Äpfel pflücken im Scheinwerferlicht
Markus Telser geht neue Wege
Von 19.30 Uhr bis gegen 3 Uhr dauert die Nachschicht, zu der sich fast ausschließlich Frauen freiwillig gemeldet haben.
Im Bild (v.l.): Der Vorarbeiter Giorgio Rad, seine Frau Ana mit Töchterchen Sara und der Apfelbauer Markus Telser.
Die Schweinwerfer spenden ausreichend Licht und etwas Wärme.

Feierabend um 3 Uhr in der Früh

Ein Teil der Erntehelfer/innen arbeitet in der Nacht. „Sie machen es freiwillig und nicht ungern.“ Stattlicher Nachtzuschlag. Keine Klauberboxen und Leitern.

Publiziert in 35 / 2019 - Erschienen am 15. Oktober 2019

Eyrs - Nach einer ersten Testphase im Vorjahr ist es bei der heurigen Apfelernte schon fast normal: Seit Anfang Oktober arbeitet ein Teil des Erntehelfer-Teams von Markus Telser in Eyrs während der Nachtstunden im Scheinwerferlicht. „Jetzt spinnen sie total. Sogar in der Nacht schicken sie die Klauber in die Wiesen.“ Solche Stammtisch-Aussagen sind dem Apfelbauer, der den Marottenhof in Eyrs bewirtschaftet, nicht unbekannt. Und es ist ihm auch deshalb daran gelegen, bestimmte Vorurteile auszuräumen und zu entkräften. Auf die Frage, wie man dazu kommt, eine Nachschicht einzuführen und warum das überhaupt notwendig ist, sagte Markus Telser, dass das in erster Linie mit dem Einhalten des sogenannten Erntefensters zu tun hat. Das Erntefester ist der zeitliche Rahmen, innerhalb dem die Äpfel zu den jeweiligen Genossenschaften zu bringen sind. „Und wenn sich dann zeigt, dass die Erntemengen die Erwartungen übertreffen, kann es zu Engpässen kommen. Besonders dann, wenn beträchtliche Flächen abzuernten sind, wie das bei mir der Fall ist“, sagte der junge Bauer am 11. Oktober dem der Vinschger. Heuer sei es so, „dass die Golden bis Mitte Oktober zu liefern sind und wir im Einzugsgebiet der OVEG eine nicht unerhebliche Mengensteigerung haben.“ Für die OVEG insgesamt, die erst kürzlich ein neues Hochregallager errichtet hat, bedeute das laut Markus Telser, der seines Zeichens auch Vorstandsmitglied der OVEG ist, einen Mengenzuwachs in Richtung 5.000 Waggon. Um die Äpfel zeitgerecht von den Bäumen holen zu können, habe er sich dafür entschieden, die Nachtschicht einzuführen. Kommt es aber nicht auf dasselbe hinaus, wenn man alle Erntehelfer untertags beschäftigt? Markus Telser: „Das mag zwar auf den ersten Blick so anmuten, aber in Wirklichkeit ist das Ganze dann doch etwas komplexer und hat auch mit betriebswirtschaftlichen Faktoren zu tun.“ Insgesamt beschäftigt Telser während der Erntezeit über 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Würden alle untertags arbeiten, müsste er zusätzlich zu den bestehenden 3 Hebebühnen (Erntemaschinen) weitere Hebebühnen anschaffen. „Und wenn man bedenkt, dass eine Hebebühne rund 50.000 Euro kostet, muss man sich überlegen, ob das sinnvoll ist oder ob es Alternativen gibt.“ Zumal aufgrund der unerwartet großen Apfelmenge kurzfristig keine Hebebühne zum Ausleihen zur Verfügung stand, hat er für seinen Teil in der Einführung der Nachtschicht eine Lösung gefunden. Dadurch sind zwei der Erntemaschinen fast rund um die Uhr im Einsatz. Ein weiterer Vorteil ergibt sich aufgrund des Einsatzes der Erntemaschinen und des Verzichtes auf Klauberboxen und Leitern auch im Zusammenhang mit dem Einhalten des Erntefensters: „Die reifen Äpfel auf den Gipfeln können zuerst geerntet werden, während die Äpfel im unteren Baumbereich, die beim Klauben der Gipfel unbeschädigt bleiben, noch Zeit zum Reifen haben.“ Während der Erntezeit herrscht am Marottenhof nahezu ein 24-Stunden-Betrieb: die einen kehren von den Wiesen zurück, die anderen rücken aus, für wieder andere ist Essenszeit und Ruhepause. Telser: „Es ist schon rein organisatorisch und logistisch gesehen kein leichtes Unterfangen, einen über 50-Personen-Betrieb halbwegs gut zu führen.“ Die Bürokratie, die Verwaltung und weitere Aufgaben, bei denen auch Telsers Frau mit anpackt, kommen noch dazu. Der Großteil des Mitarbeiterstabs stammt aus Rumänien. Rund zwei Drittel davon sind Frauen. Großen Wert legt Markus Telser darauf, „den Menschen Respekt, Anerkennung und Wertschätzung entgegenzubringen.