Das Lupfen nach Europa - Wen baggern die Wähler nach Brüssel?
Eva Klotz

Die Drei an einem Tisch

Publiziert in 11 / 2004 - Erschienen am 4. Juni 2004
[F] Eva Klotz kämpferisch, Sepp Kusstatscher sachlich, Michl Ebner locker und in Verteidigungshaltung: Dem “Vinschger” ist es gemeinsam mit seiner Tochter "bm" erstmalig gelungen, drei der deutschsprachigen Südtiroler Kandidaten für das Europaparlament (Lilli Gruber war ebenfalls eingeladen, konnte aber "leider" nicht teilnehmen) an einen Tisch zu bringen, um sich den kritischen Fragen des Moderators und des Publikums zu stellen. Eine Nachlese zur Podiumsdiskussion im Peter-Thalguterhaus von Algund. von Luis Spath, Fotos: Martin Geier [/F] Zur Orientierung: Moderator Georg Schedereit (er beschwörte "ökumenischen Geist" unter den drei Politikern herauf und glitt gelegentlich ins Entertainment ab) stellte folgende Fragen: Würden Sie einen Teil der hohen Amtsentschädigungen als Europaparlamentarier für einen guten Zweck abgeben und offen legen? In welchen Bereichen möchten Sie sich im Europaparlament besonders einsetzen (bevorzugte Kommissionen)? Könnten Sie sich eine Zusammenarbeit mit den Südtiroler Kollegen im Parlament vorstellen? Fragen aus dem Publikum betrafen u.a. die Verquickung von Medien- und politischer Macht sowie die europäische Haltung dazu und die Chancen der einzelnen Kandidaten, gewählt zu werden. Eva Klotz (Union für Südtirol) Kurzbiographie. Seit 20 Jahren im Südtiroler Landtag; politischer Beginn "an der 'Front' 1976 als Ausschussmitglied des Südtiroler Heimatbundes, der als Vertretung der politischen Häftlinge gegründet wurde", eine Seite, die die SVP in Südtirol "verschwiegen und verdrängt" habe, sehr zu ihrem Ärger. Das Kämpferische habe sie von der Familie. "Mein Gerechtigkeitssinn ist daran schuld, dass ich nie mit der Macht mitgemischt habe." Amtsentschädigung. Klotz hätte "keine Schwierigkeiten etwas abzugeben", obwohl es nicht ihre Art sei, das groß zu verkünden. Sie würde sicher auch auf ihre Fraktion (Europäische Freie Allianz) schauen, aber angesichts der neu hinzugekommenen Länder aus dem ehemaligen Ostblock, die sicher viel weniger verdienten, "eher dort Solidarität üben". Bei wohltätigen Zwecken denke sie spontan an Tschetschenien, und es gebe auch in Südtirol Armut. An ihre Partei zahle sie derzeit "40 und mehr Prozent". Schwerpunkte. Klotz interessiert sich "seit jeher" für die Menschenrechte, was auch für Europa ein Thema sein müsse; Beispiel Engländer im Irak, in Italien gebe es kein offizielles Folterverbot. Freiheit der Völker und Selbstbestimmungsrecht fielen auch unter Menschenrechte. Weiters interessiere sie der Ausschuss für Kultur, Jugend, Bildung, Medien und Sport und natürlich jener für Rechte der Frauen und Chancengleichheit. Sie setze sich ebenso ein für die Verteidigung der Umwelt und des Rechtes auf Unversehrtheit, denn alles andere helfe nicht, "wenn wir uns die Heimat zur Wüste machen". Die Union für Südtirol habe vollinhaltlich das Manifest der EFA übernommen. Sie wünsche sich ein "Europa der Vielfalt", auch ein "Europa der Regionen auf der Grundlage freier Entscheidungen ohne Einmischung der Staaten". Medienmacht. Klotz: "Volksparteileute sagen unter vorgehaltener Hand: Ohne seine Medien wäre Michl Ebner diesmal nicht mehr der Europakandidat." Zusammenarbeit. Diese sei bei gemeinsamen Zielen möglich; es komme auf die Inhalte an, nicht auf die Gesichter. Die Italiener müssten sich jedoch "endlich von den Kulturverbrechen trennen". In Südtirol herrsche noch "Sprachimperialismus". Südtirols Autonomie werde heute von der SVP in Frage gestellt und verletzt. Zur Frage nach der Haltung gegenüber faschistischen Relikten zitiert Klotz einen katalanischen Europaabgeordneten, der dazu sagte: "So etwas ist in Europa nicht mehr tragbar." Chancen. Ihr Listenbündnis habe es schwerer, aber allein als Union hätten sie gar keine Möglichkeit gehabt. Bei den vergangenen