Vinschger Oberland: Aufbruch zu neuen Ufern
Nach 200 Kilometern: rechts vorne in pinkfarbener Mütze Jopie van Wegen, Siegerin der Frauen (Aufn. Martine Haeck, Weesp/Latsch)

Ein Schweizer war der schnellste „Schaatser“ auf dem Reschensee

Publiziert in 7 / 2011 - Erschienen am 23. Februar 2011
Reschen - Yda Matthyssen aus Wassenaar in Südholland marschierte mit ihrem ­Labradormischling gedankenverloren über den zugefrorenen Stausee. Ihr Mann hatte eben seine 7. „Elfstedentocht“, Elfstädtetour, darunter eine echte in Westfriesland, abbrechen müssen. Nur 75 von den 200 vorgesehenen Kilometern hat sein Knie durchgehalten. Das bedeutet, dass sie schon früher aus „dieser herrlichen Gegend“ abreisen müssen. Dass die Gegend herrlich ist, fand auch Mirjam van der Zande aus Weesp in Nordholland. Sie war das erste Mal im Vinschgau „und wir kommen wieder“, fügte sie hinzu. Es sei hier viel Weite, viel Platz. Sie wartete mit dem Stärkungstrank für ihren Mann in Piz am Reschenee, wo die 1. „Alternatieven Elfstedentocht“ gestartet war. Es war 11.00 Uhr, vier Stunden seit dem Start um 7.00 Uhr, und die besten Läufer hatten die 8. Runde vollendet, die Hälfte der 16 Runden über jeweils 12,5 km. Auch ihr hartnäckigster Gegner, der Nord-Föhn, konnte den fast präzisen 30-Minuten-Rhythmus nicht behindern. Der niederländische Rummel in ­Reschen war auch Piet Ketelaar in Pfunds, jenseits des Reschenpasses, zu Ohren gekommen. Der Nordholländer aus Ankeveen­ ist seit 25 Jahren ein Kenner der Gegend, der alle Pässe mit dem Rad befahren hat und auf Skiern schon in Serfaus, Samnaun und Ischgl unterwegs war. An diesem Dienstag saß er am Ufer des Reschensees, staunte über die Betriebsamkeit auf dem Eis und packte gemächlich seine Schlittschuhe aus den bunten Stoffschützern.­ Er durfte sich wie zu Hause fühlen. Um ihn herum wurde nur „Nederlands gesproken“. Inzwischen war der führende Bruno Plantinga vorbei gezischt, wenige Minuten dahinter eine Verfolger-Gruppe mit der bestplatzierten Frau. ­Robert van Wegen, ihr Mann, hatte Müsli Riegel und Banane weggepackt und hegte berechtigte Hoffnung, dass seine Frau, Jahrgang 1961, als erste den ersten 200-km-Lauf in Südtirol abschließen wird. Stunden später wird eine triumphierende Jopie van Wegen aus Emmees, Provinz Utrecht, berichten, dass es die 12. Runde war, in der sie kurz ihre größte ­Krise hatte, und dass sie sich jedes Mal gefreut habe, mit Rückenwind nach Süden zu laufen und die Kette der weißen Berge am Horizont bestaunen zu können. „Ich habe den See und das Eis um die Jahreszeit noch nie so gesehen“, meinte Helmut Schöpf, der „schliefernd“ den See überquerte. „So etwas ist Glück.“ Damit meinte er das harte, schwarze Eis zum „Schaatsen“, zum Eislaufen, wovon jeder Niederländer träumt. Um den weniger Trainierten ent­gegen zu kommen und ihnen zwei windgeschützte Rastplätze zu bieten, hatten Bart Spijkers und Theo Bijl vom Logistik-Team auf dem „gegenwindigen Abschnitt“ jeweils vier Schalbretter im rechten Winkel verankert und mit Sitz-Bank möbliert. Entlang der gesamten Strecke waren ­Tafeln mit Distanzangaben und Telefonnummern angebracht. In Notlage hätte jeder Läufer über das Handy die genaue Posi­tion angeben können. Die „EHBO“ (Eerste Hulp By Ongelukken), die „Erste Hilfe bei Unglücken“ der Organisatoren, das Weiße Kreuz Oberland, der Bergrettungsdienst Reschen, mehrere Ärzte, aber auch „Eismeister“ Elmar Habicher standen auf Abruf bereit. 113 Läufer starteten am Dienstag, 8. Februar zum ersten der beiden „Elfstedentocht-Ausgaben 2011“ für Amateure in Reschen. Davon schafften 50 die 200 Kilometer; der 50. stand dafür 10 Stunden und 42 Minuten auf dem Eis. Beim 2. Durchgang am Freitag, 11. Februar, starteten 155 Konkurrenten, 62 schafften die 200 Kilometer. Nach 6 Stunden und 44 ­Minuten war aber etwas geschehen, was einige Oranier erst nach und nach verdauen mussten. Mit Martin Hänggi stahl ein „Exote“ aus dem schweizerischen Davos den Niederländern die Show. Der Sieger des 1. Laufes, Bruno Plantinga, Jahrgang 1947, erreichte viel bejubelt als Dritter das Ziel in Piz. Die unverwüstliche Jopie van Wegen bewältigte als Siebte und wiederum beste Frau ebenfalls mit einer persönlichen Bestzeit die 16 Runden. (s) Der entfesselte Pensionist Reschen - Bruno Plantinga aus Avenhorn in der Provinz Nordholland hat in 7 Stunden, 48 Minuten und 26 Sekunden den ersten Südtiroler „Elfstedentocht-Durchgang“ über 200 Kilometer bewältigt und seine Zeit beim 2. Lauf, zwei Tage danach, als Dritter noch einmal um 48 Minuten verbessert. Das Besondere waren weniger seine Platzierung, sondern vor allem die phänomenale Erholungsfähigkeit. Das ganze Jahr über widmet sich der 64-Jährige (!) rund 50 Stunden pro Woche dem Ausdauertraining. Im Sommer fährt er viel Rad, im Winter muss er sich meist in Eishallen aufhalten, weil das mit dem Natureis in den holländischen Wintern nicht immer so klappt. Mit einem Ruhe-Puls von 50 Schlägen ist er natürlich sehr belastbar. Bei größter Anstrengung kommt sein Herz auf gerade mal 160 Schläge pro Minute. Das Herz eines normalen Menschen mit Ruhepuls von 75 kann bei ­Belastung weit mehr als 200 Mal pro ­Minute schlagen.
Günther Schöpf
Günther Schöpf
Vinschger Sonderausgabe

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