne, wenn der Firma Leitner Pacht zu zahlen sei. Er kreidete an, dass jetzt der Steuerzahler beim Abbau zum Handkuss komme und damit das unternehme­rische Risiko für Leitner weggefallen oder zumindest minimiert worden sei. Er erwähnte, dass die Malser Haide als Landschaftsschutzgebiet ausgewiesen und kein Landwirtschaftsgebiet sei, wie im Ansuchen um Betriebsgenehmigung geschrieben worden war. Er gab an, dass die Firma Leitner bereits weitere Grundstücke erworben habe. Zagler bezweifelte auch die Höhe der Abbruch-Spesen. Leitner hätte im Pachtvertrag von 50.000 Euro geschrieben. Er bezweifelte weiters die Rentabilität der Anlagen, da nie Baukosten und Wartungsspesen eingerechnet würden. Viele Aspekte sprächen gegen Windkraftanlagen, zeigte sich Zagler überzeugt und führte die Beeinträchtigung der Landschaft an und damit des Erholungsraumes, das Problem für die Gesundheit durch Schall in Bergebieten, das wirtschaftliche Risiko bei Windflaute, die fehlende Möglichkeit, nicht nach Bedarf produzieren zu können, die Lebensdauer einer Anlage von 15 bis 20 Jahren, die Geschäftsinteressen, für die das Schlagwort saubere Energie herhalten müsse und die Suggestion vom billigen Strom, ohne anzuregen, Strom zu sparen.
Günther Schöpf
Günther Schöpf
Vinschger Sonderausgabe

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