12 Kandidaten/innen stehen Rede und Antwort
Publiziert in 35 / 2013 - Erschienen am 9. Oktober 2013
Zahlreiche Themen aufs Tapet gebracht.
Oppositionsvertreter üben teils harsche Kritik. SVP-Kandidaten kontern.
Schlanders - Rund 170 Bürgerinnen und Bürger nahmen am 1. Oktober im Kulturhaus in Schlanders am politischen Diskussionsabend teil, zu dem der Vinschger im Hinblick auf die Landtagswahlen eingeladen hatte. Am Podium konnte die stellvertretende Geschäftsführerin Anna Paulmichl zwölf Vinschger Kandidaten/innen von fünf Parteien begrüßen. Zum Auftakt warteten die Parteienvertreter mit kurzen Statements auf. Gekonnt moderiert hat Eberhard Daum.
Hart in die Mangel genommen wurde die Regierungspartei SVP von Theo Noggler vom Bündnis „BürgerUnion - Ladins Dolomites - Wir Südtiroler“: „Es gibt zwei Realitäten in unserem Land. Jene der Politiker und jene der Bürger. Der Bürger wurde zum Bittsteller degradiert.“ Es brauche eine Vereinfachung der Politik: „Die Menschen sollen verstehen, was gesagt wird“. Ein besonderes Anliegen sei ihm die direkte Demokratie. In punkto Energie werde der Vinschgau seit 16 Jahren über den Tisch gezogen. Das politische System in Südtirol sei veraltet, „wir brauchen neue Vertreter, die endlich an die normalen Bürger denken.“ Nogglers Bündnis-Kollegin Christine Taraboi mahnte mehr Gerechtigkeit an sowie eine Stärkung der Familien und des kleinen Unternehmertums. Auch die Umwelt sei ihr ein großes Anliegen. Wolfgang Stocker, der dritte Vertreter des Bündnisses „BürgerUnion - Ladins Dolomites - Wir Südtiroler“, kritisierte überzogene Sicherheitsbestimmungen und zu hohe Steuern zu Lasten der Betriebe: „Es ist beinahe so, dass man immer mit einem Fuß im Knast steht. Es müssen Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass Betriebe wieder gewillt und auch in der Lage sind, Arbeitskräfte einzustellen.“ Der Staat stufe die Betriebe eher als „Feinde“ ein: „Eine Kuh, die man melkt, kann man doch nicht schlachten.“
„Die Grünen sehen den Menschen seit jeher in seiner Gesamtheit. Für uns steht das Gemeinwohl der Bevölkerung an oberster Stelle“, sagte Martin Daniel, Kandidat der Grünen. Bezüglich des Themas Energie forderte er eine stärkere Rolle seitens der Gemeinden ein. Das Land sollte die Marteller Konzession widerrufen und sie dem Vinschger Energiekonsortium übertragen. Mittelfristig sollte die SEL aus kleinen und mittelgroßen Kraftwerken aussteigen und die Anteile den Gemeinden zukommen lassen. Ernsthaft zu prüfen sei das Genossenschaftsmodell im Energiebereich. Daniel sprach sich weiters für bessere Anreize zur Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel aus und für eine Förderung des biologischen Anbaus. Umwelt- und sozialverträgliches Verhalten sei grundsätzlich auf allen Ebenen zu belohnen, in der Produktion ebenso, wie beim Konsum oder beim Verkehr. Die Schaffung einer Bioregion im Obervinschgau sei gemeinsam ins Auge zu fassen. Beim Thema Pestizide sei das Vorsorgeprinzip anzuwenden. Auch für mehr Steuer- und Verteilungsgerechtigkeit stünden die Grünen ein, für bessere direkte Beteiligungsmöglichkeiten der Bevölkerung mit erträglichen Hürden sowie für eine Aufwertung der Gemeinden gegenüber dem Land, vor allem auch was die finanzielle Ausstattung betrifft.
Die drei Vertreter der Süd-Tiroler Freiheit, Sieglinde Stocker Gander, Benjamin Pixner und Dietmar Rainer, sehen das derzeitige Grundübel in erster Linie beim Staat Italien begraben. „Erst heute wurde gemeldet, dass die Jugendarbeitslosigkeit in Italien die 40-Prozent-Marke erreicht hat. Es hapert in Italien in vielen Bereichen und Südtirol steckt im gleichen Sumpf“, beanstandete Benjamin Pixner. Wichtige Themen der Süd-Tiroler Freiheit seien daher die Volkstumspolitik und die Selbstbestimmung, „damit unser Land seinen eigenen Weg gehen kann.“ Auch Sieglinde Stocker Gander sieht angesichts der Tatsache, dass die vielgepriesene Südtiroler Autonomie bei jeder Regierungskrise in Rom ins „Wackeln“ gerät, in der Selbstbestimmung die einzige Alternative. Sie verwies auch darauf, „dass sich immer mehr Normalverdiener immer schwerer tun, über die Runden zu kommen. Die Preise steigen, die Steuern ebenso.“ Zum Thema Frauen und Familie regte sie eine Gleichbehandlung zwischen dem Sektor der öffentlich Bediensteten und der Privatwirtschaft an. Für Dietmar Rainer ist es wichtig, die Zahl der Einwanderer zu kontrollieren. Die Schere zwischen Arm und Reich klaffe immer weiter auseinander. Ein stärkeres Zusammenwachsen der Tiroler Landesteile sei ein weiteres Ziel seiner Partei. „Viele Probleme, die wir in Südtirol haben, wären ohne Italien leichter lösbar“, so Rainer.
