Wind, Sonne und Biomasse stärker nutzen

Bis zur eigenständigen Energieversorgung ist es noch weit

Publiziert in 16 / 2007 - Erschienen am 3. Mai 2007
Er gilt als Vordenker und Fachmann in allen Fragen, die mit dem Thema Energie zu tun haben. Auf dem Schreibtisch von Georg Wunderer liegen nicht nur Unterlagen und Schrift­sätze zum E-Werk Prad, das er als Präsident leitet, sondern auch Abzüge neuester Entwicklungen und Erkenntnisse im Energiesektor aus Südtirol, Italien und der ganzen Welt. Dass Prad in punkto Energieversorgung ­landesweit als Vorbildgemeinde gilt, ist in erster Linie Georg Wunderer zu verdanken. In Prad reicht die Palette der Anlagen von der Nutzung der Wasserkraft bis hin zur Biogasverwertung. In einem Mix in der Nutzung verschiedener Energieträger, die lokal vorhanden und erneuerbar sind, sieht Georg Wunderer die große Chance dafür, dass Südtirol dem Ziel einer autarken Energieversorgung näher kommen kann. „Von diesem Ziel sind wir in Südtirol derzeit aber noch weit entfernt“, sagt Georg Wunderer, seines Zeichens auch Obmann des kürzlich neu gegründeten Raiffeisen-Energie-Verbandes. „Der Vinschger“: Die Nutzung der Wasserkraft in Südtirol, speziell auch im Vinschgau, ist groß. Gibt es noch ein ­Erschließungspotenzial für eine weitere Nutzung? Georg Wunderer: Die Nutzung der Wasserkraft gehört sicherlich zu den „saubersten“ Möglichkeiten der Energie­gewinnung, dies insbesondere dann, wenn die Erschließung des Gewässers schonend und ohne schwere Eingriffe in die Landschaft erfolgt. Im Vinschgau befinden sich allerdings drei Großab­leitungen, bei denen man nun wahrlich nicht von sanften Eingriffen sprechen kann. Sie haben alle mächtige Stauseen, die in den einzelnen Tälern tiefe Spuren hinterlassen. Dazu kommt noch, dass das Tal selbst die Lasten der Großkraftwerke zu tragen hat, während auswärtige Unter­nehmen den größten Teil der Erträge abschöpfen. Neben diesen bestehenden Großableitungen gäbe es im Vinschgau sicherlich noch eine Reihe von Bächen, die für die Stromerzeugung verwendet werden könnten. Diese Möglichkeiten restlos zu nutzen, wäre allerdings alles andere als akzeptabel. An einzelnen Stellen, davon bin ich persönlich überzeugt, könnte jedoch noch das eine oder andere Laufwasserkraftwerk von kleiner bis mittlerer Größe errichtet bzw. be­stehende Kraftwerke erneuert werden. Dies aber nur unter der Voraussetzung, dass die Nutzung des Gewässers moderat und der Eingriff schonend bleibt und das Kraftwerk ausschließlich der heimischen Bevölkerung zugute kommt. „Der Vinschger“: Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht von irgendwelchen neuen ­Wasserkraftwerken in Südtirol zu hören ist. Georg Wunderer: Südtirol setzt derzeit sehr stark auf die ­Wasserkraft. Von der Wirtschaftlichkeit her ist das auch verständlich. Einmal erhalten neue Kraftwerksanlagen eine vorteilhafte Förderung über die „grünen Zertifikate“, außerdem sind die Produktionskosten bei der Wasserkraft im Vergleich zu anderen Stromerzeugersystemen relativ günstig. Während diese Kosten bei der Fotovoltaik zum Beispiel bei 235 Euro pro Megawattstunde liegen, sind es bei kleinen Wasserkraftwerken 72 Euro, bei großen Wasserkraftwerken 20 Euro, bei Gas- und Dampfkraftwerken 57 Euro und bei der Atomenergie 55 Euro. „Der Vinschger“: Der Strom­bedarf in Südtirol liegt bei rund 2,6 Milliarden Kilowattstunden im Jahr. Allein mit der Wasserkraft in Südtirol werden jährlich 5,5 Milliarden Kilowattstunden erzeugt. Steht Südtirol da nicht glänzend da? Georg Wunderer: Das sieht nur auf den ersten Blick so aus. In Wahrheit befindet sich nur die Hälfte des Stroms, den Südtirol braucht, also 1,3 Milliarden kWh, in lokaler, sprich Süd­tiroler Hand. Der Rest kommt aus Großkraftwerken, die zwar alle das Wasser in Südtirol nutzen, die sich aber in der Hand landesfremder Unter­nehmen, wie ENEL und Edison, befinden. Sollte