„Die Tagespolitik hinkt oft zehn Jahre nach“

„Die Tagespolitik hinkt oft zehn Jahre nach“

Publiziert in 10 / 2007 - Erschienen am 21. März 2007
Schon oft hat die Umweltschutzgruppe Vinschgau gesellschaftspolitisch wichtige Fragen zu einem viel früheren Zeitpunkt aufs Tapet gebracht als es die Tagespolitik macht. Zu jenen Fragen und Anliegen, mit denen sich die Umweltschützer derzeit befassen, gehört laut dem Vorsitzenden Peter Gasser unter anderem die Renaturierung der Etsch. „Wir möchten aber auch den Eisenbahntunnel nach Schulz erleben“, sagt Peter Gasser in folgendem Interview. „Der Vinschger“: Nicht wenige Politiker im Tal und auch Wirtschaftsvertreter sehen sofort „rot“, wenn sie auch nur das Wort Umweltschutz­gruppe hören. „Das sind alles nur selbsternannte Umweltschützer“ heißt es nicht selten. Ist das Image der Gruppe tatsächlich so schlecht? Peter Gasser: So schlimm wie Sie meinen ist das Image der Umweltschutzgruppe nicht; kriegen wir doch immer wieder aufmunternde Komplimente, zuweilen auch von Leuten, denen man es gar nicht zutrauen würde. Der Ausdruck „selbsternannte Umweltschützer“ ist mir zwar bekannt, leider habe ich ihn bis zum heutigen Tag noch nicht verstanden: wer sollte mich zum Umweltschützer machen, wenn nicht ich mich selbst. Solange ich mit meinem Gewissen im Reinen bin interessiert mich die Meinung der so genannten Politiker relativ wenig. „Der Vinschger“: Den Umweltschützern wird auch oft vorgeworfen, immer und überall nur zu kritisieren, laut zu schreien und Anzeigen zu erstatten. Vergeht Ihnen da nicht die Freude an der Arbeit? Peter Gasser: Dass wir immer nur verhindern und anzeigen stimmt nicht. Wir setzen uns in unserer Arbeit für die nachhaltige Erhaltung eines gesunden Lebens- und Wirtschaftsraumes ein. Wir haben die Eisenbahn gefordert, wir wollen ein Verkehrskonzept und kein Flickwerk, wir träumen von einer Renaturierung der Etsch und wir möchten den Eisenbahntunnel nach Schulz erleben! Wenn es allerdings anders nicht geht, greifen wir auch ohne große Hemmungen zum Mittel der Anzeige. Ich sehe darin kein Problem. „Der Vinschger“: Was sind die wesentlichsten Erfolge, auf welche die Umweltschutz­gruppe seit ihrem Bestehen stolz ist? Peter Gasser: Stolz ist vielleicht der falsche Ausdruck, denn bekanntlich wachsen ja „Dummheit und Stolz auf dem selben Holz“. Was uns aber ganz besonders freut, ist die Tatsache, dass es uns gelingt, gesellschaftspolitisch relevante Fragen in der Regel zehn Jahre vorher aufzuwerfen, als es die Tagespolitik macht. Denken Sie an die Debatten zur Klimapolitik, Energiepolitik, Verkehrspolitik, Wirtschaftspolitik der kleinen Kreisläufe und viele andere. „Der Vinschger“: Das Thema Energie ist seit Jahren in aller Munde. Wenn man in Südtirol von Energie spricht, ist zu­allererst vom Wasser die Rede. Sind die Gewässer im Vinschgau schon überstrapaziert oder sehen Sie noch Potentiale für eine weitere Nutzung? Peter Gasser: Der Vinschgau ist, was die Nutzung der Wasserenergie anbelangt, bereits seit über 50 Jahren überstrapaziert. Im Allgemeinen sind die Gewässer des Vinschgaus leider alle „überkonzessioniert“, das Potential ist deshalb zum Großteil ausgeschöpft. „Der Vinschger“: Die Umweltschutzgruppe führt schon seit mehreren Jahren so genannte Flussraumgespräche. Was steckt da genau dahinter und wohin soll das Ganze führen? Peter Gasser: Bei den Churburger Flussraumgesprächen stand und steht der Gedanke Pate, dass es gelingen müsste, alle wesentlichen Interessengruppen an einen Tisch zu bekommen, um nach Möglichkeiten zu suchen, eine größere Renaturierung am Oberlauf der Etsch zu verwirklichen. Dabei sollten die Interessen aller Beteiligten unter einen Hut gebracht werden, um somit für die gesamte Bevölkerung des Tales einen spürbaren Mehrwert zu schaffen. Die wichtigsten Beteiligten sind Landwirtschaft, Tourismus, Hochwasserschutz, Umweltschutz und Energiewirtschaft. Leider sind wir mit unseren Gesprächen zwischen die Fronten des bekannten Vinschger Stromkrieges geraten und deshalb sind sie etwas ins Stocken gekommen. Dennoch bin ich sehr zuversichtlich, dass die Idee der Flussraumgespräche früher oder später realisiert werden kann. „Der Vinschger“: Die Gletscher weichen und viele Bauern im Vinschgau, speziell jene an den Sonnenhängen, befürchten, dass auch das Beregnungs­wasser knapp werden wird. Was können Sie diesbezüglich dem neuen Wassernutzungsplan des Landes abgewinnen, der derzeit überarbeitet wird? Peter Gasser: Wir haben den Wassernutzungsplan noch nicht zu Gesicht bekommen. Wenn ich jedoch an die Aussagen des Bauernbundobmannes des Vinschgaus, des Bürgermeisters Andreas Tappeiner denke, so kann ich mir lebhafte Debatten zu diesem Thema vorstellen. Wir hoffen natürlich, dass