„Die Vinschger sind aktiv und mündig“
Publiziert in 38 / 2009 - Erschienen am 28. Oktober 2009
Diese 1. Südtiroler Volksabstimmung hat viele Hintergründe und ihr Ausgang bietet eine Fülle von Interpretations- und Analyse-Möglichkeiten. Von 30.132 Wahlberechtigten des politischen Bezirks Vinschgau (13 Gemeinden, ohne Naturns, Plaus, Partschins) haben zum Beispiel 13.835 – also 45,9 Prozent – das Recht in Anspruch genommen, zum Antrag 4 nach mehr direkter Demokratie in Südtirol durch ihren Urnengang Position zu beziehen. Nicht mehr und nicht weniger. Die restlichen 54,1 Prozent könnten dem Aufruf der Regierungspartei SVP gefolgt sein. Sie könnten aber auch mit der Politik nichts mehr am Hut haben wollen oder auch nur ihrer Bequemlichkeit nachgegeben haben.
von Günther Schöpf,
Sepp Laner, Oskar Telfser
Man kann Bezug nehmen auf offizielle Verlautbarungen der Südtiroler Volkspartei und die 1. Südtiroler Volksabstimmung ironisch kommentieren: Südtirol ist gerade noch an einem „Verwaltungschaos“ vorbei geschrammt. Man kann den Urnengang vom letzten Sonntag von Seiten der Antragsteller sehen: Das gut 147.000 Südtirolerinnen und Südtiroler gesetzte Zeichen ist nicht länger zu übersehen; Südtirol ist reif für mehr Demokratie. Man kann Landeshauptmann Luis Durnwalder zitieren: „Die große Mehrheit der Bürger hat sich mit der Nicht-Teilnahme an den Abstimmungen für Kontinuität oder Stabilität ausgesprochen“ (Landespresseamt, Mitteilung 5.617 vom 25.10., um 23.06 Uhr). Man kann aus der Analyse herauslesen: Die Italiener in den größeren Städten haben die Landesregierung und mit ihr die SVP vor einer Blamage bewahrt. Man kann die Volksabstimmung aber auch aus der Sicht des gebeutelten Steuerzahlers sehen: Alles für die Katz. Außer Spesen nichts gewesen.
Aufrührer und Anführer Vinschgau
Der Vinschgau liegt an der Spitze der fünf Bezirke, die das Beteiligungs-Quorum erreicht haben. Mit 44,1 % folgt das Wipptal, vor den Bezirken Salten-Schlern mit 43 %, Eisacktal mit 42,9 % und Pustertal mit 42,6 %. Abgesehen vom Pustertal waren es die stimmenschwächsten Bezirke des Landes, die dem Aufruf, zu Hause zu bleiben, überhört haben. Dasselbe Bild auch im geographischen Vinschgau. Die kleinsten waren die aktivsten. Oder hatten sie die meisten „gut bezahlten“ Auslandswähler in ihren Reihen? 55,7 % der Plauser haben nichts Besseres gewusst, als ihr Wahlrecht auszuüben. Hängt das mit dem „Protestanten“ Arnold Schuler zusammen? 55,5 % der Glurnser waren im Wahllokal. Sind die Heimatfernen angereist? In der Heimatgemeinde der SVP Bezirksobfrau, Gemeindereferentin Roselinde Gunsch Koch, in Taufers im Münstertal war um 17.00 Uhr – einzigartig in Südtirol - schon das Quorum erreicht. Waren hier die Protestwähler, die Auslandswähler und die Angehörigen der Direkten Demokraten gemeinsam am Werk? In der Rangliste der Wahlbeteiligung folgen die Großgemeinde Schlanders mit 49,0 %, Schluderns mit 48,7% und Laas mit 48,3%. Konnte man das durch die bunte Parteienlandschaft erwarten? Partschins und Prad weisen 46,6% an Wahlbeteiligung auf. Ist das auf die Arbeit der Grünen oder Initiatoren zurückzuführen? Sepp Nogglers Mals blieb mit 44,7 % hinter der Heimatgemeinde des Parteiobmannes Richard Theiner, hinter Latsch mit 45,7 % zurück. War es in Latsch eine Gefolgschaftsverweigerung? Nach Stilfs mit 42 % beschließt Kastelbell-Tschars die Riege der „Aktiv-Wähler“ mit 41,2 %. Aus Sicht der Volkspartei sind die beiden größten Seitentäler die Lichtblicke im Ringen um den Südtiroler Wähler. Schnals schoss den Vogel ab in der Linientreue mit 29,6 %. Ebenfalls nicht das Quorum erreicht hat das Beerental Martell. Fragt man sich ironisch: Wird Hans Berger ein Exempel statuieren und den „Weihnachtsmarkt“ in Martell noch ausgiebiger unterstützen? Wird Florian Mussner die Schnalser Straßen noch besser be- und verbauen?
