„Als Parteiobmann vielleicht zu eckig“
Publiziert in 43 / 2007 - Erschienen am 5. Dezember 2007
„Der Vinschger“: Eben ist Ihr Buch „Silvius Magnago. Ein Vermächtnis“ erschienen. War es ein Bedürfnis des Journalisten Peterlini, nach der Innensicht des Systems Magnago auch eine Innensicht des Anti-Systems Dietl zu präsentieren?
Hans Karl Peterlini: Die beiden Bücher sind parallel entstanden. Aber Sie sprechen etwas an, was mir wirklich ein Anliegen ist: Für mich gehört die Gegenseite, die Opposition, zum Gesamten. Wir Menschen spalten in unserer Wahrnehmung gern jene Hälfte ab, die uns nicht so genehm ist: für die Paketgegner hat Magnago nur Verzichtspolitik betrieben, für die Paketbefürworter waren die Gegner nur Miesmacher. Wir müssen in der Demokratie lernen, Mehrheitsentscheidung und Opposition als Beiträge einer Gesamtleistung zu erkennen. In Magnagos großartiger Verhandlungsleistung von 1961 bis 1969 ist der Widerstand, den Hans Dietl geleistet hat, eingewoben. Gerade das Wissen darum, dass da einer jeden Beistrich prüft und billige Ergebnisse nicht durchlassen will, hat Magnago auch die Kraft gegeben, wieder und wieder nach Rom zu fahren, um einen Beistrich mehr herauszuhandeln. Dank der Autonomie ist Magnagos Werk weitgehend anerkannt, jetzt scheint mir, ist es auch an der Zeit, die Leistung eines Hans Dietl zu würdigen.
Kann man überhaupt von einer Art Anti-System oder sagen wir Gegenspieler Magnagos reden?
Hans Karl Peterlini: Dietl war, von seiner Art und politischen Kultur her, schon so etwas wie ein geborener Opponent. „Ich scharf contra“ ist ein Lieblingssatz von Dietl in seinen Tagebüchern. Gegenspieler war er eher nicht, weil es kein Spiel für ihn war, sondern ein großer Ernst, er hatte ein ausgeprägtes politisches Verantwortungsgefühl. Und es ging ihm nie um die Person. Er hat Magnago ja zusammen mit Franz Widmann 1957 zum Obmann gemacht, damals gab es viele im Dietl-Lager, für die Magnago zu kompromisslerisch war. Dietl aber sagte, dieser Mann kann uns helfen, die Resignation zu überwinden. Bis Mitte der 1960er Jahre haben Dietl und Magnago eigentlich gut zusammengearbeitet, vor allem die für beide schwierige Macht der Athesia-Presse (die Magnago lange bekämpfte) hat sie zusammengeschmiedet. Dietl gründete ja sogar zwei Zeitungen: die „Realtà Sudtirolese“, um die italienische Bevölkerung zu erreichen, die „Südtiroler Nachrichten“, um das Meinungsmonopol der Athesia zu brechen. Und Magnago hat ihn da zunächst unterstützt. Zerbrochen ist das Bündnis, als Dietl die Autonomieverhandlungen Magnagos nicht mehr mittragen wollte. Dieser Bruch ist dann leider nie mehr verheilt, vielleicht weil Dietl zu früh starb. Denn Respekt genoss er auch bei Magnago, trotz der harten Gegnerschaft.
Warum ist eigentlich nicht Dietl Parteiobmann geworden?
Hans Karl Peterlini: Das ist eine gleich gute wie schwierige Frage: Warum geht bei einem der Karrierekomet auf, beim anderen nicht. Glück? Zufall? Sicher etwas von beidem. Eigenschaften? Hans Dietl war vielleicht für die Aufgabe des Obmannes einer Sammelpartei zu sperrig, zu eckig, auch zu eigenbrötlerisch. Diesen Hang, sich zurückzuziehen hatte er – und er stand ihm für die letzte Stufe auf der Karriereleiter wohl im Weg. Auch war er keiner, der sich vordrängte, er ließ oft anderen den Vortritt. Man könnte sagen, es fehlte ihm das Karriere-Gen. Er kannte aber auch seine Grenzen, wusste, dass er zu sehr aneckte, um diese eine Führungsposition einzunehmen, und dass er mehr erreichte, wenn er aus der zweiten Reihe heraus Druck machte. Eine Spitzenposition hatte er als Obmann des Bauernbundes, aber er stieß dort genau auf diese Grenzen und zog sich dann auf die Vizeobmannschaft zurück. Seine Qualität war, Steine ins Rollen zu bringen, auch selbst Stein des Anstoßes zu sein, dadurch zu bewegen. Einen politischen Beweger nenne ich ihn im Buch.
Wie würden Sie kurz und knapp das wirklich Rebellische an Hans Dietl skizzieren?