Europawahlen sei das letzte Restmandat knapp verfehlt worden. Ein Vollmandat sei auch diesmal nicht drin, wohl aber ein "großer Rest". Zu behaupten, nur wer Edelweiß wählt, wähle für Südtirol', sei "eine Frechheit". "Ebner müsste im Gegenteil froh sein, dass noch jemand die Interessen Südtirols in Brüssel stärkt." Sepp Kusstatscher (Grüne) Kurzbiographie. In kinderreicher Bergbauernfamilie aufgewachsen, Studium der Philosophie, Theologie und Pädagogik, berufliche Tätigkeit vorwiegend im schulischen Bereich (Berufsbildung), 1988-93 Landtagsabgeordneter der SVP und Vorsitzender der Arbeitnehmer. Seit vergangenem Herbst für die Grünen wieder im Landtag. Amtsentschädigung: Kusstatscher findet die sehr unterschiedliche Entlohnung der Europaparlamentarier, angekoppelt an ihre jeweiligen Staaten, nicht richtig. Auch die Diäten der Landtagsabgeordneten müssten reduziert werden. "Von einem normalen Arbeiterlohn sind wir weit weg." An seine Partei zahle er 40 %. Eine "feierliche Erklärung, wem ich was spendiere", möchte er nicht machen. Schwerpunkte. Die Grünen haben sich europaweit in den 25 Ländern der EU zu einer Partei zusammengeschlossen und ein einheitliches Programm erstellt mit den Schwerpunkten Natur und Umwelt, Sozialpolitik, Friedenspolitik, kulturelle Vielfalt, Stärkung der Demokratie. Kusstatscher möchte sich vor allem der Verkehrspolitik und dem Bereich gesunde Nahrungsmittel widmen, weil er aufgrund seiner beruflichen Erfahrung wisse, welcher "Unfug in diesem Bereich gemacht werden darf". In sozialpolitischer Hinsicht setze er sich für eine Angleichung der Sozialstandards ein. "Wir dürfen nicht einem Amerikanismus und Neoliberalismus in die Hände fallen, bei dem man Angst haben muss alt oder krank zu werden." Medienmacht. Es stehe außer Zweifel, dass es unterschiedliche Chancen gebe. Nicht nur in Italien unter Berlusconi, auch in Südtirol. "Der Einfluss des Hauses Athesia auf die öffentliche Meinung ist hier sicherlich noch viel größer." Auch auf europäischer Ebene sei die Demokratie "zu schmalbrüstig", ein Beispiel sei das geringe Gewicht des Parlaments. Chancen. Kusstatscher nennt sie "groß"; als Listenzweiter im Wahlbezirk Nordost traue er sich 20.000 Stimmen "locker" zu. Deshalb habe er sich auch über die Aussage der SVP, er sei chancenlos, sehr geärgert. "Das ist Verleumdung". Anzeige werde er aber keine machen. "Nicht ganz glücklich" seien die Südtiroler Grünen mit dem Listenzeichen, auf dem nur "Verdi" stehe. Publikumsfragen. Mehrere waren direkt an Kusstatscher gerichtet: Einstellung zu den faschistischen Relikten in Südtirol, zum drohenden Identitätsverlust der Südtiroler und zur Multikulturalität. Die faschistischen Relikte sieht Kusstatscher als "Mahnmale der nationalstaatlichen Vergangenheit, damit wir nicht in diktatorische Zeiten zurückfallen". Er hoffe, dass durch die EU-Erweiterung das Verständnis für die Vielfalt zunehme, "dass wir auch in Südtirol uns freuen, neben anderen Sprachgruppen leben zu dürfen, voneinander profitieren und nicht Mauern aufbauen". Die Erhaltung der Vielfalt sei neben gerechter Sozialpolitik "die einzige Chance, den Frieden zu bewahren". Deutsch bilde die größte Sprachgruppe in Europa, somit könnten Ängste, "vom Italienischen vereinnahmt zu werden, langsam schwinden". Michl Ebner (SVP) Kurzbiographie. "Stamme aus einer politischen Familie", seit 25 Jahren Mandatsinhaber (15 Jahre im italienischen, seit 10 Jahren im europäischen Parlament), "Politiker aus Berufung", "mache die Arbeit mit Begeisterung und Freude, nicht aus Broterwerb"; in einem Wohlstandsland wie Südtirol sei eine Rückbesinnung notwendig, die Menschen müssten stärker für das Allgemeinwohl sensibilisiert werden. Amtsentschädigung. Ebner: "Halte nichts vom Wettlauf der Großzügigkeit." Er sei nicht überbezahlt, ihm blieben etwas über 5000 Euro, davon zahle er fast 20 % an seine Partei. Er fände es "geradezu reduzierend, zum Erheischen von Wählerstimmen " aufzuzeigen, wieviel Geld er für Wohltätigkeit gebe. Die losgetretenen "Neidkampagnen" seien nicht berechtigt. Er zahle als "Teilzeitunternehmer" mehr Steuern, als er in Straßburg verdiene. Allerdings müsse das Parlament die Spesenregelung neu überdenken. Für sich habe er "ein ruhiges Gewissen". Schwerpunkte. Ebner verweist auf seinen Rechenschaftsbericht und auf das Wahlprogramm der SVP. Er möchte wieder in den Landwirtschaftsausschuss; 48 Prozent des europäischen Haushaltes seien für die Landwirtschaft und den ländlichen Raum bestimmt; ebenso peile er wieder den Kulturausschuss (Minderheiten) und den Umweltausschuss an. Medienmacht. Ebner verweist auf die sehr unterschiedlichen Wahlgesetze in den jeweiligen Ländern, wo einerseits fixe Listen, andererseits Vorzugsstimmen stärker zum Tragen kämen. Auf die Äußerung von Klotz zu seinem Medieneinfluss: Die SVP sei eine sehr lebendige, breit verwurzelte Partei. Sie bestehe nicht nur aus Familienmitgliedern und Sympathisanten. "Ich hatte in den Vorwahlen der Ortsgruppen und Bezirke zum Teil satte Mehrheiten, auf Landesebene war sie respektabel." Grundsätzlich sei Gewaltenteilung eine Errungenschaft, der sich alle verpflichtet fühlten, auch er selbst. Südtirol sei mit der italienischen Situation von der Größenordnung her jedoch nicht vergleichbar, der Grundkonflikt sei völlig verschieden. Berlusconi sei Regierungschef. Wäre er, Ebner, Landeshauptmann, wäre der Vorwurf gerechtfertigt. Die Thematik sei in den Medien immer "aufgeblasen" worden. Die "Dolomiten" hätten heute "kein Monopol mehr". Jahrelang habe er sich mit verhetzenden Äußerungen wie "die christlichen Brüder" durch den Kakao ziehen lassen müssen, nur deswegen, "weil wir uns konfessionell immer deklariert haben". Den Hinweis, in der jüngsten Ausgabe des Athesiablattes "Die Frau" sei sein Foto sechs Mal abgedruckt, finde er "kleinlich". Zusammenarbeit. Mit Alexander Langer habe Ebner "eine Reihe von Berührungspunkten gehabt", mit Reinhold Messner habe die Zusammenarbeit "nicht funktioniert". Mehr wolle er dazu nicht sagen. Chancen. Ebner wünschte sich "selbstverständlich, dass so viele Südtiroler wie möglich in Brüssel tätig sein könnten", die "Größenverhältnisse" ließen dies aber nicht zu. Die Verbindung mit der Prodi-Liste sei unter der Voraussetzung entstanden, so viele Stimmen wie möglich zu bringen". Diese "Vertragsfähigkeit" wolle man auch zukünftig erhalten, "trotz Einschüchterung, Druck und Gewaltanwendung durch die Grünen, indem sie sagen, wir zeigen auch an". [F] EU-Wahlen: Südtiroler Kandidaten [/F] Neben Eva Klotz (Union/Lega per l'autonomia), Sepp Kusstatscher (Verdi/Grüne) und Michl Ebner (SVP) kandidieren noch weitere vier Südtiroler Kandidaten auf unterschiedlichen Listen. Eine davon ist die 47-jährige TV-Moderatorin Lilli Gruber, gebürtig aus Neumarkt. Als Journalistin des TG 1 ist sie weit über die nationalen Grenzen hinaus bekannt. Die "rote Lilli" (so genannt wegen ihrer Haarfarbe und politischen Sympathien) arbeitete über 20 Jahre für die Rai und war während des Irak-Krieges Sonderkorrespondentin in Bagdad. Über ihre dortigen Erfahrungen hat sie kürzlich ein Buch veröffentlicht. Die unlängst eingereichte Kündigung, verknüpft mit herber Kritik am wachsenden Einfluss der Regierung Berlusconi auf die öffentlich-rechtliche Sendeanstalt, löste auch international großes Echo aus. Gruber ist Spitzenkandidatin des Mitte-Links-Bündnisses (Prodi-Liste) im Wahlkreis Zentrum; auch im Wahlkreis Nordost steht sie auf der Liste. Sie gilt als sichere Anwärterin auf ein Mandat in Straßburg (Homepage: www.lilligruber.it). Weiters kandidieren Carlo Carlini (Kommunisten), Giorgio Holzmann (Alleanza Nazionale) und Lidia Menapace (Rifondazione Comunista). Die Wahlen zum Europäischen Parlament finden am 12. Und 13 Juni statt (Samstag von 15 bis 22 Uhr, Sonntag von 7 bis 22 Uhr) .
Vinschger Sonderausgabe

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