„Kauft in den Geschäften vor Ort, sonst…“
hds-Bezirksleiter Walter Holzeisen: „Große Einkaufszentren bedeuten nicht automatisch tiefe Preise.“

Bedrohen die Liberalisierungen die Nahversorgung?

Publiziert in 10 / 2012 - Erschienen am 14. März 2012
Die Vorgaben der Monti-Regierung zur Liberalisierung des Einzelhandels bringen wichtige Pfeiler der Südtiroler Handelsordnung ins Wanken. Die Landesregierung hat deshalb mit einem eigenen Gesetzesentwurf darauf reagiert. Das Ergebnis: In Orts- und Wohngebieten werden die Forderungen Montis weitgehend übernommen. Die Warentabellen fallen ebenso weg wie die Vergabe von Lizenzen und die Flächenbegrenzungen. In Gewerbegebieten gilt hingegen eine restriktive Handelspolitik. Nur bestimmte Produkte wie Autos, landwirtschaftliche Maschinen oder Möbel dürfen dort verkauft werden. Die Flächenbegrenzung wird auch hier abgeschafft. Die Regelung der Öffnungszeiten tritt das Land an die einzelnen Gemeinden ab. Abzuwarten bleibt, ob Rom gegen die Südtiroler Bestimmungen eine Verfassungsbeschwerde einlegt. Walter Holzeisen, Bezirksleiter des Handels- und Dienstleistungsverbandes Südtirol (hds), erklärt im Interview, ob die Liberalisierungen die Vinschger Nahversorgung bedrohen und was er von einer Mittagsöffnung der Geschäfte hält. „Der Vinschger“: Herr Holzeisen, sind Sie mit dem Entwurf der Landesregierung zur neuen Handelsordnung zufrieden? Walter Holzeisen: Das Monti-Gesetz würde unsere Handelsordnung komplett über den Haufen werfen. Der Entwurf der Landesregierung versucht die Liberalisierungen einzuschränken. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung, es müssen aber noch einige verfassungsrechtliche Nachbesserungen gemacht werden. Liberalisierungen in Wohn- und Ortszentren sind in Ordnung, denn hier soll sich der Handel frei entfalten können. Davon profitieren dann auch Bars und Restaurants. In Gewerbegebieten fällt die Flächenbeschränkung für Geschäfte weg. Ist das der Startschuss für große Einkaufszentren? Walter Holzeisen: In Gewerbegebieten wird nur der Verkauf von bestimmten Produkten wie Autos, landwirtschaftlichen Maschinen, Baumaterialien und Möbeln möglich sein. Deshalb glaube ich nicht, dass es in den Vinschger Gewerbezonen zu einem Geschäfteboom kommt. Das Gesetz der Landesregierung verhindert eine totale Liberalisierung. Das heißt, dass im Gewerbegebiet keine Lebensmittel oder Bekleidungsartikel verkauft werden dürfen. Das ist auch gut so, denn sonst hätten wir im Vinschgau zwei große Einkaufszentren mit schweren negativen Folgen: die Ortskerne sterben aus, der Konsument ist gezwungen mit dem Auto zu fahren und ältere Menschen, die nicht mobil sind, bleiben auf der Strecke. Warum bekämpft der hds die totale Liberalisierung? Liberalisierung bedeutet doch mehr Konkurrenz und mehr Konkurrenz führt in der Regel zu niedrigen Preisen. Walter Holzeisen: Das ist ein Trugschluss. Erfahrungsgemäß können wir beobachten, dass große Einkaufszentren nicht automatisch tiefe Preise bedeuten. Im Gegenteil: Wenn die kleinen Geschäfte aussterben, existiert nur noch ein großes Einkaufszentrum. Dieses kann dem Konsumenten dann den Preis diktieren, weil er ja keine alternative Einkaufsmöglichkeit mehr hat. Stichwort Nahversorgung: In Vetzan und Trafoi gibt es keine Lebensmittelgeschäfte mehr. Sind das nur bedauerliche Einzel­fälle? Walter Holzeisen: Natürlich ist das schade. In den kleinen Ortschaften sind zwei oder drei Geschäfte aus wirtschaftlichen Gründen in Zukunft nicht mehr tragbar. Damit die Grundversorgung im Vinschgau trotzdem funktioniert, müssen die Konsumenten die Produkte im eigenen Dorf erwerben. Wenn nur Kleinigkeiten wie das Klötzchen Butter gekauft werden, dann kann der Dorfladen nicht überleben. Hier braucht es eine Sensibilisierung der Konsumenten: Kauft in den Geschäften vor Ort, sonst müssen sie schließen! Wie steht der hds zu einer Liberalisierung der Öffnungszeiten? Walter Holzeisen: Bei den Öffnungszeiten haben die einzelnen Gemeinden weitreichende Befugnisse, vor allem was die Mittagsöffnung anbelangt. Die einzige Regelung besteht darin, dass die Geschäfte vor 6.00 Uhr morgens nicht öffnen dürfen und ab 23.00 Uhr schließen müssen. Meiner Meinung nach müssen die Geschäfte in Tourismusgebieten wie Sulden, Graun oder Schnals auch sonntags für die Touristen geöffnet sein. Ansonsten ist die Sonntags- und Mittagsöffnung nicht sinnvoll. Konsumenten werden aber immer anspruchsvoller und wollen rund um die Uhr einkaufen können. Walter Holzeisen: Die Nachfrage der Konsumenten bezüglich einer Sonntagsöffnung ist ausschließlich in den Tourismusgebieten gegeben. Und was die Mittagsöffnung betrifft: Sie ist für kleine Betriebe sehr problematisch. In einem kleinen Familiengeschäft könnten Mann und Frau nicht zusammen mit der Familie Mittagessen, weil sie hinter der Theke stehen müssten. Das ist eine bedeutende Einschränkung der Lebensqualität. Die großen Handelsketten drängen natürlich auf eine Liberalisierung der Öffnungszeiten, weil sie für eine Mittagsöffnung ausreichend Personal besitzen. Die Mittagsöffnung stellt in meinen Augen aber eine Wettbewerbsverzerrung gegenüber den kleinen Geschäften dar. Interview: Oliver Kainz
Oliver Kainz
Vinschger Sonderausgabe

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