André Pirhofer und Peppi Stecher nahmen als Vertreter der Freiheitlichen die SVP in die Mangel. „Vor den Wahlen wird viel versprochen, und nachher nichts getan“, so Pirhofer. Auch die SVP-Vertreter Richard Theiner und Sepp Noggler gehören laut Pirhofer dazu: „Nur gut aussehen, viel reden und nichts sagen ist zu wenig.“ (Noggler dankte Pirhofer später für das Kompliment des Gut-Aussehens). Solange die derzeitige Regierungspartei an der Macht bleibe, werde es keine wirklichen Veränderungen in Südtirol geben. Peppi Stecher prangerte an, dass in Südtirol derzeit bei der Besetzung fast aller Verwaltungsräte und Gremien die SVP-Parteikarte zähle. Auch die großen Verbände seien alle SVP-lastig. Es sei höchst an der Zeit die Postenvergabe zu entpolitisieren. Ein weiteres Anliegen der Freiheitlichen sei eine bessere Finanzierung der Gemeinden. Zu den speziellen Vinschger Themen der „Blauen“ gehören laut Stecher unter anderen die Elektrifizierung der Bahn sowie der Themenkreis Pestizide und Bienensterben. Was Südtirol insgesamt brauche, „sind neue Visionen, neue Köpfe und eine neue Art der Politik.“ Es sei das System, das kranke: „Es nütze wenig, ein paar gesunde Äpfel in eine Kiste voller fauler Äpfel zu werfen.“
Als sehr wichtiges Thema für den Vinschgau nannte der SVP-Vertreter Sepp Noggler die Entwicklung des ländlichen Raums. Es sei zwar gelungen, seit 1990 mit Förderprogrammen wesentliche Verbesserungen zu erzielen, „aber der Vinschgau ist noch immer strukturschwach und hinkt nach.“ Von den 13 Gemeinden seien immerhin 5 abwanderungsgefährdet. In der Energiepolitik sei bisher sehr wohl einiges für den Vinschgau erreicht worden. Einiges gebe es noch zu tun. Roselinde Gunsch Koch nannte die Arbeitsplatzbeschaffung als eines der wichtigsten Anliegen. Teilzeitstellen für Frauen gebe des derzeit zu wenige. Für Frauen gestalte sich der Wiedereinstieg in die Arbeitswelt nach der Mutterschaft oft schwierig. Es brauche eine flächendeckende Kinderbetreuung, auch mit neuen Modellen. Eine Absage erteilte sie dem Zentralismus: „Das Gericht ist geschlossen. Es darf nicht sein, dass weitere Ämter und Dienste in Bozen zusammengezogen werden.“ Richard Theiner nannte eine Reihe konkreter Maßnahmen: der fast 17. Mio. Euro teure Umbau des Bettentraktes am Krankenhaus Schlanders ist im Gang, die Umfahrung Kastelbell/Galsaun werde während der kommenden Legislaturperiode gebaut, an der Übertragung der Verwaltungszuständigkeit für den Nationalpark auf die Gemeinden im Vinschgau werde gearbeitet. Selbiges gelte für die Elektrifizierung der Vinschgerbahn.
Welchen Wert hat die Autonomie?
Etliche Publikumsfragen bezogen sich auf die Autonomie: Wie viel Wert hat sie tatsächlich, wenn sie der Staat sie bei jeder Gelegenheit mit Füßen tritt? Wäre es nicht besser, mit geeinter Kraft von Rom loszukommen? Während Benjamin Pixner und Dietmar Rainer im Selbstbestimmungs-Referendum den ersten Schritt für eine weiterfolgende Option sehen (Freistaat, zurück zu Österreich oder Verbleib bei Italien), riefen Richard Theiner und Sepp Noggler dazu auf, auf dem Boden der Realität zu bleiben. Ein Selbstbestimmungs-Referendum würde vom Staat niemals anerkannt und ein Freistaat sei schon deshalb illusorisch, weil Südtirol damit nicht mehr bei der EU wäre. Noggler: „Auch Südtirol hat Anteil am Schuldenberg des Staates und diese Schulden müsste Südtirol ‚mitnehmen’“. Die SVP-Vertreter plädierten für einen weiteren Ausbau der Autonomie. Theiner: „Es bringt nichts, etwas herbeizureden, was nicht realistisch ist.“ Im Publikum hingegen hieß es, dass man keine Angst davor haben müsste, dass Südtirol von der EU nicht aufgenommen würde. Peppi Stecher sagte, dass ein Freistaat sicher nicht von heute auf morgen geschaffen werde könne, aber längerfristig ist eine Vision für Südtirol unumänglich, um vom „Dilemma Italien“ wegzukommen.
