Auf dem Weg in ein neues Zeitalter
Ist Kastelbell-Tschars für die Zeit danach vorbereitet?
Kastelbell-Tschars - Bei der Vorstellung des Maßnahmenpakets für das Südtiroler Straßennetz im Februar 2018 erwähnte Landeshauptmann Arno Kompatscher auch die Umfahrung Kastelbell-Galsaun: „Die Arbeiten für diese Umgehungsstraße sollen noch im Herbst 2018 in Angriff genommen werden“. Diese entlastet die beiden Ortschaften und ängstigt den gewerblichen Bereich. Im Interview mit dem „der Vinschger“ spricht Bürgermeister Gustav Tappeiner über die Herausforderungen und Chancen im Zusammenhang mit der Umfahrung sowie über seine Bilanz zur Halbzeit der Amtsperiode 2015-2020.
der Vinschger: Aller Voraussicht nach erfolgt im Herbst dieses Jahres der Spatenstich. Ist die strukturschwache Gemeinde Kastelbell-Tschars auf die Zeit danach vorbereitet?
Gustav Tappeiner: Vorweg danke ich der Südtiroler Landesregierung für die Genehmigung, Finanzierung und Umsetzung dieses, selbst für das Land große Bauvorhaben. Die vierjährige Bauzeit ist noch ein guter Zeitraum für eine attraktive Gestaltung des Lebens-, Erholungs- und Wirtschaftsraumes Kastelbell-Tschars. Aufbauend auf unsere bereits bestehenden Stärken wie Landschaft und Landwirtschaft, Wandern und Radfahren, Kultur und Gastronomie, Sportstätten und Vereinswesen wird sich die Gemeindeverwaltung gemeinsam mit der Bevölkerung und den Wirtschaftstreibenden den Herausforderungen stellen. Unser Ziel ist es, vorhandene Ressourcen effizient einzusetzen und die sich bietenden Synergiemöglichkeiten zu nutzen.
Im Hinblick auf die Umfahrung wurde in Zusammenarbeit mit dem Institut für Regionalentwicklung Eurac Research das Entwicklungskonzept: „Kastelbell-Tschars: Unsere Gemeinde 2025“ erstellt. Wie schaut es mit der Umsetzung aus?
Nun ist die Gemeindeverwaltung am Zug, die vorgeschlagenen Maßnahmen nach Prioritäten durchzuführen. Es ist unsere Absicht, die jeweiligen Themenbereiche in Arbeitsgruppen zu vertiefen, aufzubereiten und dann umzusetzen. In diesem Zusammenhang ergeht auch an die Bevölkerung der Appell um aktive Mitarbeit.
Was ist Ihrer Meinung nach besonders wichtig, damit dann in Kastelbell und Galsaun nicht „tote Hose“ herrscht?
Durch die Umfahrung von Kastelbell-Galsaun werden sich die Abgas- und Lärm-Emissionen im Ortskern und entlang der Straße spürbar verringern. Weniger Autos bedeuten mehr Sicherheit, dies alles ist ein großes Plus an Lebensqualität. Nun gilt es, diese Verkehrsberuhigung als Chance zu nutzen. Auf der anderen Seite braucht es nun Maßnahmen zur Aufwertung der Freiräume, zur Belebung und für die Weiterentwicklung zum attraktiven Wohn- und Urlaubsort sowie als Gewerbestandort, um nur einige zu nennen.
Bei der Vorstellung der Studie betonte Professor Harald Pechlaner, dass auf die Nahversorgungssituation ein besonderes Augenmerk zu legen sei. Welche Möglichkeiten hat die Gemeinde, um diese zu sichern?
Die Gemeinde kann unter-
stützend eingreifen. Neben den Voraussetzungen für eine positive Bevölkerungsentwicklung z. B. durch eine familienfreundliche Tarifgestaltung, gilt es gute Rahmenbedingungen für den Einzelhandel, den Tourismus, und dem Dienstleistungsbereich zu schaffen. Diesbezüglich sind insbesondere auch Initiativen der Kaufleute und Touristiker von großer Wichtigkeit. Auch die Bevölkerung kann durch die Annahme der Nahversorgungsangebote in unserer Gemeinde zur Sicherung dieser Strukturen beitragen.
Neben Kastelbell und Galsaun fordert auch Tschars Maßnahmen zur Verkehrsentlastung. Gibt es dafür bereits Lösungen oder Konzepte?