“ Daher sei es beileibe nicht so, dass jene, die während der Nacht arbeiten, dazu gezwungen werden: „Wir haben vorab gemeinsam mit dem gesamten Team über das System der Nachtschicht gesprochen. Alle, die über Nacht arbeiten, machen es freiwillig.“ Dies bestätigte auch der Vorarbeiter Giorgio Rad aus Rumänien, der seit 7 Jahren als einer von drei Vollzeitbeschäftigten bei Markus Telser arbeitet. Giorgios Frau Ana ist als Köchin beschäftigt. Ihr Töchterchen Sara ist hier geboren und besucht heuer das erste Mal den Kindergarten. Zur Nacharbeit haben sich 12 Personen gemeldet, und zwar fast ausschließlich Frauen. Viele davon leisten auch in ihren Heimatorten in Rumänien Nachtarbeit in den Fabriken, sodass dies für sie keine Neuigkeit ist. „Auch hier bei uns gibt es Leute, die nachts arbeiten. Wenn wir jeden Tag in der Früh unser Brot holen, denken wir meistens nicht daran, dass es jemand über Nacht gebacken hat,“ so Telser. In der Praxis sieht es so aus, dass die Nachtarbeiter/innen gegen 18.30 Uhr zu ihrer Schicht aufbrechen. Die anderen Erntehelfer kehren zu dieser Zeit von der Arbeit zurück. In zwei Gruppen zu je 6 Personen holen sie dann bis gegen 3 Uhr die Äpfel von den Gipfeln. Der untere Bereich der Bäume ist in der Regel vorab bereits vom „Tagespersonal“ abgeerntet worden, und zwar mit Hilfe eines „Zugele“-Systems. Das bedeutet, dass die Äpfel direkt in die Großkisten gepflückt werden, die in Reih und Glied an einem Traktor angehängt sind. Zwischen den Kisten befinden sich Eimer für das Fallobst. „Klauberboxen und Leitern gibt es bei uns keine“, sagt Markus Telser. Dass dadurch der Rücken verschont bleibt, liegt auf der Hand. Und auch die Qualität stimmt. Während der Nachtstunden werden mehrere kurze Pausen eingelegt. Kurz vor Mitternacht kommt der Bauer dann regelmäßig mit Kaffee, Tee und Kuchen, zubereitet von seiner Frau, vorbei: „Nicht um zu kontrollieren, sondern als Zeichen der Wertschätzung.“ Die Scheinwerfer werden von Aggregaten gespeist, die in den Erntemaschinen eingebaut sind. Sie spenden ausreichend Licht und auch etwas Wärme. „Zu Druckstellen oder anderen Schäden beim Pflücken kommt es nicht“, bestätigt Markus Telser. Wenn der Nacht-Turnus gegen 3 Uhr endet, gibt es noch eine warme Mahlzeit und dann geht es ab in die Kajüte. Wenn während der Nacht das Wetter nicht passt, steht es den Helferinnen und Helfern frei, die Wiese jederzeit zu verlassen. Die Nachtarbeit ist laut Telser gesetzeskonform und entspricht allen Vorgaben, auch jener, dass es einen Nachzuschlag von 40 Prozent gibt. Und wie kommt man mit der Kälte zurecht? Telser: „In der Regel ist es während der Nacht weniger kalt als früh am Morgen, wenn die Tagesarbeiter ausrücken.“ Zu den Mahlzeiten, die übrigens von zwei Frauen aus Rumänien zubereitet werden, treffen sich die Erntehelferinnen und Erntehelfer in einer Mensa. Es handelt sich um den umfunktionierten, gewärmten und gut eingerichteten ehemaligen Stall, wo bis vor 10 Jahren noch Kühe gehalten wurden. Von der Güte der Speisen, wie sie in Rumänien zubereitet werden, hat sich mittlerweile auch Markus Telser anstecken lassen. Er setzt sich oft mit seinen Mitarbeitern an den Tisch. Dass sich diese durchaus wohlfühlen, bestätigt nicht nur Giorgio, sondern auch die Tatsache, dass der Großteil schon seit Jahren immer wieder kommt, und zwar nicht nur zum Pflücken, sondern auch zum „Zupfen“. Giorgio fühlt sich schon fast als Eyrser: „Ich kenne die Leute und die Leute kennen mich.“ Der menschliche Aspekt ist für Markus Telser besonders wichtig. Das ist auch der Grund, warum es z.B. regelmäßig zum Abschluss der Ernte ein gemeinsames „Festl“ gibt. Ein bestimmtes Interesse an der „Methode“ der Nacharbeit scheint es zu geben. So kam es u.a. bereits vor, dass sich Obstbauern - und zwar nicht unbedingt „kleine“ - über Nacht dem „Ort des Geschehens“ genähert haben. 

Josef Laner
Josef Laner

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