Der Feind im eigenen Bett
Publiziert in 27 / 2007 - Erschienen am 18. Juli 2007
„Mischen wir uns nicht ein, das geht uns nichts an.“ „So schlimm kann es nicht sein, sonst würde sie gehen.“ „Ach, er war immer aggressiv, im Grunde ist er ein lieber Kerl.“ „Wer wird denn gleich bei einem Streit weglaufen.“ Nicht alle Menschen denken so, wenn sie von Gewalt gegen Frauen in der Familie hören. Aber viele. Da 40 Prozent aller Morde an Frauen in Europa (weltweit sind es 70 Prozent) durch den Ehemann, Partner oder Ex-Partner geschehen, spricht einiges dagegen, die Augen zu verschließen, wenn es bei den Nachbarn wieder einmal ordentlich kracht. „Häusliche Gewalt“ heißen die Tritte und Schläge gegen Frauen deshalb, weil 90 Prozent aller Gewalt an Frauen in der Familie in den eigenen vier Wänden passiert – und dort bevorzugt in der Küche und im Schlafzimmer. Die europaweiten Zahlen sind eine Dunkelziffer – nicht alle Fälle sind bekannt, in nur 20 Prozent aller Gewaltakte kommt es zu einer Anzeige gegen den Täter. In Frankreich wird jeden vierten Tag eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner umgebracht (aus: amnesty international, 2004 und folgende Jahre). Sara B. und Manuela Z. sind als Mitarbeiterinnen des Frauenhaus-Dienstes Meran tätig und in der Thematik Gewalt an Frauen spezialisiert. Sie können erzählen, was im Burggrafenamt und im Vinschgau los ist, wenn es um Gewalt an Frauen geht. Mehr, als man vielleicht zu hören bereit ist.
Von Katharina Hohenstein (kat)
Gewalt hat viele Gesichter
Sie erleben oft Todesangst, wenn der Partner wieder einmal zuschlägt. Fußtritten, Ohrfeigen, kräftigen Schlägen und Mordversuchen sind Frauen ausgesetzt, wenn es sich um körperliche Gewalt handelt. Die psychische Gewalt hinterlässt nicht minder prägnante Narben, die oft eine gründliche Entwertung des Selbst zur Folge haben: Einschüchterungen, Demütigungen, Kontrolle bei Sozialkontakten, aber auch Schlafentzug sind beliebte Mittel, sich die Frau im eigenen Haus untertan zu machen. Man möchte dem einen oder anderen die Bibel zu Lesen geben. Da hat so manch einer etwas verwechselt! Frauen lassen sich sexuell demütigen: Sie lassen sich zu Handlungen zwingen, die sie nicht wünschen, sie werden vergewaltigt vom eigenen Ehemann, sie schauen zu, wo sie nie zusehen wollten. Und ja, sie – die Frauen von 2007 - haben immer noch nicht verstanden, dass mit ökonomischer Abhängigkeit vom Partner Druck und Gewalt auf sie ausgeübt werden kann. Sie verzichten auf eigene Einkommen, lassen sich als Arbeitskraft ausbeuten, und müssen oft Rechenschaft ablegen, wofür sie ihr Geld ausgeben. Wo sind wir gelandet? Die Zahlen der Gewalt an Frauen nimmt europaweit zu, nicht ab.
Statistisch gesehen ist für Frauen das eigene Heim gefährlicher als die dunkle, nächtliche Straße. Für den Gesundheitsapparat eines jeden Staates bedeuten die nicht zu unterschätzenden Langzeitfolgen der Gewalt an Frauen enorme Kosten.
Was können
Beratungsstellen tun?
Sara B. und Manuela Z. sehen im Frauenhaus nicht nur eine Anlaufstelle für betroffene Frauen: Hilfesuchende Freunde und Bekannte, Nachbarn und Familienangehörige finden dort Rat. Gleichzeitig ist das Frauenhaus, das Sensibilisierungskampagnen und Tagungen durchführt, auch Ansprechstelle für Ärzte, Krankenhauspersonal und Ordnungskräfte. Eine Schulung für Polizisten im letzten Jahr machte klar, dass die Ordnungshüter dankbar sind für jeden Tipp.
Warum gehen
die Frauen nicht einfach?
