Leben in fremder Heimat

"Es gibt überall solche Leute und solche Leute"

Publiziert in 12 / 2005 - Erschienen am 23. Juni 2005
Die Gemeinde Latsch zählt zu jenen Gemeinden Südtirols, in denen im Verhältnis zur Einwohnerzahl relativ viele Ausländer leben. Der Hauptgrund dafür dürfte darin liegen, dass die örtlichen Betriebe Arbeitskräfte brauchen. Nicht selten wird fremdstämmigen Mitbürgern gegenüber aber auch Misstrauen entgegengebracht. Gemäß den offiziellen Daten wurden in der Gemeinde Latsch zum Stichtag 31. Dezember des Vorjahres 294 ansässige Ausländer verzeichnet, wobei es sich bei 83 davon um EU-Bürger handelt. In Wirklichkeit dürfte die Zahl der Ausländer aber merklich höher sein. Die gesamte Einwohnerzahl belief sich zum genannten Stichtag auf 5006. Im Jahr 2004 gab es gemäß den Daten des Landesinstituts für Statisik 148 Zu- und 105 Abwanderungen, wobei allerdings auch die Zu- und Abwanderungen der einheimischen Bevölkerung berücksichtigt sind. Dass die Ausländer auch ein Thema beim jüngsten Gemeinderatswahlkampf waren, ist eine Tatsache. Die Bürgerliste hatte sich dieses Thema mehr oder weniger offen auf die Fahne geschrieben. Im Gegensatz zu Aussagen, wie sie nicht selten zu hören sind, leben die Ausländer in der Gemeinde Latsch fast gänzlich in Privatwohnungen. Von den insgesamt 39 Sozialwohnungen, die es in der Gemeinde gibt, sind nur zwei von Ausländern bewohnt. Hoch ist hingegen die Zahl der Ansuchen um Mietenzuschüsse im privaten Wohnbereich. Nicht zu leugnen ist auch, dass Mietwohnungen zu Beginn oft nur von einer oder zwei Personen bezogen werden, dann aber immer mehr Personen dazu kommen. „Der Vinschger“ hat versucht, sich in der Schule, im Kindergarten und bei den Einheimischen umzuhören und auch Ausländer selbst zu Wort kommen zu lassen. Aus der Sicht der Schule und der Kindergärten Abgesehen von einigen Schwierigkeiten im sprachlichen Bereich gibt es im Schulsprengel Latsch laut dem Direktor Werner Altstätter keine Probleme mit Schulkindern aus dem Ausland. Von den insgesamt etwas mehr als 600 Grund- und Mittelschülern des Schulsprengels stammten im abgelaufenen Schuljahr 23 Grund- und acht Mittelschüler aus dem Ausland. Die meisten von ihnen kommen aus dem ehemaligen Jugoslawien (Kroatien, Serbien, Bosnien usw.) bzw. aus Albanien. „Sozial auffällig sind diese Kinder überhaupt nicht“, bestätigt Werner Altstätter. Einige Schwierigkeiten gebe es immer wieder im sprachlichen Bereich, speziell bei Neuankömmlingen. Das Schulamt sehe für solche Fälle eigene Lehrerstunden vor, damit die Kinder die für ihnen neue Sprache möglichst rasch lernen. Während des Religionsunterrichtes wird den Kindern - oft in Zusammenarbeit mit den Integrationslehrern - ein alternativer Unterricht angeboten, wobei ebenfalls dem Erlernen der Sprache großer Wert beigemessen wird. Den Eltern der Kinder, die aus dem Ausland stammen, bescheinigt der Schulsprengeldirektor, in der Regel sehr am schulischen Weiterkommen der Kinder interessiert zu sein. Wünschenswert wäre das Schweizer Modell, das eigene Sprachkurse für Ausländer-Kinder als Wahlfach vorsieht. Ausgrenzungen oder Anfeindungen seitens der einheimischen Kinder gibt es laut Altstätter nicht: „Im Gegenteil, die