Sanitätslandesrat Richard Theiner: „Schlimm wird es, wenn wir nichts tun“

„Die Leute fragen nicht, wo operiert wird, sondern wo das beste Krankenhaus ist“

Publiziert in 35 / 2010 - Erschienen am 6. Oktober 2010
Schlanders – Schon seit Wochen ist die klinische Reform in aller Munde. Die Gerüchteküche brodelte stark und brodelt noch immer. Etwas mehr Klarheit gibt es seit dem vergangenen Montag: die Landesregierung stimmte dem Grundkonzept, über das nun auf breiter Ebene diskutiert werden soll, einstimmig zu. Weite Teile der Bevölkerung sind aber weiterhin verunsichert. Was es mit der klinischen Reform konkret auf sich hat und was sich im Krankenhaus ­Schlanders ändern bzw. nicht ändern wird, wollte „Der Vinschger“ von Gesundheitslandesrat Richard Theiner erfahren. Dieser nimmt kein Blatt vor den Mund: „Kein Krankenhaus in Südtirol wird zugesperrt. Tun wir jetzt aber nichts, stehen uns mittelfristig Schließungen ins Haus.“ Und genau das soll mit der klinischen Reform verhindert werden. „Der Vinschger“. Wenngleich dem Süd­tiroler Sanitätswesen insgesamt in staatsweiten und auch länderübergreifenden Vergleichen, Studien und Statistiken immer wieder gute Noten ausgestellt werden, hat die zum Teil sehr kontrovers geführte Diskussion rund um die klinische Reform für einen gehörigen Rüttel gesorgt. Viele Bürgerinnen und Bürger sind besorgt und fühlen sich unzureichend informiert. Richard Theiner: Hier muss ich schon etwas ausholen. Dass unser Gesundheitswesen insgesamt gut aufgestellt ist und dass wir, trotz einiger Schwachstellen wie z.B. Wartezeiten, auf eine hohe Kundenzufriedenheit verweisen können, ist keine Schönfärberei, sondern nachgewiesene Tatsache. Ein erster wichtiger Schritt für die Modernisierung unseres Gesundheitswesens war die Zusammenlegung der 4 Sanitätsbetriebe zu einem einzigen Betrieb. Es wurden Stellen in der Verwaltung abgebaut, bei der Ärzteschaft und dem Pflegepersonal hingegen gab es einen Zuwachs. Die klinische Reform ist ein weiterer Schritt, ich selbst sehe darin das Herzstück des künftigen Gesundheitswesens. Wurde bezüglich der klinischen Reform nicht auch ein bisschen Versteck ge­spielt? Die Freiheitlichen zum Beispiel haben von einer schleichenden Aushöhlung der Grundversorgungskrankenhäuser in Schlanders, Innichen und Sterzing ge­sprochen. Richard Theiner: Niemand will hier Versteck spielen, der Sanitätsbetrieb ebenso wenig wie ich als Landesrat. Die Grundvorschläge für die klinische Reform haben der Sanitätsbetrieb und eine Gruppe von 26 Personen, darunter vorwiegend Ärzte, erarbeitet. Obwohl im Vorfeld niemand daran glaubte, kam diese Arbeits­gruppe auf einen gemeinsamen Nenner und stimmte dem Grundsatzpapier im Juni 2010 einstimmig zu. Die Landesregierung genehmigte dieses Grundsatzpapier Ende Juli 2010 und beauftragte den Sanitätsbetrieb, innerhalb von 3 Monaten konkrete Vorschläge für die klinische Reform auszuarbeiten. Mit diesen Vorschlägen des Sanitätsbetriebes hat sich die Landesregierung bei zwei aufeinander folgenden Sitzungen befasst und sie am 4. Oktober gutgeheißen. Wie aber über Medien durchsickerte, ­waren im Vorfeld auch Vorschläge über eine Schließung von kleinen Krankenhäusern unterbreitet worden. Richard Theiner: Natürlich gab es unterschiedlichste Ansichten und Vorschläge, es wurde ja auf breitester Basis diskutiert. Ich habe mich immer für den Erhalt aller ­öffentlichen Krankenhäuser ausgesprochen. Vertreter