„Grundsätzlich ist der Islam keine Gefahr“
Don Mario Gretter bei seinem Vortrag in Schlanders.

Der Islam unter uns: Herausforderung und Chance

Publiziert in 17 / 2008 - Erschienen am 7. Mai 2008
Schlanders – Von den rund 30.000 ausländischen Mitbürgern, die derzeit in Südtirol leben, sind ca. 10.000 Mus­lime. Laut ASTAT wird sich die Zahl der Ausländer in Südtirol bis zum Jahr 2020 mehr als verdoppeln. Der landesweite Prozentsatz dürfte von derzeit 5,8 auf 14,3 Prozent ansteigen, im Vinschgau von 4,2 auf 10,3. Diese Zahlen und Schätzungen belegen, dass eine Auseinandersetzung mit dem Thema Immigration, ganz besonders aber mit dem Thema Islam, immer dringender wird. Dass es auf diesem Gebiet noch sehr viel zu tun gibt, zeigte kürzlich ein gut besuchter Vortrags- und Diskussionsabend mit Don Mario Gretter in der Handelsoberschule in Schlanders. ­Organisiert hatten den Abend das Sprachenzentrum Schlanders und der Bildungsausschuss Schlanders in Zusammenarbeit mit dem KVW als Beitrag zu den Aktionstagen „Politische Bildung“. Speziell bei der Diskussion stellte sich heraus, dass es sehr unterschiedliche und zum Teil noch stark mit Vorurteilen behaftete Einstellungen gegenüber dem Islam gibt. Don Gretters zentrale Botschaft: Es gibt Vorurteile auf beiden Seiten, ein friedliches Zusammenleben ist nur über den Weg des Dialogs und des gemeinsamen Aufbaus von Beziehungen möglich. Mario Gretter weiß, wovon er spricht. Er ist Priester und ­Referent der Diözese Bozen-Brixen für das Interreligiöse Gespräch und für die Ökumene. In Rom studierte er Fundamentaltheologie mit besonderem Blick auf das interreligiöse Gespräch. Weiters studierte er Islamistik in Kairo und in Rom. Er kennt die arabische Sprache und hat viele Länder, in denen sich die übergroße Mehrheit der Bevölkerung zum Islam bekennt, besucht: Syrien, Iran, Tunesien, Ägypten und andere Länder. Die Thematik rund um den Islam und die muslimische Kultur- und Religionsgemeinschaft ist laut Don Gretter sehr weit und differenziert, man denke nur an die „interne“ Aufteilung zwischen Sunniten, Schiiten und anderen Grup­pierungen. Von den weltweit rund 1,3 Milliarden Anhängern des Islam leben rund 70 Prozent in Asien und gehören somit nicht der arabischen Muttersprache an. In Europa waren 1950 rund 800.000 Muslime ansässig, 2035 dürften es an die 40 Millionen sein. Hinzu kommen Muslime, die schon seit Jahrhunderten in Europa leben, etwa auf dem Balkan. Gründe für die Einwanderungsphasen hat es mehrere gegeben: Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg (1945 bis 1960), Herkunft aus ehemaligen Kolonien (etwa von Algerien nach Frankreich), Wiedervereinigung der Familien (1975 bis 1980) sowie Ein- und Zuwanderung infolge der jüngsten Kriege auf dem Balkan. Verschiedene Einwanderungsphasen Viele Muslime sind laut Don Gretter mit der Absicht gekommen, Geld zu verdienen und dann wieder zurückzukehren. Aus der Rückkehr wurde aber infolge wirtschaftlicher Krisen oft nichts mehr. Für viele Muslime, die nach Europa ziehen, sind Freiheiten und Gepflogenheiten, wie sie bei uns selbstverständlich sind, zunächst völlig fremd. Don Gretter: „Die meisten wissen nicht, was eine Minderheit ist, denn in ihren Ländern gehören sie zur übergroßen Mehrheit. Sehr vielen geht es in ihren Ländern wirtschaftlich schlecht, demokratische Freiheiten existieren oft nur auf dem Papier, die Polizeikontrollen sind sehr stark, frei zu reden oder zu protes­tieren ist schwer, das Verständnis für Demokratie steckt vielfach noch in Kinderschuhen.