einheimischen Kinder sind offen und suchen den Kontakt; es besteht mitunter die Gefahr, dass sich die Kinder aus dem Ausland eher selbst absondern“. Im Schuljahr 2005/2006 kommen im Schulsprengel Latsch unter anderem drei Kinder aus dem mittleren Osten neu hinzu. Völlig unabhängig vom Schulbetrieb findet in Latsch übrigens an Samstagen für je zwei Stunden ein Albanisch-Unterricht statt, an dem Kinder aus dem ganzen Tal teilnehmen. „Wir als Schule stellen hierfür lediglich den Raum zur Verfügung“, sagt Altstätter. Der Unterricht gehe sehr diszipliniert und problemlos vonstatten. Auch in den vier Kindergärten der Gemeinde Latsch ist ein leichter Anstieg von Kindern aus dem Ausland zu verzeichnen. Im Kindergarten des Hauptortes etwa gibt es für das Jahr 2005/2006 13 Neueinschreibungen. Im soeben zu Ende gegangenen Kindergartenjahr lag die Zahl noch unter zehn. Im Kindergarten Goldrain wird es im neuen Kindergartenjahr zwei ausländische Kinder geben, in Morter eines. (sepp) Umfrage „Uns geht es hier eigentlich recht gut” Perveiz Azhar (39) stammt aus Pakistan und lebt seit 1991 in Südtirol. Er hat in mehreren Orten gearbeitet, etwa in Dorf Tirol, bis er im Jahre 1999 nach Laas gekommen ist und dort sechs Jahre im Gasthaus „Sonneck“ tätig war. Nun hat er gemeinsam mit Javed Mohammad (37), ebenfalls aus Pakistan, das Lokal „Edelweiß“ in Goldrain übernommen. Azhar ist verheiratet und lebt mit seiner Frau und drei Kindern hier. „Wegen der Arbeit bin ich von Pakistan weggezogen, ich wollte mich selbständig machen, das ist bei uns nicht möglich“, erzählt er in einem guten Deutsch. Er spricht auch ein wenig Italienisch. „Wir haben nicht so viele Schwierigkeiten hier, es ist ein Vorteil, wenn man die Sprache kann“, sagt Azhar. Auch seine Kinder fühlen sich in der Schule bzw. Kindergarten wohl. Azhar hat auch einmal im Kindergarten pakistanisches Essen zubereitet. Dies sei gut angekommen. Was ihn zur Zeit traurig stimmt ist die Baustelle genau vor seinem Gasthaus. Ende Mai hätte die Straße wieder instand gesetzt werden müssen, dabei sei schon Mitte Juni. „Ich habe im Mai und im Juni so gut wie nichts verdient“, sagt er dem „Der Vinschger“. Wenn er gewusst hätte, dass gebaut würde, hätte er in dieser Zeit Urlaub genommen. Mohammad lebt seit 15 Jahren in Südtirol, auch er ist verheiratet und hat drei Kinder, seit einem halben Jahr ist er nun im Vinschgau. Eine junge Familie aus Albanien wohnt in Latsch: Nebi Qoku (33) mit seiner Frau Elona (22) und Emiliano (zwei Jahre). „Wir sind nach Südtirol und in den Vinschgau gekommen, um Arbeit zu finden“, erzählt Nebi. Fast alle seiner Familienmitglieder seien nach Italien ausgewandert. Nebi habe jahrelang bei der Firma Saniflex in Prad gearbeitet. Zuletzt war er bei einer Firma in Naturns angestellt. „Uns geht es hier eigentlich recht gut und wir sind integriert“, sagen Nebi und Elona. Sie sprechen vorwiegend Italienisch, Nebi auch etwas Deutsch. Nicht unweit von ihnen wohnt die Familie Heco-Pasalic` aus Sarajewo (dem ehemaligen Bosnien). Armina ist 25 Jahre alt und ist 1992 als Flüchtling in die ehemalige Militärkaserne nach Mals gekommen. 