der Wirtschaft zum Beispiel, aber auch Ärzte hatten sich klar dafür ausgesprochen, kleine Krankenhäuser zu schließen. Auch die Ärztekammer, Gewerkschaften und viele weitere Organisationen haben mitgedacht und mitdiskutieret. Die Unterschrift des Generaldirektors Andreas Fabi allerdings ist unter keinem dieser Dokumente und Vorschläge zu finden. Erst jetzt liegt das Grundlagenpapier formell und offiziell vor. Das bedeutet? Richard Theiner: Dass die große Diskussion erst jetzt richtig anläuft und anlaufen muss, und zwar auf allen Ebenen. Die Gemeinden werden ebenso involviert wie die Bezirksgemeinschaften, Verbände und Organisationen. Worauf müssen sich die Vinschger gefasst machen? Richard Theiner: Abgesehen davon, dass eine Schließung des Krankenhaus ­Schlanders und der weiteren peripheren Krankenhäuser in Südtirol in keinster Weise im Raum steht, kann ich bestätigen, dass alle bisherigen Abteilungen und Dienste in Schlanders erhalten bleiben: Innere Medizin, Allgemeinchirurgie, Gynäkologie und Geburtshilfe, Pädiatrie, Anästhesie und Notfallmedizin, Labor und Radiologie. Warum eine Reform, wenn alles bleibt wie es ist? Richard Theiner: Die Abteilungen und Dienste bleiben, werden aber neu organisiert. Das Krankenhaus Schlanders ist nur einer der Bausteine im Mosaik der Südtiroler Grundversorgungs- und Schwerpunktkrankenhäuser sowie des Zentralkrankenhauses in Bozen. Die Abteilungen in Schlanders werden erhalten, aber es wird zu einer stärkeren Vernetzung mit anderen Krankenhäusern kommen, mit dem Ziel internationale Qualitätsnormen zu er­reichen. Was heißt das konkret? Richard Theiner: Dass zum Beispiel bestimmte Krebsoperationen, wie sie derzeit in vielen Krankenhäusern nur wenige Male im Jahr vorgenommen werden, künftig nur mehr in bestimmten Abteilungen durchgeführt werden wo wir die nötigen Fallzahlen erreichen und internationale Qualitätsnormen erfüllen können. Das Krankenhaus Schlanders hat sich gut entwickelt und so konnten wir in den letzten Jahren die Dienste ausbauen. Hüftoperationen werden zur großen Zufriedenheit der Patienten ausgeführt. Wir möchten in Schlanders Hüft- und Kniegelenksoper­ationen weiter ausbauen, Augenoperationen und mehr Eingriffe im gynäkologischen und im HNO-Bereich durchführen. Was ich mit diesen Beispielen sagen will, ist eigentlich recht einfach: anstatt in allen Krankenhäusern alles anzubieten, ist es sinnvoller, in bestimmten Kliniken ganz bestimmte Dienste anzubieten, und zwar mit höchstmöglicher Qualität. Eines unserer Ziele ist es, die Operationssäle möglichst gut auszulasten. Hierfür braucht es neue Organisationsmodelle. Es muss zum Beispiel auch möglich sein, dass ein Primar oder ein spezialisierter Facharzt eines bestimmten Krankenhauses auch einmal eine Operation in einem anderen Krankenhaus durchführt. Insgesamt gesehen wird das Leistungsangebot im Krankenhaus Schlanders ausgebaut werden. Wird es die Vinschger nicht verärgern, wenn sie für eine Krebsoperation ein anderes Krankenhaus aufsuchen müssen? Richard Theiner: Machen wir uns doch nichts vor. Ich weiß aus eigener Erfahrung, was sich die Leute in schwierigen Situa­tionen wünschen. Sie fragen nicht, ob diese oder jene Operation auch in Schlanders durchgeführt wird, sondern sie fragen: „Wo gibt es für diesen Eingriff das beste Krankenhaus und die besten Ärzte?