Den Menschen dienen, nicht dem Kapital
Publiziert in 38 / 2012 - Erschienen am 24. Oktober 2012
Ob wir es wollen oder nicht: Die Wende von fossilen zu erneuerbaren Energieträgern ist unumkehrbar. Und sie birgt große Chancen.
Prad - Natürlich war es die SEL-Affäre, die am 17. Oktober im Foyer des Hauptsitzes der Raiffeisenkasse Prad-Taufers allen durch die Köpfe schwirrte. Bei der gut besuchten Bezirkstagung des Südtiroler Energieverbandes (SEV) standen aber weniger die „Geschehnisse“ rund um die SEL im Mittelpunkt, sondern die Wende im Energiesektor. „Diese Wende von fossilen zu erneuerbaren Energien hat bereits begonnen. Sie ist unumkehrbar und birgt große Chancen für eine dezentrale und nachhaltige Energieversorgung,“ sagte SEV-Vizepräsident Georg Wunderer. Zu den „Ereignissen“ im Zusammenhang mit der SEL meinte der Vordenker und Energie-Pionier: „Wir können nur hoffen, dass das ‚brennende Haus‘ ordentlich gelöscht wird, sonst könnte es teuer werden.“ Wunderer, langjähriger Präsident des Raiffeisen Energieverbandes, der sich im November 2011 zusammen mit dem Biomasseverband Südtirol zum SEV zusammen geschlossen hat, ist seit jeher ein glühender Verfechter einer dezentralen Energieversorgung, die auf die Nutzung erneuerbarer Energieträger aufbaut, und zwar möglichst auf dem Genossenschaftsprinzip. „Im Energiesektor haben bis jetzt zu viele Spekulanten mitgemischt. Es soll nicht dem Kapital gedient werden, sondern den Menschen,“ sagte Wunderer. Er trete für eine sozialverträgliche Energieversorgung ein. Ein wichtiger Aspekt sei auch die lokale Wertschöpfung.
Über den Endverbraucher wird kaum diskutiert
„Das Thema Endverbraucher ging bisher in der Diskussion weitgehend unter,“ bedauerte SEV-Geschäftsführer Rudi Rienzner. Die SEV sei nicht gegen die SEL, die Etschwerke oder andere Akteure im Energiesektor, wohl aber stehe man der Energiepolitik, wie sie in den vergangenen 10 Jahren betrieben wurde, skeptisch gegenüber: „Das Know-how der Südtiroler Energiebetriebe wurde in den vergangenen Jahren mit Füßen getreten. Wir fordern, dass dieses Know-how in der Neuordnung der Energielandschaft jetzt eingebracht wird.“ Rienzner erinnerte daran, dass der Energieverband bereits 2000 ein „Organisationskonzept Stromverteilung“ vorgestellt hat. Das Konzept, das auf eine nachhaltige, dezentrale und sozialverträgliche Energiewirtschaft aufbaut, stieß aber weder 2000 auf offene Ohren, noch in überarbeiteter Form im Jahr 2009. „Wir hoffen, dass wir angesichts der jetzigen Situation endlich Gehör finden,“ so Rienzner. Er bedauerte, dass die Politik die Meinungen vieler Experten, darunter auch jene von Georg Wunderer, nicht ernst genommen habe.
Der Energieverband versteht sich als Dienstleistungsplattform für kleine und mittlere Produzenten und Verteiler. Der Verband zählt derzeit 273 Mitglieder, unter denen sich 65 Genossenschaften (Fernheizwerke, E-Werke usw.) befinden, 24 Gemeinden und 181 Privatbetriebe. Das große Ziel ist es, eine möglichst vollständige Unabhängigkeit von fossilen Energieträgern zu erreichen. Geschehen soll das durch eine intelligente Nutzung der Energie, eine Verbesserung der Effizienz (Einsparung von Energie), durch den Ersatz fossiler Energien und den Ausbau erneuerbarer Energieträger.
Alle Akteure sollten gleichberechtigte Partner sein
„Sonne, Wasser, Wind, Erdwärme und Biogas: Die Energiewende hat in Südtirol schon längst begonnen. 2013 sollen 75 % des Südtiroler Bedarfs - ohne Verkehr - mit erneuerbaren Energiequellen gedeckt werden, 2020 sollen es 100 % sein. Der Energieverband unterstützt diese politischen Vorgaben vorbehaltlos,“ heißt es im SEV-Thesenpapier. Dezentrale Versorgungseinheiten können wettbewerbsfähig sein. Die Produktion und die Verteilung von Energie werden zu einem zentralen Bestandteil lokal verwurzelter und regional eng vernetzter Wirtschaftskreisläufe. „Auch das ist Autonomie,“ so im Papier wörtlich. Der Energieverband setzt sich für den Einstieg in eine klimaneutrale, bürgernahe und demokratische Energiewirtschaft ein. Energiepolitische Entscheidungen seien immer den Bedürfnissen der Energieverbraucher verpflichtet – und nicht umgekehrt. Deshalb seien Information, transparente Entscheidungsprozesse und demokratische Mitsprache auf Gemeinde- und auf Landesebene unerlässlich. So wenig zentrale Lenkung wie nötig, so viel Selbstbestimmung und Selbstverantwortung wie möglich. Alle Akteure sollten als gleichberechtigte Partner angesehen werden.
„Sinken werden die Energiepreise nicht“
„Wir dürfen uns nicht einbilden, dass die Preise aufgrund einer dezentralen Versorgung stabil niedrig gehalten werden können,“ sagte der Wirtschaftsprofessor Gottfried Tappeiner. Angesichts der Tatsache, dass die fossilen Energien knapper und somit teurer werden, sieht er in einer dezentralen, nachhaltigen und ökologischen Energieversorgung eine der größten Herausforderungen der Südtiroler Politik und Wirtschaft in den nächsten Jahrzehnten: „Werden wir dieser Herausforderung gerecht, wird vor allem auch die nächste Generation von der Energiewende profitieren.“ Wachstumsschübe kommen laut Tappeiner von Technologieänderungen, auch in der Energie. Südtirol verfüge diesbezüglich über viel Know-how. Dies eröffne große Chancen. So könnten etwa qualifizierte Arbeitsplätze geschaffen werden, vor allem auch in der Peripherie. An eine vollständige Unabhängigkeit im Energiesektor glaubt Tappeiner nicht. Das größte Thema der Zukunft sieht er in der Energiespeicherung: „Die naheliegendste Lösung sind Pumpspeicherkraftwerke.“ Mehr Respekt fordert der Professor für die kleinen Energie-Akteure ein: „Wir brauchen eine Energiesubsidiarität.“ Auch Tappeiner forderte in punkto SEL-Affäre eine Abkehr der Rolle des Landes als Schiedsrichter und Mitspieler bei Stromkonzessionen: „Nur der strategische und politische Bereich sollte bei der Landesregierung angesiedelt bleiben.
Karin Ladurner (SEV) und Rupert Rosanelli vom SEV-Partner Syneco Consulting informierten die Vertreter von E-Werken, Fernheizwerken, Raiffeisenbanken und weiteren Genossenschaften über neue Förderungsbestimmungen in den Bereichen Wasserkraft, Biomasse, Fernwärme und Photovoltaik. An der Bezirkstagung nahmen auch 7 Vinschger Bürgermeister teil.
Sepp Laner
Josef Laner