der genannte Plan dafür sorgt, dass die Interessen der Ökonomie nicht noch dem letzten Rest der Ökologie in unseren Gewässern den Garaus machen. Wasser ist ja bekanntlich ein Allgemeingut, und sollte nicht von einzelnen Lobbys als Alleinbesitz gesehen werden. „Der Vinschger“: Stichwort Reschenstauseekonzession: Teilt die Umweltschutzgruppe die Position der Gemeinden bezüglich des Umweltplanes, der die schrittweise Aus­schüttung von 30 Millionen Euro vorsieht? Peter Gasser: Die 30 Millionen Euro für den Umweltplan sind mehr als gerechtfertigt. Was jedoch mit diesem Geld alles angestellt werden soll, ist mehr als bedenklich. Man hat den Eindruck, dass anstatt der Umsetzung von Maßnahmen, welche in direktem Zusammenhang mit den Schäden stehen, welche die Energiewirtschaft bei uns angerichtet hat, vielmehr Haushaltslöcher in den verschiedenen Gemeinden und Bereichen gestopft werden sollen. Anders ist es nicht zu erklären, dass mit Geldern aus dem Umwelttopf die Beregnung auf der Malser Haide finanziert werden soll. „Der Vinschger“: Strom lässt sich auch mit der Sonne erzeugen. Großflächige Fotovoltaikanlagen im freien Gelände aber, wie sie Privatunternehmer in mehreren Gemeinden im Vinschgau errichten möchten, stoßen auf Widerstand. Wie bewerten Sie solche Anlagen? Peter Gasser: Die Fotovoltaik ist eine geniale und zukunftsweisende Technik und sollte deshalb auch bei uns Fuß fassen. Es kann jedoch nicht so sein, dass Private auf der Sonnenseite des Tales relativ unproduktive Flächen aufkaufen und sie dann mit Fotovoltaikpaneelen zupflastern. Es braucht in diesem Zusammenhang ein Konzept, welches diese Materie regelt, sonst erleben wir in Kürze einen Wildwuchs von zuweilen aus landschaftlicher Sicht bedenklichen Anlagen. „Der Vinschger“: Die Umweltschutzgruppe stemmt sich entschieden gegen eine Anbindung des Skigebietes Sulden mit Martell und auch gegen eine Verbindung des Kaunertales mit Langtaufers. Wird auch eine Verbindung von Schöneben mit der Haider Alm abgelehnt? Peter Gasser: Wir stemmen uns nicht prinzipiell gegen jeden neuen Skilift. Dennoch muss die Frage erlaubt sein, wie viele und vor allem wo der Vinschgau neue Anlagen braucht? Dass eine Verbindung zwischen zwei Skigebieten in einer strukturschwachen Gegend wie es die Gemeinde Graun ist, sinnvoller erscheint als zum Beispiel der mittlerweile hinfällige Zusammenschluss in einer durch Landwirtschaft, Tourismus und Industrie wohlhabenden Gemeinde wie Latsch, versteht sich wohl von selbst. In diesem Zusammenhang muss festgehalten werden, dass sich die Politik leider immer wieder vor klaren Antworten drückt. „Der Vinschger“: Wogegen die Umweltschützer seit jeher kämpfen, ist die Zunahme der Verkehrsbelastung. Wie bewerten sie das Gesamtverkehrskonzept von Professor Hermann Knoflacher, das jetzt in der Rohfassung vorliegt, und was sagen Sie zum Beharren der Gemeinde Schluderns auf eine große Umfahrung? Peter Gasser: Das Gesamtverkehrskonzept der Bezirksgemeinschaft betrachte ich als einen vorbildhaften Meilenstein in der Verkehrspolitik Südtirols. Erstmalig wurde die Bevölkerung des Tales nach ihren Wünschen und Vorstellungen befragt. Auf Grund der Willensäußerung der Bevölkerung entsteht derzeit das Verkehrskonzept des Vinschgau. Mit Ausnahme von Schluderns sind alle Gemeinden des Bezirkes mit den Vorschlägen des Rohentwurfes einverstanden, genauso die verschiedenen Bürgerinitiativen. Sollte das Konzept umgesetzt werden, so könnte es dem Vinschgau gelingen, eine drohende Transitlawine zu verhindern. Die Forderung der Gemeinde Schluderns, auf dem Grund der Anrainergemeinden großräumige Umfahrungsstrassen zu bauen halte ich für unrealistisch. „Der Vinschger“: Die Umweltschutzgruppe gehört zu jenen Vereinen, die für mehr direkte Demokratie kämpfen und welche die Volksinitiative „Direkte Demokratie“ aktiv unterstützen. Bringt uns ein Mehr an direkter Demokratie tatsächlich weiter? Peter Gasser: Davon bin ich mehr als nur überzeugt. Es genügt ein kurzer Blick in die nahe Schweiz um festzustellen dass durch ein funktionierendes Instrument der direkten Demokratie die Politik, im Sinne einer Vertretung aller Bürger und Bürgerinnen, in ­einer ganz anderen Liga spielt. „Der Vinschger“: Was hat Ihnen in Ihrer Funktion als Vorsitzender der Umweltschutzgruppe bisher am meisten weh getan und was hat Sie am meisten gefreut? Peter Gasser: Über das „weh tun“ möchte ich nicht gerne sprechen. Sehr gefreut hat mich, als ich am 05.05.2005 vom Malser Bahnhof aus beobachten konnte, wie der neue Vinschgerzug, „gsteckt voll mit Vätern der neuen Bahn“, das erste Mal die Kurve um den Tartscher Bühel kratzte. Interview: Sepp Laner
Josef Laner
Josef Laner

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