Flucht nach Schlanders
Lange hat es sich angebahnt, nun ist es soweit. Die Flüchtlinge in Schlanders sind Fakt.
Schlanders - Mals hat sie bereits seit Jahren. Genau genommen seit September 2015. Nun, keine zwei Jahre später, beziehen die Flüchtlinge auch im „Vinschger Hauptort“ Schlanders Quartier. 32 Flüchtlinge kommen in diesen Tagen im ehemaligen Sitz des Weißen Kreuzes, unmittelbar neben dem Schlanderser Krankenhaus, unter. Die Hälfte davon sind Familien. Dies ist, im Gegensatz zu Mals, wo ausschließlich Einzelpersonen im Martinsheim untergebracht sind, neu. „In Schlanders versuchen wir es mit einer Mischung. Die Struktur ist dafür geeignet. In einem Teil der Einrichtung werden alleinstehende Männer untergebracht. Der andere Teil wird mit Familien gefüllt“, erklärt Luca Critelli, Direktor der Landesabteilung für Soziales. Gemeinsam mit Landesrätin Martha Stocker war er kürzlich nach Schlanders gekommen. Und zwar, um die Bürger im Rahmen einer Bürgerversammlung zu informieren und ihnen Sorgen und Ängste zu nehmen. Dass es Unsicherheiten in Bezug auf die Flüchtlingsaufnahme durchaus gibt, hatte sich bereits zu Beginn der Veranstaltung gezeigt, denn, so mancher „Gegner“ soll der Bürgerversammlung fern geblieben sein. „Das ist jedoch auch nicht der Sinn“, waren sich mehrere Besucher einig.
„Es ist ein aktuelles und brennendes Thema, durch Information und Kommunikation soll es gelingen, Vorurteile abzubauen“, hatte auch der Bürgermeister Dieter Pinggera im dennoch gut besetzten Schlanderser Kulturhaus betont und gleich einen Blick nach Mals geworfen. „Mals ist ein Paradebeispiel wie es funktionieren kann“, war Pinggera voll des Lobes. Auch deshalb wurden gleich mehrere Gäste aus Mals eingeladen. So konnten die Malser Gemeindereferentin Gertrud Telser sowie die freiwilligen Flüchtlingshelfer Zita und Albert Pritzi den Schlandersern gar manche Sorgen nehmen. „Das sind Leute wie du und ich. Wir hier hatten noch nie Probleme mit ihnen“, fasste Albert Pritzi die Situation in Mals zusammen.
Schlanders ist bereit
„Es wäre traurig für eine Marktgemeinde wie Schlanders, wenn wir es nicht schaffen“, so Bürgermeister Pinggera. Mit all diesen Infrastrukturen wie sie Schlanders hat, von Carabinieri-Station über Krankenhaus bis hin zu den zig Vereinen, müsse es problemlos möglich sein, die Aufnahme von 30 bis 40 Flüchtlingen zu bewältigen. Vorerst seien es 32, doch es könnte durchaus noch der ein oder andere dazukommen. Zur Erinnerung: Von Beginn an war die Rede von 40 Flüchtlingen, die nach Schlanders kommen. Warum aber das ehemalige Weiße Kreuz-Gebäude? „Die Struktur eignet sich dafür. Diskutiert wurden viele Standorte. Natürlich auch das Kasernenareal oder das Kapuzinerkloster. Zudem wurden einige private Unterkünfte ins Spiel gebracht. Die Option die Flüchtlinge in einer Fraktion wie Kortsch oder Göflan unterzubringen wurde von uns als Gemeinde von vorneherein ausgeschlossen. Die Wahl fiel schlussendlich auch auf das ehemalige Gebäude des Weißen Kreuzes, weil es bereits im Besitz des Landes ist“, erklärte Pinggera.
Der Flüchtlingsproblematik müsse man sich annehmen, war sich Pinggera bei der Bürgerversammlung sicher: „Es sind Völkerwanderungen. Und es ist keine Sache von ein, zwei Jahren. Die Flüchtlingsströme werden auch langfristig nicht abreißen, wenn man auf die weltpolitische Lage, den Klimawandern und dergleichen blickt“. Schlanders jedenfalls erfülle seine Hausaufgaben. Momentan würden Schlanders und Mals bereits den Vinschger Soll der Flüchtlingsaufnahme so gut wie alleine stemmen. Sollten weitere Flüchtlinge in den Vinschgau kommen, dann müssten auch andere Gemeinden aktiv werden. „Doch, Stand jetzt, ist der Vinschgau gut aufgestellt“, betonte Pinggera.
