Skelette haben viel zu erzählen
„Primär möchte ich das Skelettmaterial in Südtirol untersuchen“, sagt die junge Forscherin Daniela Tumler aus Morter.

Auf den Spuren unserer Vorfahren

Publiziert in 1 / 2017 - Erschienen am 18. Januar 2017
Migration gab es schon im Mittelalter Morter - Daniela Tumler aus Morter ist die einzige Südtirolerin, die in Südengland Biologische Anthropologie studiert hat und seit kurzem am Institut für Mumien und den Iceman an der Europäischen Akademie (Eurac Research) in Bozen Forschung betreibt. Anthropologie ist die Lehre vom Menschen und kann in zwei Fachgebiete unterteilt werden: Soziale- bzw. Kulturelle ­Anthropologie und Biologische Anthropologie. Letztere beschäftigt sich mit der Untersuchung menschlicher Überreste und gewährt damit einen Einblick in die Vergangenheit. Weitere wesentliche Forschungsbereiche sind die Evolution des Menschen, Bevölkerungswissenschaften und die Untersuchung der Lebensqualität von Volksgruppen. In den letzten Jahrzehnten ist Biologische Anthropologie zu einem wissenschaftlich wichtigen Fachgebiet herangewachsen und findet Anwendung in den unterschiedlichsten Bereichen. Seit der Gründung des Institutes für Mumien und den Iceman an der Europäischen Akademie Bozen gehen von der Forschung in den Bereichen Molekulare Biologie, Paläogenetik, Mumienkonservierung und Anthropologie ständig neue Impulse aus. Der Bezirkszeitung der Vinschger hat Daniela Tumler erzählt, dass Südtirol bereits im Mittelalter eine große Migrationswelle er­lebte, warum sie das Naturerbe der Südtiroler erforschen möchte und wie spannend ihre Forschungs­tätigkeit an der Eurac Research ist. der Vinschger: Frau Tumler, warum haben Sie sich in Bournemouth in Südengland um einen Studienplatz beworben, und worauf basiert Ihr besonderes Studium? Daniela Tumler: Ich wollte das spezielle Fach der Biologischen Anthropologie studieren, habe jedoch hier keine Möglichkeit gefunden, denn meist wird das Fach Anthropologie in Verbindung mit Archäologie angeboten. Mein Bachelorstudium in Bourne­mouth in der südenglischen Provinz Dorset basierte grundlegend auf Biologie und Forensik und spezialisierte sich dann auf Anthropologie. Während des Masterstudiums, ebenfalls an der Bournemouth University, habe ich mich zusätzlich auf Paläodemographie (Bevölkerungsentwicklung früherer Populationen) und Paläopathologie (Lehre der Krankheiten vergangener Völker) spezialisiert. Darüber hinaus konnte ich meine Fähigkeiten zum ersten Mal auch in Südtirol durch meine Abschlussarbeit mit dem Titel „Paläopathologische und muskuloskeletale Stress Marker Analyse von Frühmittelalterlichen Populationen im Trentino-Südtirol“, zum Einsatz bringen. Nach über sechs Jahren Aufenthalt in England sind Sie wieder nach Südtirol zurückgekehrt und haben an der Eurac Research eine Forschungsstelle bekommen. Ein Glücksfall für Sie? Daniela Tumler: Ich habe bereits während meines Bachelor­studiums ein Sommerpraktikum am Institut für Mumien und den Iceman, Eurac Research absolviert. Auch Dank der Vermittlung durch Josef Bernhart, der ebenfalls aus Morter stammt und an der Eurac Research arbeitet, habe ich die Möglichkeit bekommen, mich für ein Praktikum zu bewerben. Durch diese Gelegenheit konnte ich mich dann um die Zusammenarbeit für die Masterarbeit bewerben und darf nun meine Doktorarbeit über Paläodemografie und Paläopathologie im frühen Mittelalter in Südtirol schreiben. Für diese einmalige Chance bin ich einigen Menschen zu großem Dank verpflichtet. Was fasziniert Sie dabei besonders? Das frühe Mittelalter ist durch mehrfache Migrationswellen gekennzeichnet, welche auch ­archäologisch in den italienischen Alpen dokumentiert wurden. Diese Migrationsströme und die sich daraus ergebenden