Schritte wagen, statt Leid alleine tragen
Ingeborg Forcher mit ihrem Hund.

„Der Weg aus der Krankheit liegt im Patienten selbst“

Publiziert in 35 / 2008 - Erschienen am 8. Oktober 2008
Die Zahl der Menschen, die unter psychischen Krankheiten leiden, ist groß. Auch im ­Vinschgau. Noch immer groß ist leider auch das Unverständnis psychisch Erkrankten gegenüber. „Er hot’s in di Nervn“, heißt es nicht selten. Nur wer selbst betroffen ist, weiß, was es bedeutet, psychisch krank zu sein. Hilfe finden Betroffene im Vinschgau in der Selbst­hilfegruppe für Depressionen und Angststörungen. Auch Einzelgespräche werden jede Woche angeboten. „Diese Einzelgespräche sind sehr wichtig, denn viele haben zunächst Angst, an Gruppentreffen teilzunehmen,“ sagt Ingeborg Forcher aus Galsaun, die die Selbsthilfegruppe seit 11 Jahren leitet. Am 12. September hat in Bozen eine Tagung der Selbsthilfegruppen stattgefunden, bei der Ingeborg ­Forcher in Vertretung der deutschsprachigen Selbsthilfegruppen als Referentin am Podium saß. „Der Vinschger“ hat anlässlich des Welttages der seelischen Gesundheit, der am 10. Oktober 2008 begangen wird, folgendes Gespräch mit ihr geführt. „Der Vinschger“: Wie wirkt Selbsthilfe? Ingeborg Forcher: Die Teilnehmer einer Selbsthilfegruppe sind Menschen, die sich in einer schwierigen Lebenssituation befinden. Gleichbetroffene stärken sich gegenseitig. Sie spüren sofort, dass es in der Gruppe Menschen gibt, die ähnliches Leid erfahren haben. Die Teilnahme an der Gruppe wirkt sich positiv auf das seelische Wohlbefinden der Betroffenen aus. Selbsthilfearbeit besteht darin, seine eigenen Möglichkeiten zu ergreifen, die eigenen Ressourcen zu nutzen und Verantwortung für sein Leben zu übernehmen. Was lernen die Teilnehmer? Ingeborg Forcher. Sie werden zu „Experten in eigener Sache“, sie finden neue Wege im Umgang mit der Erkrankung, sie lernen auch professionelle Hilfe gezielter in Anspruch zu nehmen. Unter den Gleichbetroffenen werden die Teilnehmer integriert, statt ausgegrenzt. Die Teilnehmer lernen, das Problem zu akzeptieren und das Selbstvertrauen der Betroffenen wird gestärkt. Menschen, die psychisch krank sind, bleiben mit ihren Pro­blemen oft allein. Sie schotten sich ab und werden häufig isoliert, zum Teil sogar von den eigenen Familienangehörigen. Ingeborg Forcher: In der Gruppe fühlen sie sich in ­ihrem Leid nicht mehr allein. Die Krankheit wird von ihnen mehr und mehr akzeptiert. Die so­zialen Kontakte und Aktivitäten nehmen wieder zu. Dadurch wird der Betroffene Schritt für Schritt aus seiner Isolation herausgeholt. In der Gruppe können die Betroffenen neue Hoffnung schöpfen, weil sie Wege und Möglichkeiten erkennen, die Erkrankung zu überwinden. Es gibt aber auch Betroffene, die nicht einmal den Mut aufbringen, sich bei der Gruppe zu melden. Viele haben Angst, sich zu „outen“. Ingeborg Forcher: Es wird in der Gruppe großer Wert auf Verschwiegenheit gelegt, auf einen respektvollen Umgang, auf ein vertrauensvolles Klima und auf eine gegenseitige Wertschätzung. All dies erleichtert es dem Betroffenen, sich mit seiner Krankheit auseinanderzusetzen. Können Betroffene sich gegenseitig helfen? Ingeborg Forcher: Betroffene geben das, was ihnen in der Krise geholfen