Die Retter leben
in der Stadt
Wirft man einen schnellen Blick über die Töll hinaus, stellt man den Beteiligungsrekord in Kurtatsch an der Weinstraße mit 61,3 % bei Antrag 1 fest. Mit großer Wahrscheinlichkeit haben die italienischsprachigen Mitbürger in Bozen (24,3 %), die in Leifers (27,1 %) und die in Meran (28,4 %) der Südtiroler Volkspartei noch einmal die Steigbügel gehalten. Für die erklärten Demokraten der interethnischen Partei der „Grünen“ ist allerdings die Blamage perfekt; ihr Einfluss auf die großen Zentren hat sich als sehr beschränkt erwiesen. Sie und die Promotoren haben vergessen, dass es in Südtirol eine italienische Volksgruppe gibt. Um in Ironie abzuschließen: Der Vinschgau wird von der Töll westwärts wieder „churisch“. Die beiden Enklaven Schnals und Martell werden endgültig dem „Meraner Land“ zugeteilt.
Was sagt die Bezirksobfrau zum Wahlausgang? Ist sie auch zur Wahl gegangen?
Roselinde Gunsch Koch: Natürlich bin ich das. Für mich war es immer wichtig, aktiv teilzunehmen. Ich schätze es, dass wir so viele mündige Bürger haben; würde mir allerdings wünschen, dass man auch im Vorfeld diese Aktivität zeigt. Wo immer es mir möglich ist, werde ich den Wählerwillen weitergeben. Heute (26.10.09) haben wir Parteiausschusssitzung. Es wird sicher intensiv analysiert werden.
Herr Parteiobmann, haben Sie die Sektflasche schon geöffnet?
Richard Theiner: Wir sind froh - und das verhehlen wir auch nicht - dass die rechtlichen Unsicherheiten nicht eingetreten sind, aber jetzt sind wir in die Pflicht genommen. Wir wollen nicht schadenfroh die Sieger spielen, sondern uns mit dem Wählerwillen auseinandersetzen und ihn respektieren. Ich werde mich persönlich dafür einsetzen, die Elemente der direkten Demokratie aufzunehmen und die bestehende Gesetzeslage zu verbessern.
Was die inhaltlichen Abstimmungsergebnisse betrifft, weicht der Vinschgau nur unwesentlich von den landesweiten Ergebnissen ab. Beim Antrag zur Wohnbauförderung, eingebracht von der Union für Südtirol, stimmten fast 82 Prozent der Abstimmenden mit Ja, bei jenem zum Stopp dem Ausverkauf der Heimat (ebenfalls Union) waren es über 86 Prozent. Beim Demokratie-Antrag der Union sagten im Vinschgau 75,5 Prozent der Abstimmenden Ja, beim Demokratie-Antrag der Initiative für mehr Demokratie waren es 86,6 Prozent. Bei der Frage zum Flugplatz sprachen sich im Vinschgau über 80 Prozent der Abstimmenden dafür aus, den Flugverkehr zu verringern bzw. ihn künftig nicht mehr mit Steuergeld zu bezuschussen.
Meinungen
zur Volksabstimmung
Meinrad Brunner, Plaus: Ich finde diese Volksabstimmung positiv. Mit dem Großteil der Referenden bin ich einverstanden.
Günther Ratschiller, Plaus: Ich bin zu dieser Volksabstimmung und Möglichkeit zur Mitentscheidung positiv eingestellt. Es ist schade, dass die Informationen seitens der rechtlichen Hand nicht objektiv publik gemacht wurden. Man sollte diesbezüglich rechtzeitig und ausführlich informiert werden, damit jeder genau weiß, um was es geht. Meistens bekam man von einer Seite nur die positiven und von der anderen Seite nur die negativen Aspekte dieser Abstimmung zu hören. Ich finde es auch nicht richtig, dass man in letzter Minute versuchte, bei den Leuten Angst zu verbreiten. Das war irreführend. Vom Grund her ist aber richtig, dass die Leute mitentscheiden und nicht nur in den Gasthäusern herum palavern. Man sollte bei solchen Möglichkeiten unbedingt zur Wahl gehen. Wie sich der Einzelne entscheidet, bleibt jedem Selbst überlassen.
In der Gemeinde Kastelbell-Tschars scheuten sich auffallend viele Bürgerinnen und Bürger vor einer Stellungnahme. Eine Frau meinte: „Die Politik und Politiker sollten sich viel mehr um die Bürger kümmern, dann braucht es solche Abstimmungen nicht“.
Weitere Stimmen: „Ich bin grundsätzlich nicht gegen Volksabstimmungen. Diesmal habe ich aber auch das Gefühl, dass es den einzelnen Promotoren in erster Linie um ihre Gruppierung und nicht so sehr um die Sache geht“.