Wohin führt die Pestiziddebatte?
Die Pestiziddiskussion ist laut Christine Taraboi derzeit festgefahren: „Es gibt nur mehr Gut und Böse. Die Fronten im Obervinschgau sind verhärtet.“ Sie plädierte für eine Volksabstimmung. Außerdem sei die gesamte Bevölkerung noch mehr zu sensibilisieren. Es brauche einen Konsens, die Landwirtschaft dürfe nicht nur in eine Richtung gefördert werden. Richard Theiner hat nichts gegen die Idee einer Bioregion, „aber so etwas kann nur auf freiwilliger Basis erfolgen, nie auf Zwang.“ Das, was sich seit einiger Zeit im Obervinschgau abspiele, „geht nicht. Es muss miteinander gesprochen werden und nicht übereinander.“ Martin Daniel glaubt nicht, dass weitere Apfelplantagen im Obervinschgau verhindert werden können. Er plädiert für eine Förderung der ökologischen Anbauweise und eine Vielfalt in der Landwirtschaft. Ein Bio-Bauer aus Schlanders kritisierte, dass in der öffentlichen Meinung alle Obstbauern als „böse“ dargestellt werden. Auch im Obervinschgau wird man nur mit einem Miteinander zu vernünftigen Lösungen kommen, „und wenn jemand nur deshalb auf Bio umstellt, weil es Förderungen gibt, ist er auf dem Holzweg. Was es braucht, ist die Überzeugung.“
Keine Patentrezepte gegen Arbeitslosigkeit
Einig war man sich am Podium und auch im Publikum, dass der Ausbau des Breitbandnetzes mehr als dringlich ist, vor allem zur Stärkung des Wirtschaftsstandortes Vinschgau. Etwas schwerer taten sich die Podiumsgäste mit Antworten auf die Frage, was man konkret tun könnte, um neue Arbeitsplätze zu schaffen. Roselinde Gunsch Koch nannte die IRAP-Senkung, die Telearbeit und die Schaffung neuer Arbeitsplätze im Sozialbereich. Laut Wolfgang Stocker sind in erster Linie die Betriebe zu entlasten, steuerlich ebenso wie bürokratisch. Benjamin Pixner kann sich vorstellen, bei europaweit ausgeschriebenen Arbeiten zu verhindern, dass Arbeiter aus anderen Staaten in Südtirol arbeiten, „weil unsere zu viel kosten.“ Laut Daniel Martin muss man auch die Ursachen der Arbeitslosigkeit analysieren. Zum Beispiel Aufnahmestopps in bestimmten Bereichen, die künftig wieder aufgehoben werden dürften. Christine Taraboi kritisierte, dass einerseits gepredigt werde, dass es gut ausgebildete Leute brauche, etwa im Sozialbereich, „aber wenn man dann vorstellig wird, heißt es: Aufnahmestopp.“ Sie hoffe sehr, dass das viele Geld, das jetzt im Krankenhaus Schlanders investiert wird, nicht nur in den Bau fließt: „Es braucht auch Dienste und das Personal.“ Auch im Publikum wurden ähnliche Bedenken geäußert. Richard Theiner sagte, dass der Aufnahmestopp vom Staat verfügt worden sei. Zu den Diensten hielt er fest, dass sie nicht nur erhalten, sondern sogar ausgebaut würden: „Bereits im November wird das komplementärmedizinische Angebot auf Schlanders ausgeweitet.“
Ruf nach direkter Demokratie
Auf die Frage, was die SVP unternimmt, wenn die Bevölkerung das von der SVP durchgeboxte Gesetz zur direkten Demokratie mehrheitlich ablehnen sollte, meinte Sepp Noggler: „Ganz einfach, dann ist das Gesetz vom Tisch und wir machen ein neues.“ Roselinde Gunsch Koch bedauerte, dass die Diskussion über die direkte Demokratie fast ausschließlich auf das Thema Abstimmungen reduziert werde. Wie ist es möglich, dass die SVP-Kandidatin Marie Mäve so schnell zur Staatsbürgerschaft gekommen ist? Auf diese Frage antwortete Richard Theiner: „An den Unterfertigten hat sie sich nicht gewandt.“ Er wisse nicht, über welche Kanäle sie die Staatsbürgerschaft so rasch erhalten habe.
Thema Verkehr
Zum Thema Verkehr meinte Sepp Noggler, dass kleinere Vorhaben, wie sie das Vinschger Verkehrskonzept vorsieht, umgesetzt wurden. Als Beispiel nannte er mehrere Kreisverkehre. „Das Geld für die Umfahrung Kastelbell/Galsaun wird bereitgestellt werden“, so Noggler. Was den Obervinschgau betrifft, so werde erst dann etwas geschehen, „sobald sich die Gemeinden einigen und dann dem Land auch sagen, was sie wollen.“
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Josef Laner