Bodenständiges Abheben
Publiziert in 34 / 2007 - Erschienen am 3. Oktober 2007
Kulturelle Auseinandersetzung als Basis für Entwicklung nannte der Kulturverein arcus reatiae das Eröffnungssymposium am 21. September im neuen Sitz, Ansitz Plawenn. Mit dem Schweizer Agrarwissenschaftler und Professor für Entwicklungspolitik an der Schweizerischen Hochschule für Landwirtschaft, Gil Ducommun, sowie dem Sprecher und Mitbegründer von Attac Österreich, Christian Felber, der als einer der hervorragendsten europäischen Vordenker einer ökologisch verträglicheren Wirtschaft gilt, begann das Symposium.
Von Katharina Hohenstein
Der Kulturverein arcus raetiae mit Frontman Konrad Meßner dürfte vor allem durch das alljährliche Dreiländerspektakel XONG bekannt sein. Die arcus raetiae’sche Selbstverständlichkeit der Drei-Länder-Geografie manifestiert sich in der just verfassten Momentaufnahme des Vereins mit eindringlicher Klarheit: Dreiländereck, Herbst 2007 heißt es da. Der Ansitz Plawenn, wohin der Verein im August 2007 zog, ist die geografische Mitte: Mals, Nauders und Martina im Schweizerischen Münstertal sind davon fast gleichweit entfernt. Oder gleich nahe. „Es gibt keinen anderen Ort mit dieser Qualität“, so Konrad Meßner, der mit seiner Wahl Plawenn durchaus zufrieden ist. „Auf 1730 m hat man ein bisschen Abstand, den es braucht, gleichzeitig ist der Ansitz sehr zentral. Es gab bei diesem Symposium keinen einzigen Moment, der einen schlechten Beigeschmack gehabt hätte“. In der Tat, die sonst eher üblichen Kopfschmerzen, das Herdengefüge, die „Hier-muss-ich-raus-Gedanken“ bleiben aus.
Vermutlich hätten die Teilnehmer noch nicht einmal der Aufforderung eines Christian Felbers benötigt, um auf der Wiese den Ausblick zu genießen oder – einmal ums Eck gelaufen – einem Nachbarn einen schönen Morgen zu wünschen. Ein freundlicher Platz, dessen authentische Ästhetik mehr Wohlfühlelemente als so manche künstliche Wellnessoase bietet. arcus raetiae hat schon vorher, seit 1999, nicht nur das Musikfestival, „das heute mehr ein Kulturfestival ist“, so Meßner, kreiert, sondern den in den 60er Jahre verdrängten Georgimarkt und den immer kleiner werdenden Gollimarkt wiederbelebt. Eine Tradition, die seit der Erhebung von Mals zur Marktgemeinde 1642 durch Claudia von Medici geboren wurde. Zwei weitere Symposien, „Architektur und regionale Identität“, sowie das Zusammenführen der Kirchen des Dreiländerecks sind Kinder des Vereins.
Wenn das Symposium „Ohne Kultur kein Käse“ kulturelle Auseinandersetzung als Basis für Entwicklung ansieht, und Menschen wie die Amtsdirektorin für Kultur, Angelika Gasser, den Leiter und Initiator der Oberinntaler Diskurse, Engelbert Gitterle, den Direktor der Raiffeisenkasse Obervinschgau, Walter Kaserer, die Kulturreferentin von Mals, Sibille Tschenett, Liselotte Parth vom Bildungsausschuss Laas, den Schludernser Architekten Jürgen Wallnöfer, die Kulturbeauftragte der SMG, Gabriele Crepaz, sowie die arcus reatiae-Mitglieder Günther Baldauf von der Kulturburg Fuldera und den Redakteur von Radio Rumantsch Hermann Thom für das Symposium gewinnen konnte, zeigt es, dass die Bezugs- und Ansatzpunkte der insgesamt 24 Interessierten weit gestreut waren. Selbst wenn viele Freigeister – die Meßner gerne um sich schart - 120 Euro Teilnahmegebühr vielleicht nicht zahlen können. „Das Symposium war schon erfolgreich, bevor es anfing“, sagt Meßner, so viele Anfragen seien eingetroffen. Ganz im Sinne seines vereinsinternen Statutes zielte das Symposium auf Mitdenken, Mitmachen, dem Eindämmen der Ohnmacht und darauf ab, dass Kultur im Alltag verankert ist. „Kultur ereignet sich im Vollzug des täglichen Lebens… …Einerseits formt Kultur den Menschen in seiner Sozialisation, andererseits ist jeder selbst Gestalter und Veränderer der Kultur“.