Ungenannt: „Als Gewerbetreibender kann ich es mir in dieser Krisenzeit aus geschäftlichen Gründen nicht leisten mich zu outen und mit irgendeiner Gruppierung anzuecken“.
Herr G.: „Ich finde diese Volksabstimmung als Pflicht und werde selbstverständlich daran teilnehmen. Zu den negativen Aspekten zählten sicher die fehlende Information, vor allem ältere Mitbürgerinnen und Mitbürger wissen eigentlich gar nichts über den Inhalt und Sinn dieser Referenden.“
Heiner Pohl, Kastelbell: Ich finde diese Volksabstimmung eine gute Initiative, weil sie vor allem die direkte Demokratie anspricht. Das ist für mich ein Grund, dass man daran aktiv teilnimmt. Jeder kann natürlich ankreuzen, was er für richtig hält. Das Wahlrecht ist ein Recht und keine Pflicht, ich hoffe, dass es eine hohe Beteiligung gibt.
Prinzipiell gab es im Vorfeld ein großes Hickhack, was wahrscheinlich auf die Stimmenverluste einer gewissen Partei bei den letzten Wahlen zurückzuführen ist. Diese sieht in dieser Volksabstimmung wahrscheinlich wieder eine Beschneidung ihrer Vormachtstellung. Dieses Hickhack war wahrscheinlich die beste Werbung für die Volksabstimmung, denn immer wenn viel darüber geredet wird, ob positiv oder negativ ist das gut, das Volk wird dann meistens aktiver. Die Informationen waren meiner Meinung nach ausreichend. Was in den letzten Tagen von der Landesregierung und Volkspartei aus an Gegenwind entstanden ist, war allerdings nicht ohne, da haben sie sich aber wohl ein Eigentor gemacht. Auch die Tageszeitung „Dolomiten“ hat nicht unbedingt immer in neutraler Form berichtet.
Wunibald Wallnöfer, Prad: Ich bin stolz darauf, dass die Prader und Vinschger am 25. Oktober so viel demokratische Kultur bewiesen haben. Es freut mich auch, dass viele dem indirekten Aufruf, nicht an den Volksabstimmungen teilzunehmen, nicht Folge geleistet haben. Es ist traurig, dass vor allem hohe SVP-Exponenten die Wähler indirekt eingeladen haben, zu Hause zu bleiben.
Auch Mals liegt weit über dem Landesdurchschnitt
Im politischen Bezirk Vinschgau gibt es nur 2 Gemeinden, in denen am 25. Oktober das Beteiligungsquorum von 40 Prozent nicht erreicht wurde. Es sind dies die Gemeinden Schnals und Martell. Bezüglich der Frage Nr. 4 zum Beispiel (Landesgesetzentwurf zur Direkten Demokratie, eingebracht von der Initiative für mehr Demokratie) lag die Beteiligung in Schnals bei nur 29,5 Prozent, in Martell bei 37,6. In allen anderen Gemeinden wurde das 40-Prozent-Quorum deutlich überschritten, wie übrigens auch in den Gemeinden Naturns (44,6 Prozent), Plaus (56,1) und Partschins (46,6). Hoch war das Quorum auch in vielen Vinschger Großgemeinden wie etwa in Schlanders (49,1) oder Mals (44,8). Zum Erreichen des Quorums beigetragen hat im Obervinschger Hauptort unter anderem auch der SVP-Landtagsabgeordnete Sepp Noggler. Er hatte dem indirekten „Aufruf“ der SVP-Führung, nicht zu den Urnen zu gehen, nicht Folge geleistet.
Taufers liegt
der Schweiz am nächsten
In der Gemeinde Taufers im Münstertal, die bei sämtlichen anderen Wahlen immer wieder wegen einer besonders niedrigen Wahlbeteiligung ins Auge fällt, tickten die Uhren am 25. Oktober völlig anders. Obwohl es in Taufers aufgrund der hohen Anzahl der Auslandswähler mehr Wahlberechtigte als Einwohner gibt, war die Wahlbeteiligung am Sonntag mit 54 Prozent außergewöhnlich hoch. Mit ein Grund dafür liegt sicher in der Nähe zur Schweiz, dem Vorzeigeland Land für direkte Demokratie. Besonders groß war auch die Wahlbeteiligung von Auslandswählern, die nach getätigtem Urnengang Spesenrückerstattungen bekamen. Der aus Taufers stammende Felix Fliri zum Beispiel, der seit fast 30 Jahren in der Nähe von München lebt, war mit seiner Frau Uta und den zwei Töchtern Karin und Meike angereist. Als Rückvergütung gab es 282 Euro pro Kopf, für die Familie Fliri also insgesamt 1.128 Euro. Wer aus anderen Bundesländern in Deutschland anreiste, bekam 450 Euro. Immerhin noch 210 Euro gab es für jene, die aus Müstair in der Schweiz zum Wählen nach Taufers fuhren oder gingen, denn für manche waren es nur wenige hundert Meter.