hat, selber weiter. Der Gruppenteilnehmer kann sich dies anhören, überdenken und dann vielleicht selbst ausprobieren. Die Gruppengespräche sollen die Teilnehmer ermutigen, wieder neue Schritte im Alltag zu gehen. Wie oft trifft sich die Selbst­hilfegruppe? Ingeborg Forcher: In der Selbsthilfegruppe treffen sich 14-tägig Menschen mit Depressionen und Angsterkrankungen, um ihre Erfahrungen auszutauschen. Dies geschieht in einem geschützten Rahmen. Jeder wird in der Gruppe mit seinem Problem angehört und ernst genommen. Auf jeden Einzelnen wird eingegangen. Was können sich Betroffene von der Selbsthilfegruppe erwarten? Ingeborg Forcher: Dadurch, dass in der Gruppe die ­eigenen Stärken aufgezeigt werden, wird auch das Selbstwertgefühl der Betroffenen gestärkt. Die eigenen Kräfte werden wieder neu entdeckt. Die Selbsthilfegruppe gibt Hoffnung, der Betroffene wird in der Krise unterstützt. In der Gruppe lernt man sich selbst besser kennen. Dies ist sehr hilfreich, weil man dann beim Auftreten der ersten Symptome einer Verschlech­terung gezielt Hilfe suchen kann. Schon allein dadurch, dass der Betroffene den Schritt in die Gruppe wagt, wird seine Eigenverantwortung gestärkt. Wirkt sich das dann auch auf den Alltag des Betroffenen aus? Ingeborg Forcher: Der Betroffene lernt, sein Leben wieder in die Hände zu nehmen. Die Selbsthilfegruppe bietet eine Möglichkeit, aus der so­zialen Isolation auszubrechen, sie bietet Starthilfe beim Aufbauen eines sozialen Netzes, das den Betroffenen in der Krise zu stützen vermag. Das klingt ja fast wie eine ­Therapie. Ingeborg Forcher: Die Selbsthilfegruppe ist keine ­Therapiegruppe, sondern eine Gesprächsgruppe, in der die Betroffenen Unterstützung und Hilfe in und aus der Krise finden. Die Gruppe versteht sich als Hilfe zur Überleitung, spendet Trost, gibt Zuversicht und verbessert das Lebensgefühl. Psychisch kranke Menschen tun sich oft schwer, über ihre Krankheit zu reden. Ingeborg Forcher: Ja, das stimmt. Über körperliche Krankheiten kann man leichter reden, fast alle sind in absehbarer Zeit heilbar. Bei ­psychischen Erkrankungen ist es leider nicht immer so. Es gibt zwar Medikamente, aber diese allein lösen die Probleme nicht. Der Weg aus der Krankheit liegt im Patienten selbst. Er muss die Kraft aufbringen, genesen zu wollen, einen neuen Sinn im Leben zu suchen und zu finden. Der Sinn der Gruppentreffen liegt darin, über sich selbst und über das, was einen bedrückt, zu sprechen. Das „Sich aussprechen“ ist zwar wichtig, aber braucht es nicht mehr, um den Betroffenen wirklich zu helfen? Ingeborg Forcher: Natürlich braucht es mehr. Äußerst wichtig ist die Zusammenarbeit zwischen den Selbsthilfe­gruppen und den Gesundheits- und Sozialdiensten. Diese Zusammenarbeit sollte daher verbessert und intensiviert werden. Es sollte in nächster Zeit vermehrt zu realen Begegnungen zwischen Ärzten und Selbst­hilfegruppen kommen. Ist die Zusammenarbeit derzeit nicht so gut? Ingeborg Forcher: Eine gute Zusammenarbeit mit den verschiedenen Diensten scheitert häufig an Vorurteilen, an falschen Erwartungen aneinander oder an Rahmenbedingungen, die das Aufeinanderzugehen erschweren. Das gebündelte Erfahrungswissen sollte mit dem Expertenwissen der Professionellen