Mutig zeigten sich die Ideen der Referenten Gil Ducommun und Christian Felber. Der Schweizer Agrarwissenschaftler Ducommun plant 2009 mit einer politischen Partei in den Schweizer Landtag zu ziehen. Nicht nur Kulturwirt Meßner zeigt sich begeistert, die Malser Gemeindereferentin Tschenett ist zuversichtlich, dass die Ideen des Schweizers in die richtige Richtung gehen: „Es ist ein ganz anderer Ansatz, der es wert ist, weitergedacht zu werden“. Kurz: Ducommun fordert – und formt – eine politische Partei, die aus Menschen besteht, deren Wille zu dienen größer ist als der Wille, Macht um der Macht willen zu besitzen. Menschen, die eine gewisse, auch im spirituellen Sinn, hohe persönliche Entwicklungsstufe erreicht haben. Um so der Falle des Machtmissbrauchs, des ausschließlich persönlichen Profits zu entgehen. „Die großen Epochen des menschlichen Bewusstseins (nach Gebser und Wilder) laufen ab 2000 in Richtung integralen Bewusstsein“, erklärt Ducommun, sie lösten das mentale Zeitalter (1500 bis 2000), wo Körper, Seele und Gefühle der Vorherrschaft der Vernunft weichen mussten, ab. Das Materielle spiele in dem kommenden Zeitalter des Menschen nicht die dominierende Rolle, eine Integration des „ganzen Menschen“ wäre dann möglich. Diese Partei ist eine Bewegung, und beide Teile; Bewegung und Partei, unterscheiden sich wesentlich von den meisten anderen Parteien, wie auch von den meisten anderen Bewegungen. Nur eine Gemeinschaft ähnlich Denkender – oder ähnlich Fühlender - zu sein, reicht Ducommun nicht: „Vorschläge allein, im Rahmen eines Think-Tanks sind zu wenig, bei einem Verwirklichen von Ideen sollte eine Form geschaffen werden“. Die Partei namens „Intergrale Politik“ wird – trotz aller noch zu entwickelnden Programmpunkte – in ihren Statuten nicht fertig entwickelt und ausformuliert sein, „damit es eine Beteiligung geben kann“.
Für Ducommun ist die visionäre Partei vor allem ein Gefäß, „damit sich viele nicht alleine fühlen in ihren Ideen und Gefühlen“. Allen voran geht es hierbei um die Umkehrung vorhandener Realitäten wie das Überbetonen materiellen Profits, die Dominanz von messbarem Erfolg und die Nebensächlichkeit von Partnerschaft und Freude an der Arbeit: „Für mich sind mein Beziehungsumfeld, meine Frau, meine Arbeitsstelle das Wichtigste. Wenn die beiden Komponenten stimmen, stimmt schon sehr viel. Von dieser Freude gehen alle anderen Wege aus“. Was so logisch klingt, scheint dennoch verloren gegangen zu sein. „Kulturarbeit“, kommentiert der 50-Jährige vierfache Familienvater Meßner, „hat immer mit Visionen und Irritationen zu tun“. Auch damit, all jene zusammenzuführen, die im Stillen ihre eigenen Gedanken pflegen. Bis sie wieder darauf kommen, sei es durch ein Gespräch, ein Symposium, eine neue Partei, die anderswo gegründet wird: „Das habe ich auch schon mal gedacht“. Und wieder einmal verstehen, dass sie es selbst sind, die Kultur schaffen. Wer welchen Zugang zu welcher regional orientierten Umsetzung findet, das wiederum kann ganz individuelle Formen annehmen. Der Oberinntaler Engelbert Gittlerle begeistert sich für bodenständiges Umsetzen: „Vielleicht gäbe es so etwas wie einen Stammtisch. Er wäre für alle zugänglich!“
Christian Felber
Seit 1996 freier Autor und Publizist, Mitbegründer und Sprecher von Attac Österreich, wurde 1972 in Salzburg geboren. Sein im Herbst 2007 erschienenes Buch „50 Vorschläge für eine gerechtere Welt“ wurde von der Robert-Junck-Bibliothek für Zukunftsfragen unter die Top 10 der Zukunftsliteratur gereiht. Einige der konkreten Alternativen zur gegenwärtigen Fom der Globalisierung thematisierte er auf dem Symposium. Besonders beachtensswert – oder diskussionswürdig – erscheinen seine regionalen Strategien, die auf eine Eigenverantwortlichkeit der Regionen zielt. So visioniert er beispielsweise Regionalakademien, die Tradition, Kultur und die spezifischen Ressourcen einer Region vermitteln, moderne Allmenden, die ein Nutzungsrecht für alle Anwohner hätten oder auch Dorfwerkstätten, worin vor allem repariert wird, anstatt auf dem Müll zu landen. Er wirft die Frage in den Raum, welche Werte heute vermittelt werden und beantwortet sie mit den Zielen der EU, verankert in der Lissabon-Strategie seit 2000: „Europa soll der wettbewerbsfähigste Wirtschaftsraum der Welt werden.“ Felber sieht eine Wiedergeburt des Nationalismus auf wirtschaftlicher Ebene, eine Darwinisierung aller Lebensbereiche und kontert mit seinen Vorschlägen. „Ethik“, sagt Felber, „kann man selbst bestimmen.“ Das seien die lokalsten aller Ressourcen, denn „Werte entstehen in Herzen.“
„Dass man in der Früh’ gerne aufsteht“
„Der Vinschger“: Herr Meßner, das Symposium „Ohne Kultur kein Käse“ fand vor wenigen Tagen statt. Gibt es schon ein erstes Fazit?
