Damit es allen gut geht,und nicht nur wenigen
Publiziert in 12 / 2013 - Erschienen am 4. April 2013
Mit dem ESF-Projekt „Gemeinwohl-Region Vinschgau“ soll ein neues Denken und Handeln angestoßen werden.
Goldrain - Mit dem Begriff Wirtschaft bringt jeder von uns sofort die Stichworte Gewinn und Geld in Verbindung. „Geld und Gewinn sind aber nicht die Ziele des Wirtschaftes, sondern nur Mittel zum Zweck. Und der Zweck ist das Gemeinwohl, also das Wohl aller.“ So umschrieb Christian Felber aus Wien das Modell der „Gemeindewohl-Ökonomie“. Felber, der diesen Begriff geprägt hat, war einer der Referenten, die bei einer Fachtagung am 25. und 26. März im Bildungshaus Schloss Goldrain für eine Veränderung des derzeitigen Wirtschafts- und Finanzsystems plädierten und angesichts der ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Krisen ein Umdenken auf allen Ebenen sowie neue Visionen einforderten. Die Fachtagung, zu der Vizepräsident Dieter Pinggera im Namen der Bezirksgemeinschaft Vinschgau zahlreiche Gemeindevertreter, Wirtschaftstreibende und Interessierte begrüßen konnte, war der Arbeitsauftakt des ESF-Projektes „Gemeinwohl-Region Vinschgau“, an dem sich unter der Trägerschaft der Bezirksgemeinschaft und unter der Betreuung von Günther Reifer und Armin Bernhard zunächst die Gemeinden Mals, Laas, Schlanders und Latsch beteiligen.
„Auf Werte bauen, die das Gemeindewohl fördern“
Laut Felber müssen im Wirtschaftssystem der Zukunft neben dem Gewinnstreben auch andere Werte Einzug halten, und zwar solche, die auch für das Gelingen zwischenmenschlicher Beziehungen unerlässlich sind: Zusammenarbeit statt Konkurrenz, Gerechtigkeitssinn, Respekt und andere Werte mehr. Die Marktwirtschaft, aber auch Gemeinden, Staaten und die Gesellschaft insgesamt müssen ökologischer, demokratischer, nachhaltiger und regionaler werden. „Die Wirtschaft muss zunehmend auf Werte aufbauen, die das Gemeinwohl fördern,“ so Felber.
„Gegenbewegung zu dem, was global aus dem Ruder läuft“
Susanne Elsen, Sozialwissenschaftlerin und Professorin an der Freien Universität Bozen, sieht in der Gemeinwohl-Ökonomie eine Gegenbewegung zu dem, was global aus dem Ruder läuft. Noch mehr Wachstum sei keine Antwort, sondern das Problem. Auch laut Elsen sei das derzeitige Wirtschaftssystem wieder in Werte „zurückzubetten“. Die Zivilgesellschaft sei gefordert, Fehler der Wirtschafts- und Finanzwelt sowie auch der Parteienpolitik auszumerzen. Die Gesellschaft müsse sich des Stellenwertes von Gemeingütern wie Wasser. Boden oder soziale Einrichtungen und Strukturen bewusst werden. „Vieles wird uns enteignet.“ Die Potentiale, die in regionalen Kreisläufen schlummern, liegen zu einem guten Teil brach: Nahraumversorgung, neue Genossenschaften, Alternativwährungen zur Stärkung der lokalen Wertschöpfung sowie die Erschließung der Kompetenzen von Frauen sowie von älteren Menschen, die nicht mehr berufstätig sind. sepp
“Geld ist, was eine Gemeinschaft als solche vereinbart.”
