Nach 40 Doktor-Jahren
Wunibald Wallnöfer sagt Tschüss
Nur noch bis Ende Juli wird Wunibald Wallnöfer als Gemeindearzt in Prad tätig sein.

Arzt mit Herz, Kopf und Seele

„Die Menschen brauchen Ärzte, die ihnen zuhören, die sie verstehen und die - wenn es angebracht ist - auch schweigen können.“

Publiziert in 19 / 2019 - Erschienen am 21. Mai 2019

Prad - „Du musst zu uns nach Prad kommen, wir brauchen einen Doktor.“ Vor fast genau 40 Jahren ist Wunibald Wallnöfer dieser Bitte des damaligen Prader Bürgermeisters Georg Stillebacher nachgekommen. Die Entscheidung, nach zweijähriger Tätigkeit in der Inneren Medizin im Krankenhaus in Schlanders auf das „Land“ zu wechseln, hat Wunibald Wallnöfer nie bereut. In Kürze geht der „Wuni“, wie der Prader „Gemeinde-Doktor“ in seiner Heimat von vielen genannt wird, in den Ruhestand. Was man in 40 Doktor-Jahren erlebt, erfährt, mitmacht und lernt, lässt sich in einem Zeitungsartikel nicht umfassend darstellen. Man kann aber versuchen, bestimmte Dinge auf den Punkt zu bringen und Kernbotschaften zu formulieren. Ganz oben auf dieser Liste steht für Wunibald Wallnöfer die sprechende Medizin: „Damit ist ganz einfach das Zuhören gemeint und das Reden mit dem Patienten.“

Plädoyer für die sprechende Medizin

Nur wenn sich der Arzt die Zeit nimmt, dem Patienten zuzuhören, ihn zu verstehen und ihm in seiner Sprache zu erklären, was ihm fehlt oder fehlen könnte, „wird der Patient das gewinnen, was in der Arzt-Patient-Beziehung das Wichtigste ist, nämlich das Vertrauen.“ Die sprechende Medizin, die zuhörende Medizin ist laut Wallnöfer sozusagen das Um und Auf. Bestätigt sieht er sich darin auch in der Kritik vieler Menschen an Krankenhäusern: „Die Leute beklagen sich weniger über nicht zufriedenstellende Behandlungen oder Eingriffe, sondern oft darüber, dass sie das Gefühl haben, dass ihnen niemand richtig zuhört und dass man ihnen oft nicht einfach und genau erklärt, was los ist.“ Bedauerlich sei, dass das, was man als „sprechender und zuhörender Arzt“ leistet, nicht als vollwertige ärztliche Leistung anerkannt und entsprechend wertgeschätzt wird.

„Sie haben Hände, und tasten nicht“

Unerlässlich sei es, die Sprache des Patienten zu verstehen, auch für das Stellen der Diagnose: „Wird der Patient richtig befragt und eingehend untersucht, lässt sich in 80 bis 90 Prozent der Fälle die richtige Diagnose stellen“, ist Wallnöfer überzeugt. Eine eingehende körperliche Untersuchung hält er für unabdingbar. Einen der Leitsätze seiner 40-jährigen Tätigkeit als Arzt habe er einem Vers aus einem Psalm (Kapitel 113, Vers 15) entnommen: „manus habent et non palpabunt“. Auf Deutsch heißt das: „Sie haben Hände, und tasten nicht.“ Alle Ärzte sollten sich diesen Wahlspruch zu Herzen nehmen und im wahrsten Sinne des Wortes danach handeln. An der Bedeutung dieses Grundsatzes habe sich bis heute nichts geändert. Von vielen anderen Dingen lasse sich das allerdings nicht sagen. So sei zum Beispiel ein Gemeindearzt in früheren Zeiten für alles zuständig gewesen. Wallnöfer: „Wir machten sozusagen fast alles für jeden, die Leute kamen zu uns und gingen nicht zunächst in die Erste Hilfe, wir waren immer erreichbar, auch wenn wir - und ich meine das durchaus wörtlich - auf der Toilette saßen.“ 