“ Was den Glauben betrifft, sind zwischen dem Islam und der jüdisch-christlichen Tradition laut Gretter sowohl verbindende als auch trennende Elemente festzustellen. Das Wort Islam drückt vieles aus: Binden, Frieden schließen, sich unterwerfen, sich anvertrauen. Ein Grundstein des Islam ist: Jedem Muslim wird, sobald er auf die Welt kommt, die Shahada, das Glaubensbekenntnis, ins Ohr geflüstert: „Es gibt keinen Gott außer Allah, und Muhammad ist Sein Prophet.“ Auf dieser Basis versucht der Gläubige sein Leben zu leben und Schritt für Schritt auf dem gradlinigen Weg Gottes zu gehen. Nach fünf Säulen bzw. Richt­linien sollen die Muslime ihren Glauben und ihr Leben ausrichten: Shahada, das Glaubensbekenntnis; das fünf­malige Gebet pro Tag in Richtung Mekka; rituelle Almosen bzw. Steuerabgabe an Arme oder jene, die sich auf dem Pfad Gottes besonders engagieren (2,5 bis 10 Prozent des jährlichen Gewinns); Fastenmonat Ramadan; Hajj, die rituelle Pilgerfahrt nach Mekka. Der heilige Text des Islam ist der Koran. Darin enthaltene Textpassagen werden laut Gretter oft sehr unterschiedlich ausgelegt. Das Fehlen einer autoritativen Auslegung des Koran, wie es sie bezüglich der Bibel im Christentum gibt (Lehrstuhl bzw. Papst), sei Anlass für viele Probleme und Missverständnisse. Zusätzlich zu Ansichten, Einstellungen und Gepflogenheiten, die dem Christentum fremd sind, wie etwa die männliche Beschneidung, die weibliche Genitalverstümmelung, die in der arabischen Halbinsel und am Horn von Afrika noch immer praktiziert wird, die Kopftuch-Pflicht für Frauen, die Minderstellung der Frau überhaupt, die rituellen Tierschlachtungen, die Möglichkeit für Männer, bis zu 4 Frauen heiraten zu können, sowie zusätzlich zu anderen trennenden Punkten ist es vor allem das Thema Gewalt, das die Gemeinschaft der Muslime nicht minder beschäftigt als die christliche bzw. westliche Welt insgesamt. „Nur die wenigsten wollen den ‚heiligen Krieg‘“ Mario Gretter: „Es gibt zweifellos Fundamen­talisten, die aus dem Koran nur jene Teile herausfischen, die zu ihren kriegswilligen Ansichten ­passen. Fundamentalistische Zellen werden oft von der Politik ausgenützt. Wenn gefragt wird, ob der Islam eine Religion des Krieges oder des Friedens sei, so glaube ich, dass die Wahrheit irgendwo in der Mitte liegt. Fest steht, dass bei weitem nicht alle Muslime den ‚heiligen Krieg’ wollen. Die fundamentalistische Auslegung des heiligen Buches in Richtung Krieg und Gewalt gegen die ‚Ungläubigen’ ist nicht die große Islam-Tradition. 90 Prozent der Muslime sind nicht fundamentalistisch. Wenn jemand sagt, der Islam sei grundsätzlich eine Gefahr, so ist das ein Vorurteil.“ Die große Tradition des Dschihad begründe auf der Festigung des Glaubens und der Verteidigung desselben, mitunter auch mit dem Schwert. Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 sei die Lage viel schwieriger geworden: „Viele Muslime fühlen sich bedroht und unter Attacke, speziell nach dem Beginn des Irakkriegs vor 5 Jahren.“ Wahr sei aber auch, „dass es die Christen momentan weltweit schwer haben.