Das Macht- und Kontrollsystem, dem die Gewalt zu Grunde liegt, ist vielschichtig. Meist kommt auch körperliche Gewalt einher mit Erniedrigungen oder Beschimpfungen. Ökonomische Gewalt bindet Frauen, die viele Jahrzehnte im Betrieb des Mannes mitarbeiteten – wenn sie gehen, verlieren sie alles. Gewaltakte sind selten von Anfang an Teil einer Beziehung, sondern entwickeln sich allmählich. Selbst dann gibt es neben den – teils lebensbedrohlichen Krisen – noch schöne Momente, wissen einige Frauen zu berichten. Sprechen wir von Gewalt an Frauen, dann findet sich jede gesellschaftliche Schicht wieder: Von der Migrantin zur Ärztin, vom Arbeiter, der seine Frau misshandelt, bis zum Rechtsanwalt und anderen angesehenen Bürgern. Ein christliches Verständnis von der Ehe, bis hin zum jahrtausendealten, angeblich eher femininen Auftrag der Frau, die Familie zusammenzuhalten, erschweren die Situation, den Aggressor zu verlassen. „Viele Frauen verlassen ihre Männer erst dann, wenn ihre Kinder angegriffen werden“, berichtet Manuela Z.. Die Familie nicht zusammenhalten zu können wird all zu oft mit Versagen gleichgesetzt. Die gesellschaftliche Norm scheint stärker zu sein als das eigene Wohl.
Die Folgen und
die Spätfolgen
Knochenbrüche, ausgeschlagene Zähne, geplatzte Trommelfelle sind die Folgen männlicher Aggression gegenüber derjenigen Frau, die sie angeblich lieben. Die Spätfolgen eines Gewalttraumas stehen den Folgen in nichts nach: Selbstmordgedanken, Panikattacken, Depressionen, Störungen des reproduktiven Zyklus, Essstörungen, Alkohol- und Drogenmissbrauch. Sind Kinder Teil dieses Gewaltszenarios, gibt es noch weitere Geschädigte: Wer als Frau geschwächt ist, ist auch als Mutter geschwächt. „Oft werden die Kinder als Mittel zum Zweck benutzt“, erklärt Sara B., „der Mann droht mit dem mütterlichen Entzug des Sorgerechtes, Frauen werden in ihrer Mutterrolle stark angegriffen, Versuche werden gestartet, die Kinder gegen die Mütter aufzuhetzen.“ Die Kinder sind mit der Verantwortung der Vermittlerrolle, die sie oft übernehmen, überfordert. Aggressives Verhalten und Bettnässen sind nur einige der Verhaltensstörungen, die aufkommen. Und ja, es gibt sie auch: Frauen, die ihre Männer schlagen – selbst wenn der Prozentsatz gering ist.
Aus eigener
Entscheidung gehen
Ein wichtiges Ziel der Beratung sei, die Frauen zu fragen, was sie selbst wollten. Der Aufenthalt im Frauenhaus selbst ist bis zu sechs Monaten möglich – Jungs dürfen bis 16 Jahren, Mädchen bis 18 Jahren ihre Mütter begleiten. Es geht darum, einen Freiraum zu bieten, der die Frauen sich selbst näher bringt.
Hilfe und Tipps für jeden
Gerade Freunde und Nachbarn wissen oft nicht, wie sie mit der eskalierenden Gewalt umgehen sollen und fühlen sich überfordert. Die Ordnungskräfte zu rufen, hilft, um zumindest kurzzeitig eine Krise zu überwinden und der Frau die Todesangst zu nehmen. Oft reicht es, die Infonummer der 24-Stunden Hotline zu kennen: hier können Anrufer anonym bleiben. Erschreckend seien die Versuche, mit Hilfe einer Paartherapie das Problem Gewalt in den Griff bekommen zu wollen: „Ich kenne niemanden, bei dem es geklappt hat“, berichtet Sara B., „die Frauen sind alle zurückgekommen.“
Was besser funktionieren würde, sei eine Täterberatung, wie sie es im schweizerischen Lausanne kennen gelernt habe, so Sara B.. Männer, die Gewalt ausüben, würden in einem Täterprogramm bessere Erfolge erzielen. Das gibt es in Italien und Südtirol allerdings nicht. Ein Ziel, für das es sich in Südtirol einzusetzen lohnen würde, bekräftigen die beiden Mitarbeiterinnen. Was es aber gibt, ist zum Beispiel das Frauenhaus Meran.