„Auch auf der Toilette erreichbar“

Heutzutage wird zunächst einmal die Notrufnummer 112 angerufen, „egal um was es sich handelt oder welches Problem man hat. Und nicht selten sitzen die Betroffenen dann am nächsten Tag im Wartesaal unserer Ambulatorien.“ Trotz dieser Entwicklung sei es irgendwie paradox, „dass man heute mehr zu tun hat als früher.“ Wallnöfer erinnert sich noch gut daran, als er während der Anfangsjahre nicht nur für die Bevölkerung der Gemeinde Prad zuständig war, sondern auch für jene der Gemeinde Stilfs: „Zwei Mal in der Woche fuhr ich nach Stilfs, einmal nach Sulden.“ Man musste sozusagen immer abrufbereit und auf Achse sein, „jeden Tag und zu jeder Uhrzeit.“ In besonderem Maße zugetroffen sei dies auch während des über viele Jahre hinweg geleisteten Notfalldienstes seitens der Gemeindeärzte.

Kein Einzelkämpfer in der Wüste

Wunibald Wallnöfer war nie ein Einzelkämpfer, sondern hat immer auch die Zusammenarbeit und die Vernetzung gesucht, um die ärztliche Versorgung in der Peripherie zu stärken und auszubauen bzw. gegen die Einschränkung bestehender Dienste zu kämpfen. Worauf er und seine Mitstreiter im Sprengel Obervinschgau zum Beispiel ein bisschen stolz sind - und es auch sein dürfen - ist die Einführung des bei Bedarf aktivierbaren Bereitschaftsdienstes seitens von Pflegekräften für die häusliche Betreuung von Palliativpatienten. Dieser Dienst wurde schon vor einiger Zeit auf Landesebene ausgedehnt. Eine möglichst gute Betreuung von Palliativpatienten, die ihr letzte Lebenszeit zu Hause verbringen, war Wunibald Wallnöfer stets ein großes Anliegen. „Wenn Menschen nicht mehr geheilt werden können, bleibt auch uns Ärzten oft nur das Schweigen übrig, das Dasein, das Halten der Hand.“ 

„Manchmal bleibt nur das Schweigen“

Die Betreuung von Palliativpatienten ist auch das Schwerpunktthema der derzeitigen Lehrtätigkeit von Wallnöfer an der Landesfachhochschule für Gesundheitsberufe „Claudiana“ in Bozen. Einen der großen Unterschiede zwischen Gemeindeärzten in der Stadt und auf dem Land sieht er darin, dass die Ärzte in der Peripherie ihre Kunden in der Regel sehr gut kennen. „Ich für meinen Teil kann sagen, dass ich mit 99% meiner Patienten per Du bin. Außerdem weiß ich, welcher Arbeit meine Patienten nachgehen, was sie tun und aus welchen Familien sie stammen. Diese Informationen können für einen Arzt sehr hilfreich sein.“ Frägt man Wunibald Wallnöfer nach dem „gesundheitlichen Zustand“ des Südtiroler Gesundheitswesens, so hält er auch in diesem Punkt mit seinen Ansichten nicht hinter dem Berg. Es gehört zu seinem Charakter, Probleme offen anzusprechen, sich vor nichts und niemandem zu ducken und seine Überzeugungen offen zu vertreten. Die derzeitigen Wartezeiten für notwendige Facharztvisiten nennt er teilweise als „unglaublich lang.“

„Jahrzehntelang geschlafen“

In punkto Digitalisierung und Informationsaustausch zwischen Krankenhäusern und Gemeindeärzten wirft er den Verantwortlichen der Landesverwaltung und des Sanitätsbetriebes vor, „jahrzehntelang geschlafen und die notwendigen Verbesserungen und Anpassungen versäumt zu haben.“ Was er noch beanstandet, ist eine zunehmende Tendenz in Richtung Privatmedizin, bedingt durch Mängel im öffentlichen Gesundheitsdienst: „Ich kann mich nicht des Eindrucks erwehren, dass diese Tendenz von der Politik gewollt und geduldet wird.“