“ In nicht wenigen Islam-Ländern sei die Freiheit der Christen zum Teil eingeschränkt. In Saudi-Arabien etwa sei es unmöglich, ein Kreuz am Hals zu tragen oder einen christlichen Gottesdienst zu feiern. Vielerorts gebe es die Religionsfreiheit nur auf dem Papier, „in anderen Ländern wiederum können Christen ihren Glauben ohne große Probleme leben.“ Ein großes Problem sieht Mario Gretter auch darin, dass Hassprediger in der Öffentlichkeit eine immer stärkere Stimme bekommen, früher über das Radio, dann über Printmedien und das Fernsehen und jetzt auch über das Internet. Auch an die vielen Terroranschläge erinnerte Gretter, wie etwa jene in London oder Madrid. Trotz aller trennenden Punkte ist Gretter überzeugt, dass ein friedliches Zusammenleben zwischen Christen und Muslime möglich ist. Der einzige Weg, der dahin führt, ist jener des Dialogs, des Dialogs des Lebens, des Tuns, der theologischen Auseinandersetzung und der religiösen Erfahrung: „Wir müssen miteinander ­reden, nicht über einander.“ Vorurteile gebe es auf beiden Seiten: „Hier wie dort sind viele nicht dialogfähig und nicht dialogwillig. Wir als Christen müssen und sollen auf unsere Werte nicht verzichten. Wir haben das Recht, respektiert zu werden, aber auch die Pflicht zu respektieren.“ In Weißrussland zum Beispiel hätten Christen und Muslime das Zusammenleben gelernt. Auch bei uns müsse es möglich werden, „anfangen müssen wir bei den Beziehungen mit Nachbarn, Arbeitskollegen und Schulfreunden.“ Es gelte, auf Verbindendes zu setzen, Brücken zu schlagen und gemeinsam etwas aufzubauen: „Gute und böse Menschen gibt es auf der ganzen Welt. Ein Zusammenleben muss möglich sein. Das geben uns schon die Zahlen vor: Entweder wir setzen alle je 10 Kinder in die Welt oder wir suchen Wege des friedlichen Miteinanders.“ Bei der von Waltraud Plagg (Sprachenzentrum Schlanders) moderierten Diskussion warnte ein Diskussionsteilnehmer davor, „den Islam nur durch die rosarote Brille“ zu sehen. Angehörige des Islam würden geradezu gezwungen, den heiligen Krieg gegen die ‚Ungläubigen’ zu führen und das Schwert zu erheben: „Das birgt buchstäblich Sprengstoff. Denken wir nur an den Terrorismus. Wenn sich ein Muslim in einem fremden Land anpasst, wird das als Sünde betrachtet und auch geahndet.“ Der Islam sei aufgrund der engen Verbindung mit der Politik auch eine Staatsform. Ein Dialog oder gar ein Zusammenleben mit dem Islam seien nicht möglich. Mario Gretter sieht das anders: „Fundamentalistische Auswüchse sind da und niemand bestreitet das. Die große Mehrheit der Muslime ist aber gegen Gewalt und Terror. Das ‚Schwert’ wollen die meisten Muslime nur gegen jene erheben, die den Islam ausrotten wollen.“ „Bevor eine Moschee errichtet wird, müssen wir Beziehungen aufbauen“ Zur Frage des Baus einer Moschee in Bozen meinte Gretter: „Eine Moschee ist viel mehr als nur ein Gebäude zum Beten. Sie ist ein Ort der Begegnung, der Ausbildung, der Auseinandersetzung mit geistigen und gesellschaftlichen Themen. Um eine Moschee in diesem Sinn errichten zu können, müssen zunächst die Beziehungen aufgebaut werden. Waltraud Plagg und Christine Holzer (Bild­ungsausschuss) dankten dem Referenten für den Vortrags­abend in Schlanders.
Josef Laner
Josef Laner

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