Eine 24-Stunden-Notrufnummer (800 014008) und mobile Beratungsstellen auch im Vinschgau: Nach telefonischer Vereinbarung unter der grünen Nummer 8000 14008 sind jeden zweiten Donnerstag im Monat von 9.30 bis 11.30 Uhr in Schlanders im Sozial- und Gesundheitssprengel Beratungen möglich, im Obervinschgau sind jeden 2. Mittwoch im Monat nach telefonischer Vereinbarung im Gesundheits- und Sozialsprengel von 9 bis 12 Uhr Sprechstunden möglich.
„Er hätte mir ein Auge ausschlagen können“
Sie hielt ihn für die Liebe ihres Lebens. Vier Jahre, nachdem Barbara (Name von der Redaktion geändert) ihren damaligen Partner kennengelernt und eine gemeinsame Wohnung mit ihm bezogen hatte, fing ihr persönlicher Albtraum an:
Zwei Jahre lang brauchte sie, um ihren gewalttätigen Freund zu verlassen. Und weitere zehn, um die Erfahrungen zu verarbeiten.
„Der Vinschger“: Wie alt waren Sie, als Sie Ihren Ex-Partner kennenlernten?
Barbara: 30.
„Der Vinschger“: Wann und wie fing die Gewalt an?
Barbara: Geschlagen hat er mich, nachdem wir eine gemeinsame Wohnung bezogen – vier Jahre, nachdem wir uns kannten. Seine Eifersucht war vorher schon maßlos. Er beschuldigte mich oft, zu lange mit jemandem gesprochen zu haben – dabei hatte ich nie Interesse an anderen Männern.
„Der Vinschger“: Wie ist die Gewalt eskaliert?
Barbara: Nachdem ich nach dem ersten Mal nicht sofort meine Sachen packte. Danach gab es immer wieder gewalttätige Attacken, in unregelmäßigen Abständen. Wehren konnte ich mich nicht: Ein Mann, der ausrastet, ist immer stärker als eine Frau. Ironischerweise machte ich einen Selbstverteidigungskurs, anstatt mich von ihm zu trennen.
„Der Vinschger“: Haben Verwandte und Freunde davon gewusst?
Barbara: Eine Freundin, ja. Und vielleicht noch andere, die mich mit einem blauen Auge herumlaufen sahen.
„Der Vinschger“: Haben Sie selbst die Gewalt vertuscht?
Barbara: Nicht direkt. Es sprach mich niemand darauf an. Es klingt absurd, aber ich verdrängte die Situation: Redete mir ein, dass es diese Gewalt bei uns, gut verdienenden Akademikern mit einem gut funktionierenden sozialen Netz, nicht geben kann – selbst wenn die Realität eine andere war.
„Der Vinschger“: Warum sind Sie nicht sofort nach dem ersten Gewaltakt gegangen und haben sich von ihm getrennt?
Barbara: Das kann ich mir heute nicht mehr erklären. Vielleicht aus Hoffnung, dass sich etwas ändert? Er hatte einer Therapie zugestimmt, die er dann doch nicht in Anspruch nahm. Sprach immer wieder davon, sich zu ändern, zu „bessern“. Andere Faktoren zählten ebenfalls, wie die gemeinsame Wohnung und die Unwilligkeit, die Illusion der großen Liebe platzen zu lassen. Sicherlich hatte ich ein sehr gestörtes Selbstwertgefühl, welches eine solche Behandlung unbewusst rechtfertigte.
„Der Vinschger“: Welche Formen der Gewalt gab es?
Barbara: Schläge – in die Brust, den Bauch, das Gesicht. Heftige Schläge. Ausbrüche, in denen mein Ex-Freund die Kontrolle über sich verlor und ich vor allem nie wusste, wann es wieder passiert. Das eigene Heim war der Ort, der am wenigsten sicher war.
„Der Vinschger“: Was war der Auslöser, ihn dann doch zu verlassen?
