„Ich nehme das Leben, wie es kommt“
Das Schicksal des Elvis Thanei
Elvis Thanei blickt zurück und nach vorne.
Im Einsatz für die Gemeinde.
Elvis liest gerne.

Die Zeit danach 

Ein schwerer Unfall veränderte das Leben des Matschers Elvis Thanei. 

Publiziert in 20 / 2018 - Erschienen am 29. Mai 2018

Matsch - „Früher konnte ich noch Freundschaften pflegen, das Leben genießen und man war in die Gesellschaft involviert. Heute bekomme ich nur mehr selten Einladungen oder Telefonate. Nur von einzelnen, die mich noch nicht ganz vergessen haben, die mich so nehmen wie ich bin, höre ich noch ab und zu. Mir wäre nie der Gedanke gekommen, dass mir im Leben so etwas passieren würde, und plötzlich hat das Schicksal zugeschlagen. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als meinen Schicksalsschlag zu akzeptieren und zu verarbeiten. Das kann und wird nie jemand verstehen, der nicht selbst davon betroffen ist“. Auszüge aus einem Leserbrief, welchen Elvis Thanei kürzlich dem der Vinschger zugesandt hat. Der Matscher Thanei, Jahrgang 1985, lacht, scherzt und ist gut drauf, als er zum vereinbarten Treffen in der Schreibstube Mals erscheint. „Eine Schicksalsgeschichte über mich? Schau halt, dass es etwas Ordentliches wird. Was habe ich schon zu erzählen?“, fragt er. Zu erzählen hat Elvis Thanei eine ganze Menge. Rückblick, 01. September, 2001: Ein regnerischer Samstag im Vinschger Oberland. Zwei Tage vorher hatte Elvis Geburtstag. An jenem Samstag wollte er gemeinsam mit einem damaligen Freund feiern. Es war jener Samstag, der sein Leben für immer veränderte. An das Fest in Prad erinnert er sich noch. Auch daran, dass der Regen immer stärker einsetzte. In Mals schauten die beiden Jugendlichen noch beim Bärenwirt vorbei. Dann machten sich die Beiden mit ihrer Ape auf den Heimweg. In Tartsch kam es um 2.30 Uhr zum verhängnisvollen Unfall. Das Dreirad krachte mit voller Wucht mit einem Auto zusammen. Sowohl der Begleiter von Elvis, als auch der Autofahrer, ein Mann aus Schleis, blieben glücklicherweise so gut wie unverletzt. Elvis jedoch traf das Schicksal dafür umso härter. Er selbst erinnert sich nicht mehr an diese Zeit. „Ich habe in Richtung Schluderns geschaut und den Pkw gesehen. Ich sagte, jetzt knallt’s. Danach wurde mir schwarz vor Augen“, blickt Elvis zurück. 

„Ich war wie ein Baby“ 

Noch vor Ort musste er von den Rettungskräften intubiert werden. Der 16-Jährige schwebte in höchster Lebensgefahr. Sofort wurde der Schwerverletzte ins Schlanderser Krankenhaus gebracht. Dann weiter nach Meran, anschließend wurde er mit dem Rettungshubschrauber nach Bozen verlegt. Dort wurde er mehrere Stunden lang am Gehirn operiert. Aufgrund des schweren Schädel-Hirn-Traumas musste ihm unter anderem auch die Schädeldecke aufgeschnitten werden. „Sonst wäre mir das Hirn weggeplatzt“, erzählt der heute 32-Jährige und ringt um Worte. Manchmal tut er sich noch mit dem Sprechen etwas schwer, bestimmte Begriffe fallen ihm nicht sofort ein. Kein Wunder, schließlich musste er nach den schweren Kopfverletzungen alles neu erlernen. Sprache, oder gar Bewegungen, waren ihm unbekannt. „Ich war wie ein Baby. Ich konnte weder sprechen noch essen. Auch das Gehen musste ich neu lernen“, sagt er. Zwei Wochen lang lag er auf der Intensivstation im Koma. Später wurde er daheim gepflegt. Seine Eltern und seine Schwester waren für ihn ein großer Rückhalt.

Die Nahtoderfahrung 

Seit dem Unfall ist er auch sehr religiös. „Ich bete viel. Sehr viel“, betont Elvis. Denn, schließlich sei er schon „da oben“ gewesen. „Ich wurde gefragt, ob ich beten könne. Ich sagte Nein. Ich wurde wieder zurückgeschickt, denn ich hätte hier noch Aufgaben zu erfüllen“, beschreibt er seine Nahtoderfahrung. Aufgaben hat Elvis hier und heute im Diesseits jede Menge zu erfüllen. Der Matscher arbeitet bei der Gemeinde Mals – seit 2003 in Folge eines Wiedereingliederungsprojektes. Er entleert die Mülltonnen, kehrt und erledigt allerlei andere kleinere Arbeiten. Möglich sind aufgrund seiner teils schweren Beeinträchtigungen jedoch lediglich vier Stunden Arbeit am Tag. Dabei würde er auch gerne mehr arbeiten, aber zu groß sind die Beeinträchtigungen. Seine Lehre als Maschinenschlosser, die er vor dem Unfall in Angriff nahm, musste er abbrechen.