1996 sei sie wieder nach Sarajewo zurückgekehrt. „1998 bin ich wieder in den Vinschgau zurück, da ich in Sarajewo meine Ausbildung nicht beenden konnte und keine Arbeit fand“. Sie arbeitete als Kellnerin in Sulden, ist seit dem vergangenen ersten Juni Mutter von Edi geworden. Sie spricht Deutsch und Italienisch. Ihr Mann Jasmin (27) arbeitet hingegen in Schenna. Zu Besuch bei Armina war das Ehepaar Khariman mit ihrem jüngsten Sohn Nermin (zehn Jahre alt). Mirsada Khariman (45) kam auch damals als Flüchtling nach Mals, als der Krieg in Bosnien ausgebrochen war. Ihr Mann kam zwei Jahre später nach, er war im Krieg verletzt worden. „Wir sind hier geblieben“, erzählt Mirsada. Sie habe nie Deutsch gelernt, sie spreche nur Italienisch. Ihre zwei große Buben, Hakja (27) und Haris (25) haben ihre eigenen Familien. Hakjas Frau und Kinder leben hier, er arbeitet in der Nähe von Pordenone. Er habe nur dort eine Anstellung gefunden, sagt seine Mutter. „Ich arbeite auch, in der HOPPE in Schluderns“, ihr Mann Suleiman (53) leidet an einer Krankheit und ist deswegen zu Hause. Nermin ist hier geboren und spricht auch Deutsch und Italienisch. „Ich würde gerne wieder nach Sarajewo zurückgehen, aber Nermin will hier bleiben, so habe ich als Mutter keine andere Wahl“, erzählt Mirsada. Sie hätten sich gut integriert, ab und zu haben sie Schwierigkeiten, beim Wohnungssuchen etwa. „Die Mieten sind sehr hoch, das ist nicht leicht für uns“. Zwei Jugendliche aus dem Kosovo (18 und 20 Jahre alt) sagten dem „Der Vinschger“, dass es schade sei, dass sie nicht mehr auf dem Latscher Sportplatz trainieren dürften. Im vergangenen Jahr habe ein Ausländer einen Einheimischen angegriffen und verletzt, so sei das Spielverbot auf dem Platz auf alle Ausländer ausgedehnt worden. „Schade, da wir nicht alle gleich sind“, sagten die beiden, die nicht genannt werden wollten. Alle befragten Ausländer sind Moslems. „Der Vinschger“ hat auch folgende Stellungnahmen bei Einheimischen eingeholt: Wolfgang Mair (43), Bodenleger aus Latsch und Ingeborg Nollet (40), Physiotherapeutin und Pflegedienstleiterin in Meran, sagten sinngemäß, dass sie nichts gegen Ausländer hätten. „Es gibt überall auf der Welt solche und solche Leute, auch bei uns. Wenn die Ausländer einer geregelten Arbeit nachgehen, ist das gut so“. Aufpassen müsste man, dass die Einheimischen gar nicht mehr bestimmte Arbeiten übernehmen wollen, wie etwa im Gastgewerbe, sagte Nollet. Zum Teil sei es ja schon so. Wichtig sei aber, dass für die Einheimischen genug Arbeit vorhanden sei. Albert Moser, Verwaltungsleiter Firma Pedross Sockelleisten AG (Latsch) sagte, dass acht Personen aus dem ehemaligen Jugoslawien bei der Firma angestellt seien, es handle sich dabei um vier Ehepaare. „Wir haben keine größeren Spannungen“, erklärt er. Bewusst würde die Firma Pedross nicht zu viele Ausländer anstellen, damit keine größeren Konflikte herbeigeführt würden. Ein Problem stelle die Sprache etwa dar, weil sie alle vorwiegend nur Italienisch sprechen. Die Arbeiter werden bei Maschinen eingelernt, das funktioniere gut. „Interessant ist es, wie schnell diese Mitarbeiter über ihre Rechte Bescheid wüssten, schneller als die Einheimischen“, sagt Moser erstaunt.
Daniela di Pilla
Daniela di Pilla
Vinschger Sonderausgabe

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