es gelingen, die großen ENEL-Kraftwerke gänzlich oder zumindest teilweise zu bekommen, wäre das natürlich ein großer Schritt zu mehr Eigenständigkeit. Derzeit stammt die lokale Eigenerzeugung vorwiegend aus den Kraftwerken der Etschwerke und aus der Kleinwasserkraft im Lande. Außerdem sind an den ­Wasserkraftwerken der Edison im Vinschgau die SELAG mit 32%, die Etschwerke mit 8% und die Vinschger Gemeinden mit dem bescheidenen Anteil von 8% beteiligt. „Der Vinschger“: Dann ist Südtirol im Energiesektor gar nicht so eigenständig? Georg Wunderer: Nein, das ist unser Land sicher nicht. Derzeit kann der Energiekonsum in Südtirol lediglich zu 25 Prozent mit Ressourcen gedeckt werden, die sich direkt in Süd­tiroler Hand befinden. 61 Prozent des Energiebedarfs deckt Südtirol mit dem Zukauf von Fossilenergie, hauptsächlich Erdöl und Erdgas, welche importiert werden. Diese Fremdenergie werden wir über kurz oder lang ersetzen müssen. „Der Vinschger“: Bei der ­Wasserkraftnutzung tritt das Land mit der Landesenergiegesellschaft SEL AG auch als Unternehmer auf den Plan. Das wird vor allem im Vinschgau – aber nicht nur – immer wieder kritisiert. Georg Wunderer: Ich habe schon seit jeher die Position vertreten, dass dem Land die Rolle eines Koordinators zustehen muss und auch soll. Für alles andere stehe ich für das Prinzip der Subsidiarität ein: Was Staat oder Land abtreten können, soll kleineren Körperschaften wie Gemeinden oder auch Genossenschaften übertragen werden. Bei der Nutzung der Wasserkraft geht es natürlich um sehr viel Geld. „Der Vinschger“: Bei der Neuvergabe der Konzessionen für Wassergroßableitungen wird künftig aber die Umsetzung von Umweltplänen verlangt. Georg Wunderer: Das ist zwar gut und richtig, nur dürfen die Geldmittel aus diesen Plänen und möglichst auch die ­Nettoerträge der Kraftwerke nicht für artfremde Investitionen und Finanzierungen genutzt werden, sondern sie sollen in den nachhaltigen Ausbau der Energieversorgung im Land fließen. Um beispielsweise die Fotovoltaik kräftig auszu­bauen oder das Biogaspotential im Land zu erschließen, bräuchte es eine entsprechend kräftige Förderung, ebenso wären Rahmen­bedingungen zu schaffen, um die Holzressourcen im Lande besser nutzen zu können und Projekte für den Anbau von Energiepflanzen zu fördern. „Der Vinschger“: Ist die Fotovoltaik nicht dazu „verdammt“, immer ein Nischendasein zu fristen? Georg Wunderer: Das glaube und hoffe ich nicht. In der Fotovoltaik sehe ich eine der großen Chancen und ein großes Entwicklungspotential. Die zurzeit noch relativ ­hohen Produk­tionskosten bei der Solar­stromproduktion mittels Siliziumzellen werden künftig aufgrund technologischer Entwicklungen sukzessive zurückgehen. Was Südtirol und insbesondere den Vinschgau betrifft, so sollten wir die guten Strahlungsverhältnisse nutzen. Landesweit dürfte es leicht möglich sein, mindestens 350 Mio. kWh Solarstrom zu erschließen Das ist in etwa die Hälfte des Stroms, der Jahr für Jahr mit dem Reschenstausee erzeugt wird. In der Gewerbezone Prad entstehen derzeit auf den Dächern mehrerer Betriebe Fotovoltaikanlagen. Man geht von einer Jahresproduktion in Höhe von 1,9 Mio. kWh Jahresproduktion aus. Da entsteht das größte Fotovoltaikkraftwerk Italiens. „Der Vinschger“: Für die Strom­erzeugung mit der Kraft der Sonne gibt es aber auch öffentliche Beiträge. Georg Wunderer: Ja, das stimmt. Nicht wahr ist die leider oft verbreitete Meinung, dass der Staat hier finanziell mithilft. In Wahrheit zahlen alle Stromverbraucher über die Stromrechnung diese Förderung. Der Strompreis setzt sich nämlich aus 4 Preiskomponenten zusammen: Erzeugungspreis, Über­tragungspreis, Systemkosten und Steuern. Die Förderungsmittel für die Fotovoltaik stammen aus der Strompreiskomponente „Systemkosten“. Mit der gleichen Strompreiskomponente wurden übrigens die Amortisationskosten der