Die Flüchtlinge im Vinschgau
Rund 40 Flüchtlinge aus Afrika sind derzeit im Malser „Haus Ruben“ untergebracht.

Auf der Flucht

Publiziert in 43 / 2015 - Erschienen am 2. Dezember 2015
Sie flüchten vor islamistischen Terrorbanden, korrupten Systemen und unfähigen Politikern. Im Vinschgau haben 40 junge Männer und Frauen Zuflucht gefunden. MALS - Rund zwei Monate ist es nun her, dass Mals auf einen Schlag um 40 Einwohner reicher wurde. 31 Männer und neun Frauen leben seitdem im „Haus Ruben“, dem alten Martinsheim. Viele kommen aus Nigeria, einige auch aus Namibia, Gambia sowie weiteren west- und zentralafrikanischen Staaten. Sie kommen von dort, wo Konflikte herrschen: politischer, kultureller oder religiöser Natur. Die jungen Frauen und Männer im Alter zwischen 18 und 30 Jahren warten nach ihrem beschwerlichen Weg über das Mittelmeer in Mals auf den Ausgang ihres Asylantrag-Verfahrens. In Italien dauert dies im Durchschnitt rund 15 Monate. Während ihrer Zeit in Mals werden die Flüchtlinge von einem dreiköpfigen Caritas-Team rund um „Hausleiter“ Matteo Contegiacomo betreut. „Und viele freiwillige Helfer unterstützen uns“, lobt Contegiacomo das Engagement der Malser Bevölkerung. Bereits die Ankunft sei etwas Besonderes gewesen. „Die Menschen wurden hier sehr gut aufgenommen, Willkommensfeste wurden organisiert“, erinnert sich der 33-Jährige, der zuvor im Meraner „Haus Arnika“ Erfahrungen sammeln konnte. Engagierte Bürger aus dem Obervinschgau statten den Flüchtlingen regelmäßig Besuche ab, für Ausflüge, Koch- oder Tanzkurse. Überhaupt wird den Hausbewohnern kaum langweilig. Mehrmals wöchentlich finden Deutsch- und Italienischkurse für die Flüchtlinge, die allesamt Englisch sprechen, statt. Stehen grad keine Kurse oder Aktivitäten auf dem Programm, können sich die Hausbewohner laut Hausordnung untertags frei bewegen. Die Nachtstunden von 23 Uhr bis 6.30 Uhr müssen sie jedoch in der Unterkunft verbringen. Aktive Flüchtlinge Einer herkömmlichen Arbeit dürfen die Flüchtlinge in den ersten sechs Monaten nicht nachgehen. So sehen es die Bestimmungen für Asylwerber in Italien vor. Jedoch ist eine ehrenamtliche Tätigkeit möglich. Eine Möglichkeit, die zahlreiche Flüchtlinge in Anspruch nehmen. So halfen die jungen Männer und Frauen bei der Kleidersammlung der Caritas tatkräftig mit. „Das sind alles Leute, die helfen wollen“, lobt Contegiacomo „seine“ Schützlinge. Und auch sportlich beweisen sich die Flüchtlinge. Vor allem wenn es um Fußball geht. Regelmäßig treten sie gegen den Ball. Der ein oder andere gar so talentiert, dass sogar der heimische Sportverein darauf aufmerksam wurde.. Die Zusammenarbeit mit den Vereinen ist laut Contegiacomo ohnehin beispielhaft. Erst kürzlich schauten die „Molser Krampus“ im Haus vorbei und erklärten den Flüchtlingen den „Krampus-Brauch“. Sehr zur Freude der afrikanischen Gäste, einige davon sagten bereits ihre Teilnahme am traditionellen Umzug zu. Gefühl der Sicherheit In Mals fühlen sich die Flüchtlinge wohl – und vor allem sicher. Artikel 1 der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 definiert einen Flüchtling als Person, die „… aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will…“ Kurz gesagt: Wenn ein Mensch sein Leben riskiert muss er gehen und darf in einem anderen Staat Asyl beantragen. Die Flucht-Gründe der „Haus Ruben“-Bewohner sind vielfältig. Nicht selten sind es religiöse Motive. Denn, bei den Hausbewohnern handelt es sich fast ausschließlich um Christen. Ein großer Teil sei aufgrund der Konflikte in Nigeria geflohen. Geflüchtet vor islamistischen Mörderbanden wie Boko Haram. Viele sind auch aufgrund des eigenen Staates geflohen. „Die Menschen hier sind freundlich“ So zum Beispiel der 27-jährige Tayo (Name von der Redaktion geändert). In Nigeria war er in einem Handwerksberuf tätig. Warum er sich entschied, sein Heimatland zu verlassen? „Es gibt schöne Dinge in unserem Land. Aber sehr vieles läuft hier falsch. Das System und viele Polizeibeamte sind korrupt. Ich wurde verfolgt. Wer Macht und Geld hat ist in Nigeria jemand, wer aus ärmlichen Verhältnissen stammt, hat wenig Chancen“, erzählt er. Aufgrund korrupter Beamter sei er fast im Gefängnis gelandet. In Mals jedoch fühle er sich wohl. „Hier in Südtirol und Europa ist alles anders. Die Menschen sind freundlich. Ich bin froh, hier sein zu dürfen“. Die zahlreichen Tätigkeiten, die im Haus Ruben angeboten werden, nimmt der Nigerianer gerne in Anspruch. Motiviert lernt er Deutsch und Italienisch. „Das ist aber gar nicht so einfach, zwei völlig fremde Sprachen gleichzeitig von Grund auf neu zu lernen“, betont der 27-Jährige. Deutsch sei dabei noch um einiges schwerer zu erlernen als italienisch. Aber für den Nigerianer gilt: „Immer weitermachen, ich sehe meine Zukunft in Mitteleuropa, dafür muss man etwas tun. Eines Tages will ich eine Arbeit hier irgendwo haben. Das ist mein Ziel.“ Genauso sieht es der erst 18-jährige Sain aus Gambia. In seinem Heimatland war er als Hydrauliker tätig. Hier konzentriert er sich vor allem darauf die Sprachen zu erlernen, um irgendwann eine Arbeit zu finden. „Falls ich die Chance habe hier zu bleiben“, so der 18-Jährige. Von Mals war er von Anfang an begeistert: „Ich liebe diesen Ort. Auch in Bozen war es okay. Aber hier ist es einfach super“. Innerhalb der nächsten Monate wird sich wohl entscheiden, wohin der Weg von Sain geht. Eines steht für Sain und viele andere Flüchtlinge fest: Zurück in ihr Heimatland zu müssen, in korrupte Systeme, unsichere Regionen, und Terrorgruppen ausgeliefert zu sein, ist die denkbar schlechteste Option. MICHAEL ANDRES
Michael Andres
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