Barbara: Kurzzeitig verlassen hatte ich ihn immer. Nach jeder Prügelei bin ich zu einer Freundin gezogen. Ich dachte dann, diesmal würde er sich besinnen, wenn er ankam und mich überzeugte, dass es nie wieder passieren würde. Letztlich war ein Krankenhausaufenthalt der Auslöser – nach der letzten Attacke musste ich im Gesicht genäht werden. Die Ärztin der Notaufnahme fragte, wie das passierte.
Ich konnte nicht lügen. Mir wurde klar – und glücklicherweise auch klargemacht – dass viel Schlimmeres hätte passieren können. Ich hätte ein Auge verlieren können, er hätte mich totschlagen können. So lächerlich das klingen mag – Eitelkeit war es, die mich gehen ließ: Ich hätte im buchstäblichen Sinne des Wortes mein Gesicht verlieren können.
„Der Vinschger“: Haben Sie heute noch Angst vor Ihrem Ex-Partner?
Barbara: Nein. Das Ganze liegt mehr als 15 Jahre zurück. Als ich wirklich weg war, hat er sich helfen lassen. Er lebt seit langem schon in einer gewaltfreien Beziehung. Sein Heilungsprozess, denke ich, dauerte vielleicht halb so lange wie meiner.
Interview: kat
„Meine Schwester gab mir Kraft”
Margit (Name von der Redaktion geändert) war über 20 Jahre lang verheiratet – mit einem Mann, den sie sehr jung kennengelernt hatte. Erst als ihre gemeinsamen Kinder zwischen die ständigen Streitereien der beiden gehen wollten, als ihre Schwester Zeugin wurde, welcher emotionalen Qual sie sich immer wieder aussetzte, als sie Angst hatte, dass er körperlich ausrasten würde, verließ Margit die für sie und ihre Kinder untragbare Situation.
„Der Vinschger”: Wussten Ihre Freunde, Bekannten, Familienangehörigen von den ständigen verbalen Demütigungen?
Margit: Ja.
„Der Vinschger”: Geheimhalten mussten sie gar nicht versuchen?
Margit: Das brauchte ich nicht. Er hat mich auch in der Öffentlichkeit so behandelt: Meist ist er dann einfach aufgestanden und gegangen.
„Der Vinschger”: Wie kamen Sie sich vor, wenn Ihr Ex-Partner mit neuen Vorwürfen kam, wenn er Sie beschuldigte, alles falsch zu machen?
Margit: Ich fragte mich, ob ich das verdiene. Und meine Antwort war immer nein. Ich fühlte mich nicht allein, da ich meine Freunde und Familie hatte.
„Der Vinschger”: Wann fingen die Streitereien an, so untragbar zu werden, dass Sie unzumutbar für Sie wurden?
Margit: Vor rund drei Jahren. Ich wurde dann Ventil für einen anderen Verlust, den er erlitten hatte. Er ist oft gegangen, hat mit Selbstmord gedroht, seine Entschuldigungen danach haben nicht mehr gereicht. Ich habe probiert und probiert, aber es wurde schlimmer, nicht besser. Langsam, ganz langsam, ist dann auch die Liebe verschwunden.
„Der Vinschger”: Wie kamen Ihre Kinder mit der Situation zurecht, erst im Frauenhaus zu wohnen?
Margit: Sie sind ruhiger geworden. Momentan haben sie zu Ihrem Vater keinen Kontakt – er hetzt sie gegen mich auf.
„Der Vinschger”: Wie sehen Sie Ihre Situation rückblickend?
Margit: Ich bin der Kinder wegen geblieben. Heute würde ich das nicht mehr tun. Die Zeit im Frauenhaus war super, weil wir Ruhe hatten. Es sollten sich mehr Frauen trauen, ins Frauenhaus zu gehen. Dort lernte ich Frauen kennen, die schlimmere Situationen zu ertragen hatten als ich – viele waren finanziell abhängig von ihren Männern. Frauen trauen sich oft nicht, eine gewalttätige Beziehung zu beenden, weil sie nicht wissen, was danach auf sie zukommt. Selbst wenn sie die Situation nur verbessern können.
„Der Vinschger”: Sind Sie heute wieder mit jemandem zusammen?
Margit: Nein, so schnell möchte ich das nicht. Aber für mich ist das Zeichen einer harmonischen Beziehung vor allem eines: Gleichberechtigung.
Interview: kat
Katharina Hohenstein