„Fragen wir lieber: Was soll noch beim Staat bleiben?“
Publiziert in 29 / 2011 - Erschienen am 24. August 2011
Im Sommergespräch mit dem „Vinschger“ hat der Obmann der Südtiroler Volkspartei und Landesrat für Gesundheit, Soziales und Familie, Richard Theiner, in einem mehrstündigen Gespräch nicht nur Fragen zu seinem Ressort beantwortet, sondern völlig neue und selbstbewusste Ansichten der Autonomieentwicklung dargelegt.
Günther Schöpf/Sepp Laner
„Der Vinschger“: Herr Landesrat, haben Sie ein Blockheizkraftwerk im Keller?
Richard Theiner (lacht): Sowas hab ich nicht und solche Verquickungen gibt es bei mir nicht. Was ich als sehr befreiend empfinde. Man bekommt im Laufe der Zeit sehr wohl Angebote, sich irgendwo zu beteiligen oder als Berater zu fungieren. Das habe ich prinzipiell immer abgelehnt. Wir Politiker werden gut bezahlt, so dass ich mich vollzeitlich meinen Aufgaben widmen kann. Das soll aber nicht heißen, dass nicht jemand unternehmerisch oder freiberuflich tätig sein kann.
Der Fall Berger hat aber den Ruf der Partei schon irgendwie angekratzt?
Richard Theiner: Das Thema Hans Berger hat das Sommerloch gefüllt, aber nichts mit der Diskussion zu tun, die wir im Landtag geführt haben. Da ist weder eine Konzession, noch ein öffentlicher Beitrag vergeben worden, noch hat Berger bei einer Behörde interveniert. Im Nachhinein, das hat er ja selbst gesagt, würde er nicht mehr so vorgehen.
…oder würde es zumindest sagen.
Richard Theiner: Ich bin absolut sicher, dass er sich hier keinen unrechtmäßigen Vorteil heraus holen wollte und herausgeholt hat. Berger wird völlig zu Unrecht als Sündenbock oder als Täter dargestellt. Aber die Untersuchungen werden alles klären. Der Sturm wird sich sicher wieder legen.
Einen großen Schwenk. Es heißt sparen, um einen maroden Staat zu retten, und das gibt wieder Aufwind für jene Parteien, die vom Stiefel los kommen wollen. Immer häufiger hört man den Satz, es ist höchste Zeit, von diesem Land wegzukommen. Welche Haltung wird Ihre Partei nun einnehmen?
Richard Theiner: Niemand wird leugnen können, dass es noch nie so vielen Menschen in Südtirol so gut geht. Man kann es auch europaweit sehen. Es gibt wenige Regionen, die annähernd so gut dastehen wie Südtirol. Es wäre wohl absurd, jetzt plötzlich den Weg aufzugeben, auf dem wir es soweit gebracht haben. Abgesehen davon, dass es völlig unrealistisch ist. Eines ist, was ich mir wünsche, aber dies ist kein Wunschkonzert. Wir müssen uns mit der Realität auseinandersetzen. Und Realität ist, dass wir in Zentraleuropa nun mal keine Grenzen verschieben können. Führende Politiker in Österreich und Deutschland können darüber nur lachen. Nicht der geringste Gedanke wird dafür verschwendet. Unser Motto kann nur lauten, den Weg, der uns Erfolg gebracht hat - und das können auch die größten Kritiker nicht leugnen -, entschlossen weiterzugehen. Das heißt, wir müssen versuchen, unsere Autonomie weiter auszubauen. Es haben sich einige Veränderungen in den letzten Jahren ergeben. Wir haben auch in einigen Bereichen Kompetenzen verloren. Und deswegen ist es wichtig, grundsätzlich darüber nachzudenken, wie wir die Autonomie weiter ausbauen können. Unstrittig ist, dass wir jeden Sachbereich und sei er noch so klein besser verwalten können als der Staat. Daher sollten wir das Modell umdrehen und uns fragen: Was bleibt beim Staat“. Also nicht Grenzen verschieben oder neue Grenzen ziehen, sondern Grenzen abbauen. Mehr Selbstständigkeit ist unser Weg. Bis auf wenige Kernkompetenzen, die beim Staat bleiben sollen, Beispiel Außenpolitik oder Gerichtsbarkeit sollen alle anderen Bereiche vom Land verwaltet werden. Es gibt keine primären oder sekundären Kompetenzen mehr, sondern nur staatliche Zuständigkeit oder Zuständigkeiten des Landes.
Auch die Steuern selbst einheben?
Richard Theiner: Selbstverständlich auch Steuern einheben.
In welchen Bereichen hat Südtirol Kompetenzen verloren?
Richard Theiner: Beispielsweise im Bereich Umwelt. Dort hat der Verfassungsgerichtshof mehrfach festgestellt, dass der Staat zuständig sei für wesentliche Sachbereiche.
Wie in der Abfallbewirtschaftung die Sistri-Bestimmungen, die jetzt Gott sei Dank außer Kraft sind.
Richard Theiner: Genau. Ich werde am Montag, 29. August einen Vorschlag hin zur Vollautonomie den Parteigremien vorlegen. Es ist ein alles andere als leichter Weg, aber machbar. Wichtig ist dabei für uns, dass wir alle Sprachgruppen in Südtirol miteinbeziehen.
Das geht aber über die Gesetzesschiene?
Richard Theiner: Und auch über eine Verfassungsänderung. Es geht um eine Abänderung des Autonomiestatuts, um eine neues Statut.
Immer im Sinne einer dynamischen Autonomie?
