Weniger Bürger, aber mehr Sorgen
Bürgermeister Hartwig Tschenett im Gespräch
Im Besprechungszimmer mit Bürgermeister Hartwig Tschenett.
Es waren Bergleute, die Stilfs an den Hang gebaut haben.

„Wir machen uns große Sorgen“

In der Gemeinde Stilfs steckt Potential, aber derzeit herrscht Stillstand.

Publiziert in 9 / 2019 - Erschienen am 12. März 2019

Stilfs - Bürgermeister Hartwig Tschenett erwartete den der Vinschger am Rathaus. Gemeinsam wurde beobachtet, wie Hotelgäste mühevoll versuchten, aus- und einzuparken. Eine typische Szene in den engen Gassen von Stilfs. Eng war auch der Treppenaufgang im Rathause und eng war es im Besprechungszimmer, das auch als Lagerraum dient. Fast 10 Jahre lang hat Bürgermeister Tschenett aus dieser Enge die Geschicke seiner Gemeinde geleitet – fast mit Blick auf die „unendliche Baugeschichte“ des neuen Mehrzweckhauses mit den neuen Gemeindeämtern auf der anderen Seite des Tramentan-Baches.

der Vinschger: Der erste Beitrag der Tagespresse im neuen Jahr zu Stilfs befasste sich mit dem „Bau des Mehrzweckhauses“. Schon in der Ratssitzung vom 14. November 2016 hat es geheißen, irgendwann im Jahre 2017 sollen die Gemeindeämter umziehen. Wie erklärt man sich, dass es noch nicht dazu gekommen ist?

Hartwig Tschenett: Wir hatten vor allem mit der Elektro-Firma aus Pistoia große Probleme. Sie ist in finanziellen Schwierigkeiten. Dadurch haben sich die Arbeiten stark verzögert. Menschlich hatten wir keine Probleme. Der Chef hat erklärt, dass er selbst im Stich gelassen worden ist und weder von der Bank, noch von den Zulieferern was bekommt.

Ist das der einzige Grund für die Verzögerung?

Es gibt natürlich mehrere Gründe, aber der Hauptgrund ist genau dieser. Die anderen Firmen können dann nicht weitermachen. Wenn ein Radl nicht mehr greift… Mit der Elektrofirma ist noch nicht alles geregelt. Natürlich gäbe es die Möglichkeit, mit anderen Firmen weiterzumachen, aber wie gesagt, das Rechtliche ist noch nicht geklärt. Das kostet halt viel Kraft und Zeit.

Wie lange müsst oder wollt ihr noch warten mit dem Umzug?

Heuer hoffen wir schon stark, dass wir einziehen können. Man traut sich aber nichts mehr zu sagen. Man muss sich dann immer rechtfertigen.

Wie meinen Sie das?

Ja, wenn man 2016 schon hat verlauten lassen in der Ratssitzung, dass man umziehen will und jetzt, 2019, ist immer noch kaum Aussicht… Gottseidank ist der Kindergarten schon „dert“, schon das zweite Schuljahr. Das hat schon gepasst. Wir freuen uns sehr, dass wir dort wieder mehr als 20 Kinder haben.

Wie geht es weiter?

Demnächst zieht der Doktor (Arzt) ein.

Jetzt einen Schwenk zurück ins Dorf. Gibt es eigentlich die Arbeitsgruppe zur „Widerbelebung der Bautätigkeit im Altdorf“ noch?

Es gibt in dem Sinne keine Arbeitsgruppe, aber es gibt Personen, die sich interessieren. Doch es gibt ein sehr spannendes Projekt.

Sie wollen nicht näher darauf eingehen?

Nein, wenn es nicht spruchreif ist, hat es wenig Sinn. Sonst heißt es wieder, es wird nur groß geredet.

Derzeit hängt ja der Parkplan aus. Hat sich die Gemeinde Stilfs schon damit befasst, sind schon Einwände oder Vorschläge auf dem Weg?

Die ersten Einwände von den Bürgern – Bauern und ein Privater - sind eingetroffen und die Gemeinde hat ja noch 60 Tage Zeit, sich mit der Thematik zu befassen und selbst Eingaben zu machen. Wir sind schon dabei, das eine oder andere festzuhalten.

Grob gesagt, um was geht es bei den Einwänden der Landwirte?

Das betrifft jene, die auf Höfen und in Höfegruppen leben und mit den Abständen von 12 Metern bei Erweiterungen Probleme haben. Man muss sich vorstellen, vor sich haben sie womöglich die Straße und auf einer Seite den Nachbarn.

Ist das ein typisches Problem der Gemeinde Stilfs?

Nein, nein, das schafft Probleme auch in der Gemeinde Martell. Ein großes Problem ist außerdem, dass Schutzhütten und Restaurants von Aufstiegsanlagen nur mehr 15 bis 20 % Erweiterungsmöglichkeiten haben. 

Vor Jahren habe ich nachgefragt, wie es den einzelnen Fraktionen geht. Macht die Abwanderung aus dem Hauptort Stilfs immer noch Sorgen?