Bemüht um gerechte Verteilung
Das Land Südtirol sei ohnehin um eine gerechte Verteilung bemüht, wie Landesrätin Martha Stocker bestätigte. In ganz Südtirol gebe es derzeit 1500 Flüchtlinge, oder besser gesagt Asylantragssteller. Rund 60 Prozent davon kommen aus Zentralafrika, der Rest vor allem aus Afghanistan, Irak oder Pakistan. Die Fluchtursachen sind Armut, Kriege und Krisen. 0,9 Prozent aller Asylantragssteller in Italien müsse Südtirol aufnehmen. Dabei wird zwischen Erstaufnahmezentren wie in Bozen und der Zweitaufnahme wie eben in Mals oder Schlanders unterschieden. Nach dem Asylantrag sollten die Flüchtlinge im Idealfall nach zwei bis drei Monaten das Erstaufnahmelager verlassen können. „Doch derzeit dauert es viel länger. Die Situation ist nicht einfach, weil es schwierig ist Einrichtungen für die Zweitaufnahme zu finden“, gestand Abteilungsleiter Luca Cirtelli. In den Zweitaufnahmezentren werden die Flüchtlinge während des Asylverfahrens begleitet.
Volontarius verwaltet Struktur
Die Struktur in Schlanders wird vom Verein Volontarius verwaltet. Dieser ist in Südtirol für insgesamt 950 Flüchtlinge zuständig. 120 Mitarbeiter arbeiten in 17 Strukturen. „Wir haben Erfahrung damit. Wir konnten in den letzten Jahren wachsen“, betonte Andrea Tremolada vom Verein Volontarius. Unter anderem sei man in Bozen für das Hotel Alpi zuständig. Die Bezirkskoordinatorin Lorenza Iellici erklärte, worauf man in Schlanders Wert legen wolle: „Wir begleiten die Gäste. Nicht nur physisch, sondern auch psychisch. Sie sollen sich hier zuhause fühlen“.
Doch auch klare Regeln gelten für die Flüchtlinge. So dürfen sie die Struktur nur zwischen 6 Uhr morgens und 23 Uhr abends verlassen. Sprachkurse werden angeboten, der Fokus werde vor allem auf Deutsch gelegt. „Sprache ist das wichtigste. Dadurch können sie sich integrieren und haben die Chance, später eine Arbeit zu finden“, so Iellici. Vier Volontarius-Mitarbeiter betreuen die Flüchtlinge in Schlanders. „Alleine können wir eine gelungene Integration natürlich nicht bewerkstelligen. Dafür braucht es die Hilfe der gesamten Dorfgemeinschaft“, appellierte Iellici.
Die Zeit danach
Auch dank eines „harten Kerns“ von rund 20 Freiwilligen sei es in Mals gelungen, die Flüchtlinge zu integrieren. „In der Erntezeit arbeiten etwa 75 Prozent der Haus Ruben-Bewohner. Derzeit haben etwa 20 Flüchtlinge eine reguläre Arbeit, darunter auch einige unbefristete Verhältnisse“, teilte die Malser Gemeindereferentin für Soziales, Gertrud Telser, stolz mit. Jedoch nicht alle haben die Aussicht auf einen positiven Asylantrag, auch in Mals wurden in erster Instanz bereits einige abgelehnt.
Eine gelungene Integration und der Spracherwerb seien aber unabhängig von den Aussichten auf Asyl erstrebenswert. Denn, wie Critelli als Amtsdirektor im Sozialressort auf Nachfrage aus dem Publikum bestätigte, werden nach wie vor zahlreiche Anträge abgelehnt. Rund 60 Prozent seien negativ. „Eigentlich wäre dann eine Rückführung die Konsequenz. Jedoch haben derzeit sämtliche europäischen Staaten ihre Probleme damit“, gestand Critelli. So komme es häufig vor, dass Asylantragssteller nach negativem Bescheid in der Illegalität versinken. Dies betreffe dann jedoch meist größere Städte und Ballungsräume.
Keine problematische Stimmung
„Schlanders wird bunter. Wir müssen uns daran gewöhnen, aber wir sollten uns der Herausforderung stellen“, betonte eine Besucherin bei der Bürgerversammlung. Nach fast drei Stunden Information und Diskussion endete diese. „Es herrscht keine problematische Stimmung“, stellte der Bürgermeister Dieter Pinggera zufrieden fest und schloss mit den Worten: „Je aktiver wir uns um Integration kümmern, desto besser gelingt’s“.