Der Bürgermeister und seine Arbeitsgruppen

Publiziert in 23 / 2011 - Erschienen am 16. Juni 2011
Stilfs – Wenn man in manchen anderen Gemeinden Kommissionen einsetzt und Studien in Auftrag gibt, stellt man in Stilfs Arbeitsgruppen zusammen. Ihre Mitglieder befassen sich dann mit Wasser, Schneer­äumung, Verkehr und zerbrechen sich den Kopf über die drohende Abwanderung. Die Nationalparkgemeinde mit 1.228 Einwohnern, mit dem höchsten Akademiker-Anteil, dem reinsten Erbgut, dem spektakulärstem Brauchtum, dem Ortler-Massiv und der Stilfserjoch-Straße wird seit einem Jahr vom Lehrer Hartwig Tschenett, seinen vier Referenten und 10 Gemeinderäten verwaltet. „Der Vinschger“ hat den ersten Bürger der Gemeinde im „vertikalen“, lauten und lebensfrohen Stilfs getroffen. von Günther Schöpf „Der Vinschger“: Noch immer Freude am Bürgermeisterposten? Hartwig Tschenett: Ja, sehr viel. Es ist zwar eine riesige Verantwortung, die man erst merkt und spürt, wenn man wirklich an vorderster Front ist. Aber die Lust ist groß. Mich freut der Kontakt mit den Bürgern. Es gibt eigentlich keine Opposition im Gemeinderat… Tschenett: Nein. Überhaupt nicht. Jedenfalls ist mir noch nichts aufgefallen. Da hat man ja fast Schwierigkeiten, einen Stilfser zu finden, der auf die schwachen Punkte des Bürgermeisters schaut. Tschenett: Schwache Punkte habe ich viele. Aber im Moment, glaub ich, läuft‘s harmonisch. Beim letzten Gespräch vor nicht ganz einem Jahr haben wir von der Möglichkeit der Stromproduktion auch innerhalb des Nationalparks gesprochen. Wie ist die Situation jetzt? Tschenett: Solange der Staatspräsident nicht unterschreibt, geschieht gar nichts. Es ist alles in der Schwebe; die Parkanteile können noch nicht von den Provinzen übernommen werden. Was Strom anbelangt, haben wir bekanntlich angesucht, das Stromverteilungsnetz von der SELNET GmbH zu übernehmen. Eine Grundsatzentscheidung ist gefallen. Vorläufig kann nur die Gemeinde das Netz übernehmen und falls sie es weitergeben möchte, müsste wieder eine Ausschreibung erfolgen. Man arbeitet derzeit daran, wie man das Netz an die E-Werk Stilfs Genossenschaft weitergeben könnte. Dann gäbe es keine unterschiedlichen Tarife mehr. Was heißt das? Tschenett: Die Bürger in Sulden und ­Trafoi müssen mehr bezahlen, weil sie auch den Transport bezahlen müssen und das ist ungut. Abhilfe würde die Übernahme des Verteilungsnetzes bringen. Apropos Sulden. Man hört nicht nur Frohbotschaften aus der Tourismus-Hochburg. Tschenett: Die Lage ist ganz unterschiedlich. Es gibt Betriebe, kleinere, die weniger Sterne haben, die sich schwer tun, bei den anderen läuft‘s irgendwie. Und wie steht‘s um der Altlast Tennishalle? Tschenett: Die ist noch nicht spruchreif. Da muss noch vieles geklärt werden. Noch einmal zum Tourismusentwicklungskonzept. Wir kommt ihr auf die benötigten 2.000 Betten? Tschenett: Über eine Fragebogenaktion haben wir festgestellt, dass es Bedarf gibt an ca. 900 Betten. Da knapp über die Hälfte der Fragebögen zurück gekommen ist und die Landesregierung sowieso nichts dazu tut, sondern eher streicht, haben wir hoch gerechnet und um 2.000 Betten plus 100 Campingstellplätze angesucht. Das betrifft mehr oder weniger Sulden. Wie sieht‘s in Trafoi aus? Tschenett: Trafoi gibt uns Mut; es haben zwei wichtige Betriebe umgebaut. Der neue Lift hat sicher gut getan. Ich glaube, die ­Trafoier sind mit der heurigen Saison recht zufrieden. Und weiter oben? Wie sieht‘s auf dem Joch aus? Tschenett: Schwierig, schwierig. Bormio ist seit einem Jahr kommissarisch verwaltet. Jetzt haben sie wieder gewählt und wir werden versuchen, Kontakt aufnehmen. Es geht nicht an, dass wir hier unsere Suppe kochen und sie ihre dort. Dort oben geht nur gemeinsam etwas vorwärts. Sommerskilauf