verknüpft werden, um eine optimale Versorgung der Patienten zu gewährleisten. Ist es also der Patient, der auf der Strecke bleibt? Ingeborg Forcher: Der ­Patient steht im Mittelpunkt des Gesundheitswesens, und dennoch fühlt er sich häufig als Randfigur; er fühlt sich mit der Bewältigung seiner Krankheit allein gelassen. Einen Ausweg aus dieser Situation bietet ihm unter anderem auch die Selbsthilfegruppe. Die Ko­operation zwischen den öffentlichen Diensten und den Selbsthilfegruppen ist ein notwendiger Schritt in Richtung Patienten­orientierung. Für Patienten werden dadurch Informationswege verkürzt. Interview: Sepp Laner Regelmäßige Gruppentreffen und auch Einzelgespräche Die Selbsthilfegruppe für Depressionen und Angststörungen trifft sich jeden 2. und 4. Freitag im Monat von jeweils 19.00 bis 21.00 Uhr in der Psycho­sozialen Beratungsstelle der Caritas in Schlanders (Hauptstr. 131; Pfarrwidum). Der Einstieg ist jederzeit möglich. Eine Anmeldung ist erforderlich (Tel. 0473 624558; Ingeborg Forcher). Kostenlose Einzelgespräche zum Thema Depressionen und Angststörungen finden jeden Montag von 17.00 bis 19.00 Uhr im Krankenhaus von Schlanders (Zimmer 1006) statt. Auch betroffene Angehörige können diese Gespräche nutzen, zumal Ingeborg Forcher Ausschussmitglied des Verbandes Angehöriger und Freunde psychisch Kranker ist. Auskünfte und Anmeldungen für die Einzelgespräche bei Ingeborg Forcher (Tel. 0473 624558). Info-Abend in Laas „Wege aus der Depression“ Laas – Depressionen scheinen gerade in hoch entwickelten Ländern immer häufiger zu werden und immer jüngere Menschen zu erfassen. Die Depression ist eine der größten Volkskrankheiten. Weltweit liegt sie derzeit an 4. Stelle, bis um Jahr 2030 dürfte sie an erste Stelle stehen. Die Depression trifft Frauen doppelt so häufig wie Männer. Jede 4. Frau und jeder 8. Mann machen im Laufe ihres Lebens eine behandlungsbedürftige Störung mit. Trotz ihrer Häufigkeit ist diese seelische Krankheit mit vielen Vorurteilen und Ängsten behaftet, und gerade dieser Umstand verzögert die gezielte Hilfe oft. Konkrete Informationen über Heilungschancen, Möglichkeiten der Behandlung sowie über den geeigneten Umgang mit depressiv Erkrankten werden am Freitag, 17. Oktober um 20 Uhr im Josefshaus in Laas geboten. Mit diesem Informations- und Diskussionsabend („Wege aus der Depression“) will der SVP-Gemeinde­frauenausschuss von Laas nicht nur Betroffene ansprechen, sondern auch Angehörige und Freunde sowie alle Interessierten, zumal das ­Thema immer wichtiger wird. Als Referent konnte der ­Psychiater und Psychotherapeut Roger Pycha, seines Zeichens auch Primar der Psychiatrie am Krankenhaus Bruneck, gewonnen werden. Den Höhepunkt des Abends dürften aber die Ausführungen von Josef Niederkofler bilden, der von seinen Erfahrungen als psychisch Leidender berichten wird. Im Anschluss an die zwei Vorträge – und auch zwischendurch - gibt es reichlich Gelegenheit für Diskussion und ­Gedankenaustausch.
Josef Laner
Josef Laner
Vinschger Sonderausgabe

Diese Seite verwendet Cookies für funktionale und analytische Zwecke. Lesen Sie unsere Cookie-Richtlinien für weitere Informationen. Durch die Nutzung dieser Website erklären Sie sich damit einverstanden.