Ich möchte vorausschicken, dass zurzeit im Bauleitplan auch für Tschars eine Umfahrung eingetragen ist. Im Arbeitsprogramm für die Amtsperiode 2015-2020 sind zudem die Erstellung einer Machbarkeitsstudie für eine eventuelle Untertunnelung sowie kurzfristige Lärmschutzmaßnahmen vorgesehen. Die Gemeinde wird gemeinsam mit der Autonomen Provinz Bozen nach Lösungen suchen.
Themawechsel: Bei den Gemeinderatswahlen 2015 wurden Sie als Bürgermeister bestätigt. Wie lautet Ihr Fazit zur Halbzeit Ihrer zweiten Amtsperiode?
Die Gemeindeverwaltung unternahm große Anstrengungen zur Umsetzung des Arbeitsprogrammes und der Ziele für diese Verwaltungsperiode. Sehr erfreut sind wir natürlich über den bevorstehenden Bau der Umfahrung. Neben den durchgeführten Maßnahmen im Bereich Wohnbau sind der Bau des Kindergartens und des Musikprobelokals in Tschars und die Errichtung von Infrastrukturen sowie die Umsetzung von Projekten im Bereich des ländlichen Wegenetzes u. a. in den Berggebieten zu erwähnen. Hervorzuheben ist der Ankauf von Anteilen der Alperia AG, wofür die Südtiroler Gemeinden ja lange gekämpft haben. Ein großes Anliegen war die Fertigstellung des Radweges im Abschnitt Galsaun-Tschars und der Ausbau des Breitbandnetzes. Mit der Verlegung von Leerrohren für die Glasfaserkabel wurden die Grundlagen für die „letzte Meile“ geschaffen.
Was wollen Sie in den restlichen zweieinhalb Jahren noch zum Abschluss bringen?
In der Warteschleife befinden sich noch die Anpassung des Mehrzwecksaales im Feuerwehrgerätehaus, und die Gestaltung der Kreuzung bei der Einfahrt in Galsaun. Hinzu kommen noch die Errichtung des Parkdecks und die Planung eines Fußgängersteges bei der Etschbrücke in Tschars. Ein wichtiges Vorhaben ist die Bauleitplanänderung für die Erweiterung der Gewerbezone Galsaun und den Neubau der Feuerwehrhalle in Kastelbell. Die generelle Überarbeitung des Bauleitplanes erfolgt erst nach der Genehmigung des neuen Landesraumordnungsgesetzes „Raum und Landschaft“.
Im Wohnbausektor hat sich in den letzten Jahren einiges getan. Die Wohnbauzone Runstacker in Tschars hat sich mit Leben gefüllt, in Kastelbell laufen die Arbeiten zur Verwirklichung der Zone „Kastelbell V“. Wie sieht es diesbezüglich in Galsaun aus?
Die derzeitige Gemeindeverwaltung hatte von Anfang an die Realisierung von neuen Wohnbauzonen in Tschars und in Kastelbell als Ziel ausgegeben. Die Neuausweisung einer Wohnbauzone in Galsaun ist bei der Überarbeitung des Bauleitplanes geplant. Durch die Umfahrung ergeben sich dort neue Perspektiven, die wir bei einer Neuausweisung berücksichtigen wollen.
Neben dem „Wohnen“ sind Arbeit, Freiflächen und Versorgungseinrichtungen wichtige Säulen für eine nachhaltige Entwicklung. Was hat Ihre Gemeinde diesbezüglich zu bieten?
Die Gemeindeverwaltung ist sich bewusst, dass nicht nur das Wohnen ein wichtiges Grundbedürfnis für die Bevölkerung und Baustein für die Bevölkerungsentwicklung ist. Dazu braucht es vor allem nahe gelegene Arbeitsplätze, eine unserer wichtigsten Säulen ist hier die Obstgenossenschaft als größte Arbeitgeberin. Es gilt Rahmenbedingen zu schaffen, damit die Wirtschaft oder der Tourismusbereich Arbeitsplätze anbieten kann. Dazu zählen die Erweiterung von Gewerbezonen oder die Realisierung von Projekten in den genehmigten Gewerbezonen. Die Versorgungs- und Sozialeinrichtungen sowie die Nahversorgung sind in unserer Gemeinde sehr unterschiedlich zu bewerten. Laut Eurac Studie ist der Ortsteil Kastelbell gut aufgestellt, Tschars hat noch erheblichen Aufholbedarf. Dass alles doppelt angeboten wird, ist leider nicht möglich, aber die wichtigsten Versorgungsdienste sollten abgedeckt sein. Auf Gemeindeebene ist dies auf jeden Fall gewährleistet.