So definiert der Unternehmensentwickler Gernot Jochum-Müller aus Vorarlberg Zahlungsmittel und eröffnet damit auch die Möglichkeiten. Mehrere Regionen haben bereits sogenannte komplementäre Währungen entwickelt und auch die Bezirksgemeinschaft Vinschgau denkt recht konkret über diese Möglichkeit nach. Das Ziel von komplementären Währungen ist immer, die Wertschöpfung vor Ort zu halten, durch selbst definierte Spielregeln eine nachhaltige Wirtschaftsweise zu fördern, die nicht Gewinnstreben, sondern das Gemeinwohl als Ziel sieht.
Es gibt bereits mehrere Regionen, die sich erfolgreich für die Einführung ganz unterschiedlicher komplementärer Währungen entschieden haben. Diese Beispiele schauen sich die Vinschger nun sehr genau an. Eine Arbeitsgruppe hat auch schon begonnen, ein Modell für den Vinschgau an zu denken. Eine regionale Währung schafft zudem eine Unabhängigkeit von Finanzspekulationen und dem Zinseszins, oft Grund für hohe Preise. Produzenten nehmen Kredite auf, für Anlagen, Maschinen, Gebäude. Am Kapitalmarkt zahlen sie dafür einen Zinssatz, den sie auf das Produkt oder die Dienstleistung umlegen. Der Konsument zahlt also den eigentlichen Preis und den Zins. Der Zinsanteil in Waren und Leistungen variiert, beträgt aber etwa bei Abwasser 38% (Kosten des Kredites für Kläranlage, Leitungsnetz usw.). In unserer Gesellschaft werden sehr oft Schulden auf die Allgemeinheit abgewälzt, die Gewinne jedoch privatisiert. Einfach ausgedrückt: die Gesellschaft zahlt auf Kosten weniger, meist unbekannter Investoren drauf. Mit einer regionalen Währung wird das System transparent und auch kontrollierbar. Das Ziel des Wirtschaftens ist nicht mehr Gewinnmaximierung auf Kosten anderer, sondern ökologische, soziale und ökonomische Nachhaltigkeit. Natur- und vor allem menschenfreundliches Wirtschaften also. Und das geht. Dazu braucht es eine Region, die diesen Weg als Gemeinschaft in Angriff nimmt, die eigenen Stärken und Ziele kennt und bewusst zusammensteht. Eine Regionalwährung basiert auf dem Prinzip des solidarischen Wirtschaftens. Keine Gewinnmaximierung, sondern der Aufbau eines Systems, das widerstandsfähig gegenüber äußeren Einflüssen (und Krisen), lernfähig, transparent und einfach ist. Also durchschaubar für alle und damit basisdemokratisch und zukunftsfähig. ANP
„Der Vinschgau kann hier erneut Maßstäbe setzen“
Betreuer und Begleiter des Projekts „Gemeinwohl-Region Vinschgau“ sind Günther Reifer, Inhaber des Terra Institutes und Universitätsdozent, sowie der Bildungswissenschaftler und Universitätsdozent Armin Bernhard.
der Vinschger: Was sind die konkreten Ergebnisse der Tagung?
Günther Reifer: Die Tagung war praktisch der offizielle Arbeitsbeginn des Projekts Gemeinwohl-Region Vinschgau. Das Projekt besteht primär aus zwei Schwerpunktthemen: die Erstellung der Gemeinwohlbilanz der Gemeinden und das Regionalgeld als alternative Währung zum Euro. Diese Themen wurden von Experten aus dem In- und Ausland erläutert und praxisorientiert dargestellt. Es wurden unterschiedliche Modelle aufgezeigt und Beispiele erläutert. Auch der Projektplan und die weitere Vorgehensweise wurden im Detail definiert. Gefreut hat uns die doch hohe Anzahl an Interessierten. Am ersten Tag waren rund 60 Personen anwesend, am drauf folgenden Workshop-Tag wiederum ca. 40. Wird sind alle gespannt darauf, was hier entstehen wird. Der Vinschgau kann hier erneut innovative Maßstäbe setzen. Wir sind überzeugt, dass dieses Projekt im In- und Ausland auf Beachtung stoßen wird. Natürlich ist auch die Bevölkerung des Vinschgaus aufgefordert, mitzumachen. Alle können sich einbringen.