allein ist sicher zu wenig. Was die Joch­straße betrifft, hoffen und drängen wir, dass sie weiter bauen. Wie schaut‘s mit der „Eintrittskarte“ aus? Sie haben im letzten Jahr gesagt, man soll den Ausdruck „Maut“ nicht verwenden. Tschenett: Der Landeshauptmann hat gesagt, er stehe zu Trafoi, aber wir müssten unsere Hausaufgaben machen und dabei hat er sicher diese Regelung gemeint. Die Diskussion läuft und wir werden uns im Herbst bei einer Klausur ausschließlich mit diesem Thema beschäftigen. Aber da ist die Zusammenarbeit mit den Nachbargemeinden, mit Prad, Taufers, Bormio und dem Val Müstair, entscheidend. Mir ist bei der Gemeinderatssitzung aufgefallen, dass ihr für alles Mögliche Arbeitsgruppen habt. Tschenett: Ja, dort, wo alle Fraktionen eingebunden werden müssen. Wir haben eine für Schneeräumung, für Verkehr und eine für oder gegen Abwanderung. Habt ihr gegen die Abwanderung schon konkrete Maßnahmen setzen können? Tschenett: Haben wir noch nicht, aber wir sind in eine spannende Geschichte involviert. Der bekannte Architekt Gion Caminada hat mit Studenten der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich zwei Gemeinden im Alpenraum ausgewählt, die Gemeinde Vals in der Surselva, im Bündner Oberland, und die Gemeinde Stilfs. Die ­machen uns dann eine Analyse unserer Stärken und werden uns Wege aufzeigen oder vorschlagen. Wir haben auch noch eine Arbeitsgruppe Wasser und die hat sich mit einem großes Problem zu befassen. Bei uns haben nicht alle Grundbesitzer die Möglichkeit, sämtliche Wiesen und Äcker zu bewässern. Inzwischen sind wir dabei, uns kundig zu machen. Ein erster Schritt war ein Vortrag mit einem Vertreter des Amtes für Gewässerschutz. Hängt das mit der allgemeinen Niederschlagsarmut zusammen oder bestand das Problem immer schon? Tschenett: Es war immer ein Problem, aber jetzt ist es zum Wildwuchs gekommen; leicht zu verstehen bei der Kleinparzellierung. Viele haben begonnen, selbst Rohre zu verlegen, wo früher Waale verlaufen sind. Wir wollen hier Klarheit und Ordnung in die gesamten Konzessionen und Anrechte bringen. Und was hält der Bürgermeister für die ­Krönung seiner bisherigen Amtszeit? Tschenett: Was soll ich dazu sagen? Ich kann mich nicht selbst darstellen, das geht nicht. Arnold Gapp (im Bild), der Suldner, der seit 2000 im Gemeinderat sitzt, von 2005 bis 2010 Stellvertreter von Langzeitbürgermeister Josef Hofer war und bei der letzten Wahl ein Drittel seiner Stimmen verloren hatte, enthielt sich bei der Nachbesserung des Tourismusentwicklungskonzeptes der Stimme. Seine Begründung: „Man kann nicht die Probleme des Tourismus im Allgemeinen und die in Sulden im Besonderen lösen, indem man neue Betten schafft. Aber das sind Probleme, die nichts mit Bürgermeister Tschenett zu tun haben. Er selbst ist sehr kooperativ und hat versprochen, auch den Knoten Tennishalle anzugehen.“ Roland Angerer (im Bild), der Stilfser Überflieger der letzten Gemeinderatswahlen, ­hatte hinter den stimmenstärkeren Hartwig Tschenett und Hannes Hofer als dritter Lehrer keine Chance auf einen Referentenposten: „Obwohl ich Zeit hätte und auch bereit gewesen wäre.“ Auch er hat sich zum „Bettenkonzept“ der Stimme enthalten und ist bei der Sitzung Ende Mai dafür aufgefallen, dass er immer wieder nachfragte, um die Materie zu verstehen. Zum „Regierungsstil“ des Bürgermeisters meinte er: „Hartwig Tschenett nimmt jeden Menschen ernst. Er ist verlässlich und immer für sein Dorf zur Stelle. Er zeigt sich als Stilfser Bürger.“
Günther Schöpf
Günther Schöpf
Vinschger Sonderausgabe

Diese Seite verwendet Cookies für funktionale und analytische Zwecke. Lesen Sie unsere Cookie-Richtlinien für weitere Informationen. Durch die Nutzung dieser Website erklären Sie sich damit einverstanden.