Wechsel in der Führungsposition führten zu erheblichen Auswirkungen auf die Gesundheit und Demografie dieser Bevölkerungsgruppen. Diese effektiven Auswirkungen sind bis heute noch unklar. Daher kann Südtirol, welches eine wichtige Migrationsroute war, eine beträchtliche Menge an Daten liefern, um das biologische Profil der lokalen Bevölkerung während dieser historischen Ereignisse zu ermitteln. Derzeit haben sich nur wenige anthropologische Studien mit der frühmittelalterlichen Population in Südtirol befasst. Wo liegt dabei Ihr primäres Interesse? Primär möchte ich das Skelett­material in Südtirol untersuchen. Im Archiv des Landesdenkmalamtes lagert viel unangetastetes Skelettmaterial, welches noch nicht anthropologisch erfasst worden ist. Das möchte ich untersuchen und meine Forschungsergebnisse der Südtiroler Bevölkerung zugänglich machen. Es stecken sehr viele Informationen in diesen Funden, denn sie geben Einblick in unsere eigene Evolution. Sie sind gewissermaßen unser Naturerbe. Welche Untersuchungen werden Sie anwenden? Die Anthropologie ist eine kostengünstige Wissenschaft, denn wir Anthropologen brauchen bei unseren Untersuchungen weder aufwändige Geräte noch Chemikalien wie beispielsweise bei antiken DNA Analysen (aDNA). Die anthropologische Unter­suchung erfolgt hauptsächlich mittels visueller Begutachtung und Bewertung, sowie mittels des Abmessens von menschlichen Knochen und den daraus folgenden Berechnungen. Krankheiten, Gewalteinwirkungen oder starke körperliche Belastungen können wir mit freiem Auge am Skelett beobachten. Auch die Zähne der Verstorbenen werden morphologisch analysiert, um Aufschluss über die Ernährung und Gesundheit des Individuums zu bekommen. Isotopenanalysen zeigen uns aufgrund von Strontium- oder Schwefelspuren die Herkunft oder Mobilität der Forschungsobjekte. Isotopen­analysen sind etwas kostspieliger und werden daher nur an einzelnen ausgewählten Individuen durchgeführt. Dazu kommt, dass die Probenentnahme invasiv ist und somit ein Teil eines Knochens bzw. ein Zahn entnommen und zerstört wird. Die aDNA-Analyse ist auch invasiv und noch kostspieliger, daher müssen die Proben sehr sorgfältig gewählt werden. Bestimmte Krankheiten oder eventuelle Verwandtschaftsgrade lassen sich allerdings nur mit aufwändigen aDNA-Analysen mit Sicherheit bestätigen. Was war das Spannendste während Ihres Studiums der Anthropologie? Während meines Studiums ­musste bzw. durfte ich als Prüfungsarbeit das Skelett einer Römerin untersuchen und einen sogenannten Skelettbericht erstellen, welcher alle Informationen, die man als Anthropologin gewinnen kann, beinhalten musste. Dies war die erste Anthropologische Untersuchung, welche ich alleine durchführte und da ich alles richtig erkannt und ausgewertet habe, war dieser Moment ein wahres Erfolgserlebnis und bestärkte mich in meiner Berufswahl. Wie bekannt ist der Mann aus dem Eis in ihrer Studienstadt Bournemouth? Ötzi ist in England nicht nur in Fachkreisen sehr bekannt! Das Thema Ötzi war sogar Teil einer Prüfung, die ich absolvierte. Beim 3. Ötzi-Kongress, der kürzlich an der Eurac Research in Bozen stattfand, waren Wissenschaftler aus der ganzen Welt anwesend. Der Mann aus dem Eis ist für Südtirol ein großer Wert; die jüngsten Forschungsergebnisse und auch Forschungsmöglichkeiten öffnen wieder neue Türen, werfen aber auch wieder neue Fragen auf! Was machen Sie, wenn Sie nicht gerade in Ihrer Forschungsarbeit vertieft sind? Ich habe vor einem Jahr in der Akrobatik ein schönes, aus­gleichendes Hobby gefunden, das ich nun regelmäßig ausübe. Interview: Ingeborg Rechenmacher
Ingeborg Rainalter Rechenmacher
Ingeborg Rainalter Rechenmacher
Vinschger Sonderausgabe

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