Richard Theiner: Ja. Wir vereinbaren mit dem Staat, welche Kompetenzen beim Staat bleiben sollen und welche Bereiche wir autonom verwalten. Keine Sprachgruppe darf Angst haben, sie bleibe auf der Strecke. Es ist sehr wichtig, dass wir die Italiener ins Boot holen.
Also sagen wir nicht mehr, wir wollen vom Staat das und das, sondern wir überlassen dem Staat, was wir nicht verwalten können?
Richard Theiner: Die Vollautonomie werden wir nicht von heute auf morgen erreichen. Und wir wollen nicht die Schlaumeier spielen oder auf Kosten anderer leben. Wir vereinbaren mit dem Staat was die von ihm verwalteten Kompetenzen kosten und das zahlen wir. Wir aber heben das Geld ein. Nicht der Staat hebt ein und gibt uns etwas zurück. Auch das Polizeiwesen sollten wir übernehmen.
Das wären die Ordnungskräfte. Ist auch die Finanzpolizei gemeint?
Richard Theiner: Auch die Finanzpolizei. Wenn wir selber für die Einnahmen zuständig sind, ist es auch folgerichtig, dass wir die Aufgaben der Finanzpolizei übernehmen. Was grundsätzlich die Ordnungskräfte anbelangt: Warum sollen wir nicht imstande sein, für Sicherheit und Ordnung in unserem Land selbst zu sorgen?
Das ist aber ein sehr langer Weg.
Richard Theiner: Sicher. Aber die Frage war, wie reagiert man auf die Veränderungen und Krisen des italienischen Staates. Die Antwort: Wir sollen auf unserem bisher so erfolgreichen Weg weitergehen. Die Autonomie ist nicht statisch sondern muss den gesellschaftlichen Veränderungen Rechnung tragen. Ich weiß ganz genau, dass viele in meiner Partei vor dem Schritt, das Autonomie-Statut zu ändern, gewaltig Angst haben. Unser Bestreben ist es aber so viel Selbstständigkeit wie möglich zu erlangen. Wir haben gezeigt, dass wir unsere Zuständigkeiten sehr gut verwalten können. Auch die Italiener – und ich pflege viele Kontakte mit ihnen– haben dies samt und sonders bestätigt. Jetzt geht es darum, dass wir miteinander…
Bisher ist aber wenig unternommen worden, den Italienern ein Wir-Gefühl zu vermitteln.
Richard Theiner: Es hat Zeit gebraucht. Es ist historisch bedingt, dass sich die Italiener bis zum 2. Autonomiestatut bewusst nicht mit der Autonomie identifizieren wollten. Inzwischen ist die Disagio-Diskussion geführt worden. Und es gibt mittlerweile eine selbstbewusste Schicht junger Italiener, die sehr gut Deutsch spricht, die sich mit Südtirol identifiziert.
Da spielt das Schlamassel des Staates schon auch eine Rolle.
Richard Theiner: Aber nicht nur. Es wäre falsch, alles auf diese Schiene zu bringen. Auch auf die Entwicklung im Lande muss man schauen. Es gibt kein italienisches Unternehmen mehr in Südtirol, in dem nicht zumindest die Führungskräfte perfekt zweisprachig sind. Da haben wir hier im Vinschgau noch unsere Hausaufgaben zu machen.
Gibt es das Projekt „Parliamoci“ noch?
Richard Theiner: Ja, in unterschiedlicher Form. Wir haben vielfältige Kontakte mit den Südtirolern italienischer Muttersprache, die wir nicht alle in die Medien breittreten. Sie kommen auch ihrerseits auf uns zu. Sie suchen uns. Es ist noch nicht der Großteil, aber ein wachsender Teil, der einsieht, dass sich vieles ändert, der von der Abwehrhaltung abgeht, der sich mit diesem Land identifiziert und der Interesse hat, das Land gemeinsam voranzubringen.
Neuer Schwenk. Der Landeshauptmann hat erklärt, 2013 nicht mehr zu kandidieren.
Richard Theiner: Der Landeshauptmann ist bis zum Jahr 2013 gewählt und leistet eine Arbeit, die nicht nur im Stil unnachahmlich ist. Und was die Zeit nach 2013 angeht, wird die Partei 2012 die Weichen stellen.
Obmannschaft und Landeshauptmann sollen in Zukunft wieder in einer Person vereint sein….
Richard Theiner: Es gibt unterschiedliche Auffassungen. Ich persönlich halte es für besser, wenn beide Funktionen in einer Hand vereint sind. Magnago war ein positives Beispiel. Auch in Österreich sind in fast allen Bundesländern die Regierungschefs auch Partei-Vorsitzende.
Partei-Obmann werden Sie auch nach 2012 bleiben?
Richard Theiner: Das wird 2012 entschieden. Ich habe mich bereit erklärt, bis 2012 das Amt zu übernehmen, gemeinsam mit Thomas Widmann, Martha Stocker und Paula Bioc Gasser. Es ist uns gelungen die Schulden abzubauen und die steigenden Mitgliederzahlen beweisen, dass die Arbeit auch geschätzt wird.
Also wird Landeshauptmann, wer Parteiobmann ist?
Richard Theiner: Die SVP wird entscheiden, wer die Partei als Spitzenkandidat in die Landtagswahlen 2013 führen wird. Ich persönlich bin dafür, dass der jeweilige Landeshauptmann oder die jeweilige Landeshauptfrau auch die Partei führt. Es gibt sonst unnütze Reibereien zwischen Partei und Landesregierung.
Gibt es Vorwahlen?
Richard Theiner: Über den Modus wie der Spitzenkandidat ermittelt wird, soll im Laufe des Jahres 2012 entschieden werden. Zuerst kommt die Sachpolitik und dann die Nachfolgediskussion.
Günther Schöpf