Tendenz in Richtung Privatmedizin

Positiv steht Wallnöfer der Schaffung von Gemeinschaftspraxen gegenüber: „Dadurch bekommen die Ärzte auch einmal die Möglichkeit, sich ein paar Stunden frei zu nehmen und ohne Sorgen etwas für sich selbst zu tun. Auch wir Ärzte sind Menschen und müssen uns vor zu viel Stress und Belastungen schützen.“ Auf die Frage, wie sehr die berufliche Tätigkeit das Privatleben beeinflusst, meinte Wallnöfer: „Es ist sehr befriedigend, wenn man helfen kann. Andererseits muss man auch lernen, mit dem Scheitern umzugehen.“ Und was hält er vom Dauerthema Impfen? Wallnöfer: „Ich impfe seit 40 Jahren und es ist noch nie vorgekommen, dass ein sogenannter Impfschaden aufgetreten ist.“ Er würde sich nicht mehr wie früher in einer öffentlichen Diskussion als Impf-Befürworter engagieren lassen, „denn viele Impfgegner haben etwas Sektiererisches an sich und es ist so gut wie aussichtlos, sie mit Argumenten zu überzeugen.“

40 Jahre lang geimpft

Und was hält ein Gemeindearzt nach 40 Dienstjahren von Pillen, Säften, Pülverchen, Ernährungszusatzstoffen und anderen Mitteln, die es laut Werbung für eine gesunde Ernährung braucht bzw. die imstande sein sollen, typische Alterserscheinungen ausblenden zu können? Wallnöfer: „Es gibt natürlich Fälle, bei denen ein Mangel an bestimmten Vitaminen zu Beeinträchtigungen führt und solche Fälle sind auch ärztlich zu behandeln. Hinter dem Großteil der angepriesenen Mittel steckt aber lediglich ein Geschäft, ein Milliardengeschäft.“ Gibt es so etwas wie einen Druck der Pharmaindustrie auf die Ärzte? Wallnöfer: „Während meiner gesamten Tätigkeit bin ich nur ein einziges Mal von einem Pharmaunternehmen zu einer Besichtigung dieses Unternehmens eingeladen worden und ich bin einmal dieser Einladung gefolgt. Es gibt keinen Druck der Pharmaindustrie, da wir Allgemeinärzte unabhängig sind und unseren Patienten Medikamente verschreiben, die wir uns selbst und unseren Liebsten auch verschreiben würden und so ist das ein Ammenmärchen, jedenfalls was uns betrifft. Dass es diesbezüglich anderswo anders aussieht und dass es Skandale gegeben hat, weiß ich natürlich schon.“

„Verbieten, etwas von Hand zu schreiben“

Auf die Frage, welche 3 Dinge er als Landesrat für das Gesundheitswesen sofort umsetzen würde, hat der scheidende Gemeindearzt spontan schnelle Antworten parat: „Ich würde zunächst alles unternehmen, um die digitale und analoge Kommunikation zwischen den Krankenhäusern und den Hausärzten zu verbessern. Zweitens würde ich jedem Doktor verbieten, etwas von Hand zu schreiben, da man das oft nicht gut lesen kann und dies zu gefährlichen Missverständnissen führen kann. Und drittens würde ich schauen, dass bei den Ärzten wieder mehr die sprechende Medizin in den Vordergrund rückt und in der Leistungsbilanz gewürdigt wird.“ Mit großem Dank blickt Wallnöfer auf die gute und fruchtbringende Zusammenarbeit mit dem Krankenhaus Schlanders zurück, mit den Angestellten und Freiwilligen des Weißen Kreuzes Prad, das er selbst lange Zeit als Sektionsleiter geführt hat, und nicht zuletzt auch mit den Krankenpflegerinnen des Gesundheitssprengels. Ebenso bedankt er sich bei der Gemeindeverwaltung von Prad: „Sie hat mir schon vor 40 Jahren ein Ambulatorium zur Verfügung gestellt und mich sowie auch meine Arztkollegin Bettina Skocir bis heute unterstützt.“ Es gehöre zu den Hauptaufgaben einer Gemeinde, die Voraussetzungen für eine gute Gesundheitsversorgung der Bevölkerung zu schaffen. Wunibald Wallnöfer wird noch bis Ende Juli als Gemeindearzt in Prad tätig sein. 

Nachfolger wird praktisch eingeführt

Ab Mitte Juni wird er seinen Nachfolger, einen aus Neapel stammenden jungen Arzt, der Deutsch spricht und mehrere Jahre in Österreich tätig war, praktisch in die Arbeit einführen. Danach wird „Wuni“ noch mehr Zeit haben für das, was er auch sehr gerne tut: Lesen, Sporteln, Reisen, Besuchen von Opernaufführungen und - nicht zuletzt - Fotografieren.

Josef Laner
Josef Laner
Vinschger Sonderausgabe

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