Worin besteht die Arbeit, die jetzt auf die Pilotgemeinden Mals, Laas, Schlanders und Latsch zukommen?
Armin Bernhard: Eine eigene Gruppe in den jeweiligen Gemeinden wird sich mit der Gemeinwohlbilanz der Gemeinde beschäftigen. Die Gruppen werden im Detail 17 Kriterien durcharbeiten, an denen die Gemeinwohlorientierung einer Organisation gemessen wird. Das ist ein Instrument, das von rund 100 Unternehmern entwickelt wurde und mittlerweile schon europaweit umgesetzt wird. Man diskutiert über alle Bereiche, die in einem Unternehmen oder einer Organisation eine Rolle spielen. Die Palette reicht von der Ethik im Beschaffungsmanagement bis hin zur Qualität am Arbeitsplatz und zur Mitbestimmung und Transparenz. Alle Bereiche werden nun auch in diesen Gemeinden unter die Lupe genommen und bewertet, sodass im Anschluss daran konkrete Verbesserungen abgeleitet werden können. Die Gruppe rund um das Regionalgeld prüft unterschiedlichen Modelle und erarbeitet daraus ein passendes Konzept für den Vinschgau.
Was sind die nächsten Schritte?
Günther Reifer: Die Teams und die Termine sind definiert, jetzt geht es an die Arbeit. Als erstes Thema wird das „ethische Beschaffungsmanagement“ in Angriff genommen. Das ist schwieriges Thema, weil die Gemeinden gesetzliche Vorschriften einhalten müssen. Trotzdem wird untersucht herauszufinden, wie ethisch und sozial vertretbar die Gemeinden zurzeit einkaufen.
Was kann bzw. sollte sich in den Pilotgemeinden konkret ändern?
Armin Bernhard: Das ist wohl die spannendste Frage und darüber könnte man eine ganze Ausgabe füllen. Grundsätzlich wollen wir mit dem Projekt einen Prozess anstoßen, der neue Schwerpunkte im täglichen Miteinander und im Wirtschaftsalltag in den Mittelpunkt rückt. Es geht um Kooperation anstelle von Konkurrenz, um das Leben von Werten, die ein gemeinsames Zusammenleben fördern und Beziehungen gedeihen lassen. Es geht um regionale Entwicklung anstelle von Abwanderung und Globalisierung und es geht um einen Bewusstseinswandel hin zu mehr Miteinander und Gemeinschaft. Darauf ausgerichtete Änderungen werden letztlich allen zu Gute kommen, dem Touristiker ebenso wie dem Landwirt und allen anderen.
Im Vinschgau gibt es derzeit ca. 10 Gemeinwohl-Unternehmen. Inwiefern unterscheiden sie sich von herkömmlichen Firmen? Geht es am Ende nicht allen Unternehmen in erster Linie um den Gewinn?
Günther Reifer: Diese Firmen sind schon dabei, die oben angeführten Inhalte in ihrem täglichen Wirtschaften umzusetzen. Sie haben ihr Unternehmen bereits nach den erwähnten 17 Kriterien „gescannt“ und erste Maßnahmen abgeleitet. Das Ziel ist mehr Kooperation und weniger Konkurrenz. Es geht darum, neue Ziele zu definieren, die nicht ausschließlich den monetären Gewinn im Blickfeld haben. Es geht um Werte, die wir auch privat mit Freunden und unseren Lieben leben möchten, sodass am Ende alle gewinnen, die Mitarbeiter ebenso wie die Kunden, aber auch die Erde mit ihren Ressourcen. Wir hoffen, dass noch viele weitere Unternehmen diesen Weg gehen und sich auf diese neue, ethische Wirtschaftsweise einlassen.
Interview: Sepp Laner

Josef Laner