italienischen Atomkraftwerke finanziert und nunmehr wird damit deren Abbau bezahlt. „Der Vinschger“: Der Bau von Fotovoltaikanlagen in der freien Landschaft ist aber sehr umstritten. Georg Wunderer: Es gibt viele andere Möglichkeiten, die Sonne zu nutzen. Auf Einladung des Raiffeisen-Energie-Verbandes fand erst kürzlich ein Treffen in Schlanders statt, auf dem über Möglichkeiten nachgedacht wurde, wie beispielsweise im ‚Sonnendorf’ Kortsch die Sonne als Energie­quelle effizient und für möglichst alle Bürger genutzt werden könnte. Warum nicht auf der Basis einer dörflichen Genossenschaft ein gemeinsames Solarkraftwerk errichten, indem die dafür geeignetsten Dachflächen ausgekundschaftet und über entsprechende Vereinbarungen zwischen Dach­eigentümer und Genossenschaft genutzt werden? Dadurch ließen sich wertvolle Synergien schaffen. Aufwändige Einzelberatungen zum Beispiel wären nicht mehr notwendig. Der Raiffeisen-Energie-Verband verfolgt insgesamt das Ziel, die dezentrale Energieversorgung zu stärken, örtliche Unter­nehmen und Genossenschaften zu unterstützen und die Nutzung erneuerbarer Energieträger zu fördern. „Der Vinschger“: Wie stehen Sie zur Nutzug von Erdgas? Georg Wunderer: Ich habe ein ungutes Gefühl, dass eine ­Methangasleitung bis Schlanders gebaut wird, um das dortige Fernheizwerk mitzuspeisen. Der Bau dieser Gasleitung kostet sicher sehr viel Geld, der erst nach vielen Jahren amortisiert werden kann. Ich hätte es lieber gesehen, wenn dieses Geld in die Beschaffung und Bereitstellung erneuerbarer Energiequellen investiert worden wäre, um die lokale Eigenständigkeit zu verbessern. Das Methangas kommt von weit her und nur einige wenige Länder verfügen über die großen Erdgaslagerstätten der Erde. Dies kann zu problematischen Abhängigkeiten führen. Die größten Erdgasreserven liegen in Russland. Man kann nur hoffen, dass dieses Land als bedeutendster Methangaslieferant Italiens, den Gashahn stets offen hält. Auch steigen die Preise des Gases ständig an, weil die Nachfrage nach dem Brennstoff weltweit zunimmt. Schließlich ist das Methangas kein erneuerbarer Brennstoff, auch wenn man zugeben muss, dass seine Verbrennungseigenschaften als relativ sauber einzustufen sind. Dass die Leitung künftig in Richtung Mals weitergebaut wird, bezweifle ich, denn dies dürfte sich wirtschaftlich kaum rechnen, weil weder in Laas, noch in Prad, noch in Schluderns, noch in anderen Orten des Oberen Vinschgaues Fernheizwerke stehen bzw. geplant sind, in denen Methangas als Brennstoff eingesetzt wird. „Der Vinschger“: Für das Betreiben der Fernheizwerke reichen die lokalen Holz­ressourcen aber nicht aus. Georg Wunderer: Zu diesem Thema habe ich eine etwas andere Meinung. Wo es hapert, sind nicht die Ressourcen an und für sich, sondern die Holzbringung und die Organisation insgesamt. In Vorarlberg zum Beispiel ist die Holzbringung perfekt organisiert. Wie sonst ist es möglich, dass die Vorarlberger überschüssiges Hackgut nach Südtirol liefern können? Wir haben hier in Südtirol zwar überall Forstwege, aber mit der tatsächlichen Holznutzung und Logistik ist es noch nicht allzu weit her. Außerdem könnte auch überlegt werden, ob man in Zukunft auf relativ unproduktiven Flächen nicht auch Holz bzw. Energiepflanzen anpflanzen sollte. Über ein nicht unerhebliches Potential an Holzabfällen verfügen die Sägwerke und die Zweitverarbeitungsbetriebe, das lokal ebenfalls noch besser genutzt werden könnte. „Der Vinschger“: Ansätze für die Verwertung von Biogas sind aber vorhanden. Es gibt zum Beispiel eine Biogasanlage in Ihrer Gemeinde, eine weitere entsteht in Schluderns. Georg Wunderer: Dies Ansätze sind begrüßenswert. Das Potential aber, das landesweit in der Gülleverwertung liegt, wird derzeit nur zu einem sehr kleinen Prozentsatz genutzt. Wenn zum Beispiel 60 Prozent der Gülle, die in Südtirol bei den rund 130.000 