“ Das ist es, was die Leute wollen und genau das möchten wir mit der klinischen Reform auch erreichen. Dass manche Ärzte mit derartigen Veränderungen nicht glücklich sind, liegt auf der Hand. Meine Mitarbeiter und ich haben aber in erster Linie den ­Patienten im Auge. Er ist es, für den wir Dienst­leistungen mit möglichst hoher Qualität zu erbringen haben. Die Nachbehandlungen und natürlich auch sämtliche Grundversorgungsdienste können selbstverständlich wieder in den „Heimat“-Krankenhäusern in Anspruch genommen werden. Ist die Latte der Qualität für ein kleines Land wie Südtirol nicht zu hoch angesetzt? Richard Theiner: Wo immer es möglich ist, wollen wir den internationalen Qualitätsstandards gerecht werden. Für Bereiche, in denen das nicht möglich ist, werden wir Konventionen mit Einrichtungen außerhalb von Südtirol abschließen, wie dies zum Teil schon jetzt der Fall ist. Und wer soll das alles bezahlen? Richard Theiner: Es ist eine Illusion zu glauben, dass die Kosten für das Gesundheitswesen in Zukunft sinken werden. Die Realität zeigt uns tagtäglich, dass wir älter werden und der Bedarf an medizinischer Versorgung und an pflegerischen Leistungen Hand in Hand damit steigt. Als Realist will ich somit nicht von Einsparungen reden, sondern davon, wie es uns in Zukunft gelingen wird, die Kostensteigerung einigermaßen unter Kontrolle zu halten. In den vergangenen Jahren haben wir es geschafft, die Kosten „nur“ um 2 bis 3 % pro Jahr ansteigen zu lassen, wenig im Vergleich zu den Nachbarregionen. Zurzeit kostet die gesamte Gesundheitsversorgung rund 2.200 Euro pro Kopf und Jahr. Welche Rolle spielen die Basisärzte und Gesundheitssprengel im Kontext der ­klinischen Reform? Richard Theiner: Ich wage zu behaupten, dass wir in Südtirol etwas zu „krankenhauslastig“ sind. Nicht wenige Leistungen, die in den Kliniken erbracht werden, könnten ohne weiters auf die Basisärzte und die Sprengel ausgelagert werden. Dies ist auch unsere Absicht. Dass viele Basis­ärzte unter zu viel Bürokratie stöhnen, ist uns ebenfalls bewusst. Noch mehr fördern wollen wir Gemeinschaftspraxen von Basis­ärzten. Landesweit beispielhaft ist in diesem Sinne die Gemeinschaftspraxis in meiner Heimatgemeinde Latsch. Von den dort geschaffenen Synergieeffekten profitieren vor allem auch die Patienten. Wie sieht es mit der längst überfälligen Sanierung des Bettentraktes im Schlanderser Krankenhaus aus und wie viel Steuergeld dürfen wir dafür hinblättern? Richard Theiner: Das Raumprogramm zum Umbau bzw. zur Sanierung des ­Bettentraktes am derzeitigen Standort hat die Landesregirrung auf meinen Vorschlag hin im März 2010 genehmigt. Die Gesamtkosten werden mit knapp 17 Mio. Euro beziffert. Die Planungsarbeiten im Amt für Sanitätsbauten sind derzeit voll im Gang. Bis zur Umsetzung der klinischen Reform wird noch einige Zeit vergehen. Auch an neuerlichen Kontroversen und hitzigen Diskussionen wird es nicht fehlen. Wie sicher oder unsicher fühlen Sie sich als „Steuermann“ am Ruder der Sanität? Richard Theiner: Die klinische Reform kann theoretisch auch scheitern, keine Frage. Ich persönlich bin felsenfest überzeugt, dass wir damit den einzig richtigen Weg für ein modernes, qualitativ hoch ­stehendes, finanzierbares und weiterhin für alle zugängliche Gesundheitsversorgung einschlagen. Wenn wir in diesem Punkt nichts tun, könnten wir in rund 10 Jahren tatsächlich vor verschlossenen Krankenhaustüren stehen. Interview: Sepp Laner
Josef Laner
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