Konrad Meßner: Eine erfreuliche Veranstaltung, das Ergebnis ist um einiges breiter als das erklärte Ziel der Veranstaltung. Es hat sich bestätigt, dass kulturelle Auseinandersetzung eine Basis für Entwicklung im ländlichen Raum sein kann; sie kann sogar im internationalen Raum gesehen werden. Die Referenten Gil Ducommun und Christian Felber lieferten viel Motivation, um weiterzudenken.
Konkret hieße das?
Konrad Meßner: Das Umsetzen ist noch weit weg. Netzarbeit ist kein Allheilmittel. Bei der Vernetzung von 24 Menschen kristallisiert sich allerdings heraus, dass jenes, was als Utopie angenommen wird, viel stärker in der Gesellschaft verankert ist, als angenommen. Man wird aufgerüttelt und sie verstärkt das Nachdenken und -fragen.
Gil Ducommun formt eine Partei für die Schweiz, die eine Spitze von – auch persönlich und spirituell – hochentwickelten Persönlichkeiten hat. Birgt es nicht ein gewisses Gefahrenpotential, Spiritualität und Politik zu vermischen?
Konrad Meßner: Gil Ducommun hat keinen Anteil von Prediger, er gibt keine fertigen Lösungen vor. Ich habe ihn als authentisch und integer erlebt. Es geht darum, Impulse herauszuholen, nicht zu kopieren. Es ist beruhigend, einem Menschen wie Gil zu begegnen, der nichts Missionarisches an sich hat. Letzlich sind Ideen sowieso nur dann stimmig, wenn sie vor Ort geboren werden. An seinen Ideen fasziniert auch das Bewusstsein, das uns oft fehlt, dass der Mensch sich in einer Entwicklung befindet. Würde es uns gelingen, diese Auffassung von Entwicklung stärker in den Vordergrund zu stellen, hätte die Diskussion darum eine andere Qualität. Eines der größten Hindernisse ist die Tatsache, dass wir immer meinen, wir wüssten, wo es langgehe. arcus raetiae sucht nach neuen Identifikationsmöglickeiten, die Selbstverständlichkeit, sich auf Regionales zu beziehen. Ich will nicht mehr lamentieren, sondern die Potentiale, die sich bieten, aufgreifen.
Sie beziehen für die arcus raetia-Projekte Gelder der jeweiligen Länder, aber keine EU-Gelder…
Konrad Meßner: Fremdkapital, das in eine Region fließt, muss mit Vorsicht genossen werden. Ich stelle die horrende Frage: Was hat Leader bewirkt, wenn morgen die Hoppe geschlossen wird? Es ist auch eine Fremdorientierung, die uns hindert, zu sagen, das hier ist der schönste Raum, in dem man leben kann. Es ist ein tolles Potential, wenn man in der Früh gerne aufsteht und sich denkt: „Dort, wo ich lebe, bin ich genau richtig“.
„Wert, weitergedacht zu werden“
„Der Vinschger“: Frau Tschenett, erste Eindrücke vom Symposium?
Sibille Tschenett: Gil Ducommun hat mich durch einige Aussagen beeindruckt. Vor allem, dass eine Zufriedenheit in den Bereichen wie Partnerschaft und Beruf eine Vorraussetzung für weitere gute Entscheidungen seien.
Und seine ungewöhnlichen Forderungen an die führenden Kräfte seiner zukünftigen Partei?
Sibille Tschenett: Es ist ein ungewöhnlicher Ansatz, der es wert ist, weitergedacht zu werden. Ich habe ihn als authentisch erlebt und bin zuversichtlich, dass er in die richtige Richtung geht.
Konkrete Umsetzungsmöglichkeiten wären für Sie?
Sibille Tschenett: Wo setzt man an? Zuerst im Kleinen, also auf den angesprochenen Ebenen zufrieden zu sein. Um dann auf lokaler und regionaler Ebene gute Entscheidungen treffen zu können: Im Rahmen des Bildungsherbstes Veranstaltungen fördern, die in eine sinnvolle Richtung zielen.

Katharina Hohenstein