Großvieh­einheiten anfällt, genutzt und zusammen mit Cofermenten, also biologisch abbaubaren, flüssigen und festen Stoffen verarbeitet würden, können jährlich 390 Millionen kWh produziert werden. Das ist eine riesige Menge, die das Pendel stark in Richtung einer eigenständigen Energieversorgung ausschlagen ließe. „Der Vinschger“: Glauben Sie, dass auch die Windkraft stärker genutzt werden könnte bzw. noch andere, lokale Energiequellen? Georg Wunderer: In der Windkraft steckt sicher viel mehr drin als bisher herausgeholt wird. Es gilt natürlich geeignete Standorte zu finden. Auch über neue Energieträger sollte Südtirol nachdenken. Ich nenne etwa die Verwertung von Abfall und Pflanzenresten im Feldgemüsebau oder von Fallobst und Mulch, das in Obstanlagen in großen Mengen anfallt, besonders auch hier im Vinschgau. Auch der Anbau von Energiepflanzen wie etwa Raps oder Energiegetreide als Nachfrucht könnte da und dort überlegt werden. Dafür würden sich viele Wiesen, auf denen derzeit Gras wächst und Äcker gut eignen. Auch Gras selbst kann verwertet werden. Ich habe die Sorge, dass Südtirol auf diesem Gebiet, zu dem auch die Herstellung flüssiger Brennstoffe gehört, Einiges verschläft. Mittlerweile ist die Technik schon so weit, dass Biomasse verflüssigt werden kann. Ich würde mir wünschen, dass in Südtirol zum Thema Energie etwas mehr geforscht würde. Dieser Aufgabe könnte sich die Europäische Akademie oder die Universität in Bozen stärker annehmen. „Der Vinschger“: Könnte Südtirol seinen Energiebedarf ­theoretisch ganz allein decken? Georg Wunderer: Der Gesamtbedarf ist in den letzten Jahren gewaltig angestiegen. 2004 belief er sich auf 8,7 Milliarden kWh. Beim Strombedarf hatten wir in 10 Jahren einen Zuwachs von 44 Prozent, beim Erdgas sogar von 60 Prozent. Von den Energiequellen wird in Südtirol am meisten Mineralöl verbraucht, nämlich 3,5 Mrd. kWh, es folgt der Strom mit 2,6, dann das Erdgas mit 1,8 Mrd. kWh und schließlich das Holz mit rund 0,9 Mrd. kWh. Unser Ziel muss es sein, von den fossilen Energiequellen Schritt für Schritt wegzukommen und auf einen Mix von erneuerbaren, lokalen Energiequellen hinzuarbeiten. Das hängt nicht zuletzt auch mit dem Klimawandel zusammen, der ein Fakt ist und mit dem wir uns zwangsläufig beschäftigen müssen. „Der Vinschger“: Ist das Thema Geothermie auch in Südtirol aktuell? Georg Wunderer: In der Erdwärme schlummern riesige Möglichkeiten, und zwar weltweit. Bei der Nutzung der Erdwärme in der Tiefe gibt es das Problem, dass die Bohrungen viel kosten. Dabei besteht das Risiko, nicht fündig zu werden. Die Nutzung der so genannten Oberflächen-Tiefenwärme ist technisch weniger problematisch. Allerdings braucht es dazu den Einsatz der Wärme­pumpe, die mindestens ein Viertel Energie in Form von Strom verbraucht, um Dreiviertel Erdwärme gebrauchsfähig aufzubereiten. „Der Vinschger“: Wie schätzen Sie die Energiepolitik des ­Staates Italien ein? Georg Wunderer: 85 Prozent der in Italien verbrauchten Energie werden zugekauft. Im Spitzenfeld liegen Erdgas und Erdöl. Es ist ein volkswirtschaftlicher Wahnsinn, dass das Sonnenland Italien jährlich 50 Milliarden Euro für den Energiezukauf ausgibt. Dieser Missstand ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass sich ENEL und ENI im Lauf der Jahrzehnte zu „Staaten“ im Staat entwickelt haben und dem Staat jegliche Kontrolle entglitten ist. Die Energie ist etwas, was alle Bürger angeht. Daher ist es auch wichtig, die Bürger direkt zu involvieren. Wenn ich zum Beispiel an die künftige Stromverteilung in Südtirol oder speziell im Vinschgau denke, so wünsche ich mir, dass die Bürger direkt beteiligt werden, etwa als Mitglieder einer Trägergenossenschaft. Interview: Sepp Laner
Josef Laner
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Vinschger Sonderausgabe

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