Viele Einschränkungen 

„Manche Menschen, die mich nicht wirklich kenne, glauben ich bin faul. Das tut schon weh. Ich bin leider so. Ich habe es mir nicht ausgesucht“, hadert Elvis. Aufgrund des Unfalls habe er diverse bleibende Schäden davongetragen. Alkohol dürfe er sowieso keinen mehr trinken, wegen der Medikamente. „Aber das vermisse ich nicht“, lacht der 32-Jährige. Auch, dass er niemals den Führerschein machen könne, sei für ihn kein allzu großes Problem. „Mehr schmerzt es da schon, dass ich nie die Jagdprüfung machen kann. Ich würde das aber so gerne“, erzählt er. Auch eine eigene Familie werde er wohl nie selbst gründen können. Eine Beziehung zu einer netten Frau kennt er nicht. „Der Unfall ist fast 17 Jahre her. Mittlerweile habe ich mich damit abgefunden. Aber, ganz damit abfinden, kann man sich halt nie damit“, so Elvis. Am meisten tue es ihm jedoch weh, dass er kaum soziale Kontakte habe. Lediglich zwei Freunde von früher seien noch da. „Die gratulieren mir zum Geburtstag“, freut er sich. Ansonsten sei er oft einsam. Er liest viel, ein Buch über verschiedene Tierarten habe er derzeit in Arbeit. Auch das Kartenspielen sei für ihn eine Leidenschaft. Oft komme ihm ein Freund besuchen, um mit ihm Karten zu spielen. „Perloggn, Sockn, Watten oder alle anderen Spiele – das kann ich noch“, lacht Elvis. Auch Wandern, mit seiner Mutter oder seinem Vater, gehe er ab und an gerne. „Aber nicht zu viel, das geht sich leider aufgrund meiner Beeinträchtigungen nicht aus“, seufzt er. Am wohlsten fühle er sich aber ohnehin daheim. Nach wie vor hat er sein eigenes Zimmer im elterlichen Haus. Gut fühle er sich aber auch in Mals, dort arbeitet er gerne. Auch in der Schreibstube, gleich neben der Gemeinde, fühlt er sich sichtlich wohl. Von der Inhaberin der Schreibstube, Elfriede Marx, fühlt er sich verstanden. „Er kommt oft hierher, grüßt freundlich und erzählt auch manchmal aus seinem Leben“, bestätigt diese. Urlaubsziele kennt er derzeit mehr nur aus Erzählungen. „Verreisen? Nein, das geht nicht. Höchstens nach Bozen ins Krankenhaus. Wie vor einem Jahr, als ich eine weitere Operation hatte“, so Elvis. Alleine an einem fremden Ort könne er nicht sein. „Wenn ich mich irgendwo nicht auskenne und keine Begleitperson dabei ist, dann bin ich total unbeholfen. Und ich kann doch nicht immer mit meinen Eltern überall hin. Deshalb bleibe ich dort, wo ich mich auskenne“, betont er. 

Stolzer Onkel 

Schöne Momente gebe es dennoch ausreichend in seinem Leben. Da sind zum Beispiel seine zwei Neffen. Seit vielen Jahren ist Elvis stolzer Onkel. Mit den zwei Burschen im Alter von sechs und neun Jahren spiele er gerne Fußball. Ob ihn Fußball angesichts der bevorstehenden Weltmeisterschaft generell interessiere? „Ja, WM und EM schon. Da bin ich ein Azzurro. Aber heuer kann man ja denen nicht gut die Daumen drücke. Mal schauen ob’s die andern auch können“, lacht Elvis. An das Leben vor dem Unfall erinnert er sich nur zum Teil. Kindheitserinnerungen, glückliche Zeiten, das Spielen daheim in Matsch und vieles mehr: In seinem Kopf gibt es noch das Buch der Erinnerungen, wenn auch mit riesigen Lücken. „Außer meiner Kindheit, hatte ich ja nichts vom Leben. Bevor meine schöne Lebenszeit begann, war sie eigentlich schon wieder vorbei“, sagt der 32-Jährige. Ob er glücklich sei? „Nein, das bin ich nicht. Aber ich bin auch nicht unglücklich. Ich nehme das Leben, wie es kommt“. 

Michael Andres
Michael Andres
Vinschger Sonderausgabe

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