Es gibt Sorgen, große Sorgen sogar. Sie betreffen vor allem die vielen leer stehenden Häuser. Wir freuen uns zwar, weil wieder junge Familien da sind, aber das Grundproblem ist bei weitem nicht gelöst. Das Bauen im Altdorf ist ganz schwierig. Der Bestand an unbewohnten Häusern nimmt zu, weil vor allem im Altdorf viele alleinstehende Menschen leben und wenn die sterben, bleiben die Häuser leer. Wenn nur 3 oder 4 Personen von den derzeitigen, schwachen Jahrgängen gehen, ist das katastrophal. Große Sorgen machen wir uns über die Nahversorgung in den einzelnen Fraktionen. Erstaunlicherweise funktioniert das Vereinsleben noch gut. Stark spürt man es beim Sport. Wir kriegen keine Jugendfußballmannschaft mehr zusammen. Zu Weihnachten kein Kinderskikurs war vor wenigen Jahren noch unvorstellbar.

Gilt das mit der Abwanderung für die ganze Gemeinde oder nur für Stilfs?

Tendenzen zum Abwandern gibt es in der ganzen Gemeinde; allerdings ist jede Fraktion gesondert zu betrachten.

Wie viele Einwohner habt ihr derzeit?

1.141. 1970 waren es noch 1.570, im Jahr 2000 waren es 1.300. Würden die vielen ausländischen Arbeitskräfte in der Gemeinde ihren Wohnsitz nach Stilfs verlegen, würden die „Pro-Kopf-Quote“ und damit die Einnahmen steigen.

Weil Sie Sulden nennen. Wie sieht es mit der Tennishalle aus?

Auf der einen Seite brauchen wir sie dringend für die 5 bis 6 Veranstaltungen im Jahr. Das Problem ist die Verwendung übers restliche Jahr. Da hat sich eine Gruppe schon Gedanken gemacht und man stellt jetzt Überlegungen an. Für uns eine Riesenenttäuschung ist, dass man mit der Hintergrat-Bahn nicht weiter kommt durch den Einwand der Umweltverbände an das Verwaltungsgericht. Gemeinderat und Landesregierung haben die Hintergrat-Bahn einstimmig genehmigt und damit wäre die „Ortler-Ronda“ vollständig. Man könnte das Auto stehen lassen und man könnte die Runde mit den Skiern machen. Eine tolle Sache für Sulden. Jetzt ist es eine Riesenentäuschung  für alle. Die Seilbahnen wären bereit gewesen zu investieren. Seit dem Rekurs haben wir nichts mehr gehört.

Aber ihr seid dahinter?

Das sind wir dauernd.

In Trafoi, im ehemaligen Sorgenkind, scheint alles gut zu gehen. Der Trafoier Herzschlag, der Kleinboden-Lift, funktioniert? Was ist mit der Polizei-Kaserne?

Diese ist aufs Land übergegangen. Die könnte man kaufen. Das Land möchte über 2 Millionen und das ist für die Gemeinde Stilfs mit einem Gemeindehaushalt von ca. 4,3 Millionen illusorisch. Ideal wäre, vor allem für Kleinboden, wenn eine Hotelgruppe auf den Plan treten würde. Ein Riesenproblem ist, dass das Hotel Post im Moment geschlossen ist. Jedes Bett, das nicht belegt werden kann, fehlt den Aufstiegsanlagen. 

Jetzt zum Thema Stilfserjoch und Stilfserjochstraße.

Die zweite Enttäuschung. Man hat uns versprochen, die seit langem angekündigte Gesellschaft zu gründen, die Stilfserjoch GmbH. Man versucht auf Südtiroler Seite weiterzumachen. 

Wo hakt es?

Ich persönlich habe den Eindruck, dass sich nach den Wahlen in der Lombardei ein Personalwechsel vollzogen hat. Ein Zuständiger ist nach Rom gewählt worden.

Das kleine Gomagoi hat drei Objekte, die auf ihre Nutzung warten: die Festung, das Hotel Post und das Schulhaus.

Bei der Festung steht das Konzept. Die Landesregierung hat betont, dass sie dazu steht. Aber im Moment wissen wir nicht genau, warum es nicht weitergeht. Bei der Schule sind wir dabei umzuwidmen. Wir werden schauen, daraus 2 Wohnungen zu machen. Beim Hotel Post fehlt uns jeder Kontakt. Man munkelt, dass der Besitzer in Meran auch in finanziellen Schwierigkeiten stecke.

Und in Stilfser Brücke, wie lebt man dort?

Das größte Problem dort ist nach wie vor, dass kein öffentlicher Treffpunkt mehr besteht. Wenn man in so einem kleinen Ort keinen Platz zum Austausch mehr findet, steht es schlecht um‘s gesellschaftliche Zusammenleben.

Die Schlussfrage: Gibt es eine dritte  Kandidatur von Hartwig Tschenett? 

Das muss ich mir noch überlegen. Eine Entscheidung wird im Sommer fallen.

Günther Schöpf
Günther Schöpf

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