Wie beurteilen Sie das derzeitige lokale Wirtschaftsgefüge mit Sicht auf die Dominanz der Landwirtschaft und auf die Gefahr einer Instabilität?
In den letzten Jahrzehnten hat sich unsere Obstwirtschaft sowohl in der Produktion, in der Auswahl der Sorten und der Anbaumethode als auch bei den räumlichen Strukturen sehr gut weiterentwickelt. Stark angewachsen ist auch der Bio-Anbau. Mit einem Anteil von 27% an der gesamten Anbaufläche zählt Kastelbell-Tschars mit zu den größten Bio-Produzenten im Vinschgau. Bezüglich Dominanz und Abhängigkeit bin ich überzeugt, dass unsere Obstbauern sich verantwortungsbewusst den zukünftigen Herausforderungen stellen und - wie bereits in der Vergangenheit - auch Krisenzeiten meistern werden. Als Alternative bieten sich der Weinbau, das Gewerbe und der Tourismus an, in diesen Bereichen gibt es noch deutlich Luft nach oben.
2015 gab es im Gemeinderat einen großen Wechsel mit vielen neuen Gesichtern, hat sich dadurch in der Gemeindepolitik etwas verändert? Wie bewerten Sie die Zusammenarbeit mit der Opposition?
Die Zusammenarbeit mit und im Gemeinderat ist sehr positiv, die Ratsmitglieder arbeiten engagiert mit und bringen bei den Sitzungen sachliche Beiträge und Anregungen ein. Auch die Süd-Tiroler Freiheit, die ihre Rolle als Oppositionspartei wahrnimmt, arbeitet konstruktiv mit. In bestimmten Grundsatzfragen gab es immer sachliche Diskussionen und Vorschläge sowie teilweise auch einvernehmliche Entscheidungen.
Kommen durch die Einführung einer Fragestunde für die Bürger mehr Interessierte zu den Gemeinderatssitzungen, wird die Möglichkeit zur Fragestellung genutzt?
Auf Antrag der Süd-Tiroler Freiheit wurde bei der Überarbeitung der Geschäftsordnung des Gemeinderates die Ergänzung eingefügt, dass bei Ratssitzungen im Anschluss an die Behandlung aller Tagesordnungspunkte auch anwesende Bürger Fragen an den Bürgermeister und Gemeindeausschuss vorbringen können. Das ist ein weiterer Schritt in Richtung Bürgerbeteiligung. Deswegen kommen aber kaum mehr Zuhörer.
Hat der Wirbel um das Pestizidverbot in Mals auch in Ihrer Gemeinde zu Diskussionen geführt?
Es war eine Entscheidung der Bürgerinnen und Bürger der Gemeinde Mals, die sich gegen die Ausbringung von giftigen Pflanzenschutzmitteln ausgesprochen haben. Dies ist eine souveräne Entscheidung für das eigene Gemeindegebiet und ist zu respektieren. Nicht mittragen kann ich jedoch die Aussagen des Bürgermeisterkollegen Ulrich Veith zum Thema Beeinträchtigung auf den Wander- und Radwegen durch die Obstgebiete im Untervinschgau.
Wie beurteilen Sie das als Mitglied des Rates der Gemeinden die von Landesrat Arnold Schuler angeregte Zusammenlegung von Abteilungen und Diensten zwischen den Gemeinden?
Es gibt Ideen für eine Zusammenarbeit und auch schon diesbezügliche Modelle in Deutschland und Österreich. Man muss nun prüfen, welches Modell für Südtirol geeignet wäre. Konkrete Entscheidungen hat es noch keine gegeben, es wurden aber die gesetzlichen Voraussetzungen geschaffen. Meines Erachtens ist es wichtig, dass die Souveränität der Gemeinden gewahrt bleibt. Eine übergemeindliche Zusammenarbeit sollte immer eine Win-Win Situation ergeben.
Was war der bislang schönste Moment in Ihrer Bürgermeisterzeit?
Bei der Ausübung des Bürgermeisteramtes gibt es immer Höhen und Tiefen. Mich freut, dass ich von den Bürgern ein großes Vertrauen erhalten habe und ich mich als Bürgermeister gemeinsam mit dem Gemeindeausschuss bzw. Gemeinderat für sie einbringen sein kann.