Hans Karl Peterlini: Was macht den Rebellen aus? Das wirklichste Merkmal ist wohl: Der Rebell passt sich nicht den Gegebenheiten an, er will, dass sich die Gegebenheiten ändern und tut alles dafür, auch zu einem eigenen, hohen Preis. Hans Dietl wollte Südtirol verändern: zuerst durch das „Los von Trient“, als Südtirol noch von der Region gegängelt wurde, wobei das eigentliche Zielt ein „Los von Italien“ war. Er hat dadurch Sigmundskron vorweggenommen und Magnagos Autonomieerfolge eingeleitet. Dann, als sich das Südtirol-Paket abzeichnete, kämpfte er für eine umfassendere Landesautonomie – und im Hinterkopf weiter um die Selbstbestimmung. Sein letzter, schwerster und vielleicht tiefstempfundener Kampf galt der Demokratisierung des Landes durch die Gründung einer sozialdemokratischen Partei.
War Dietl wirklich ein Sozialdemokrat?
Hans Karl Peterlini: Das hängt davon ab, was man darunter versteht: Damals hatte das Wort ja den Beiklang von Kommunismus, und Kommunist war er sicher keiner. Er war auch kein traditioneller Sozialdemokrat nach österreichischem Muster, kam ja aus einer bäuerlichen Tradition. Aber er hatte eine äußerst feinfühlige soziale Wahrnehmung, dachte sozial und demokratisch. Sagen wir es vielleicht so: er war sozial und demokratisch, und beides auf eine radikale, also bis an die Wurzeln denkende Weise. Ein Nadelstreif-Sozialdemokrat wäre er nie geworden, er war den kleinen Leuten nah. Dass er eine sozialdemokratische Partei gründete, hatte vor allem mit seinem Bedürfnis nach Demokratie zu tun, hier sah er die Möglichkeit, die politische Kultur durch einen gesunden Ausgleich zu bereichern.
Wie lässt sich dieser demokratische Ansatz mit seiner Rolle bei den Südtirol-Anschlägen vereinbaren?
Hans Karl Peterlini: Dietl war zweifellos der wichtigste politische Bezugspunkt des Befreiungsausschusses Südtirol BAS. Er hatte schon früh Kontakte zum Vinschger Aktivisten Franz Muther, zu Jörg Klotz, zu Sepp Kerschbaumer. Lange Zeit waren diese Kontakte politischer Art, bürgerrechtlicher Art. Dietl unterstützte die Fahnen- und Flugblattaktionen des BAS. Er vollzog dann mit dem BAS die Wende zur Gewaltbejahung mit, als er keine anderen Chancen auf eine Veränderung der politischen Lage mehr sah. Gewalt als Notwehr, könnte man sagen, um Rechten zum Durchbruch zu helfen, die sonst in Ohnmacht ersticken. Eines Urteiles darüber enthalte ich mich.
Im Pressetext zu Ihrem Buch ist vom „festen Standbein“ des Hans Dietl im Vinschgau die Rede. Was muss man darunter verstehen?
Hans Karl Peterlini: Er war Vinschger durch und durch, Göflaner zuerst. Diese Wurzeln hat er nie verleugnet, nie abgelehnt, auch in seinem Akzent nie ausgewaschen. Da kam seine Kraft her. Das heißt nicht, dass ihn alle im Vinschgau mochten und wählten, aber hier hatte er einen festen Stand. Immer wieder schreibt er im Tagebuch bei heiklen Abstimmungen oder in schwierigen Momenten, als er beinahe allein als Angeklagter zum Bombenprozess nach Mailand fahren hätte müssen: die Vinschger haben mich gerettet. Ob im Landtag in Bozen, im Parlament in Rom: Er wusste, wo er herkam und wohin er immer wieder zurückkehren konnte, das letzte Mal zum Sterben 1977 in Göflan.
Interview: Günther Schöpf
Die Edition Raetia und die Schützenkompanie Schlanders laden ein zur Buchvorstellung: Hans Dietl. Biografie eines Südtiroler Vordenkers und Rebellen. Mit Auszügen aus seinen Tagebüchern. Ort: Bibliothek Schlandersburg in Schlanders, am Dienstag, 11. Dezember, 20.00 Uhr.
Programm: Grußworte Karl Pfitscher, Schützenhauptmann Schlanders und Monika Holzner, Vizebürgermeisterin Gemeinde Schlanders. Buchvorstellung durch den Autor Hans Karl Peterlini. Musikalische Umrahmung durch das Doppelquartett des Männergesangsvereins Schlanders. Anschließend kleiner Umtrunk.
Hanskarl Peterlini, Hans Dietl. Biografie eines Südtiroler Vordenkers und Rebellen. Mit Auszügen aus seinen Tagebüchern. 16,5 x 24,5 cm, Hardcover mit Schutzumschlag, 464 Seiten, Euro 35, ISBN 978-88-7283-299-8, Edition Raetia 2007.

Günther Schöpf