Gehen oder bleiben?
Erinnerungen an die Option
Das Stift Stams diente zur Zeit der Option als Auffanglager für Optanten aus Südtirol.
Robert Luzius Wolf
Paul Warger
Kathi Zerzer
Edmund Lenk
Stefan Folie
Hermina Asam
Albert Lampacher
Drei Interviewpartner waren bei der Ausstellungseröffnung dabei (v.l.): Robert Luzius Wolf, Hermina Asam und Paul Warger.
Helene und Simon Laganda
Die Hörstationen bilden das Herzstück der Sonderausstellung.
Zu den Leihgaben gehören auch Propaganda-Material, Auswanderungspapiere, Schulzeugnisse, Fotos aus dem Südtiroler Landesarchiv, Ahnenpässe und viele weitere Dokumente.
Zu den Leihgaben gehören auch Propaganda-Material, Auswanderungspapiere, Schulzeugnisse, Fotos aus dem Südtiroler Landesarchiv, Ahnenpässe und viele weitere Dokumente.
Zu den Leihgaben gehören auch Propaganda-Material, Auswanderungspapiere, Schulzeugnisse, Fotos aus dem Südtiroler Landesarchiv, Ahnenpässe und viele weitere Dokumente.
Zu den Leihgaben gehören auch Propaganda-Material, Auswanderungspapiere, Schulzeugnisse, Fotos aus dem Südtiroler Landesarchiv, Ahnenpässe und viele weitere Dokumente.

„Für keinen war die Entscheidung einfach“

Sonderausstellung gewährt Einblick in das wohl dunkelste Kapitel der Geschichte Südtirols.

Publiziert in 24 / 2019 - Erschienen am 9. Juli 2019

Schluderns - Wollt ihr die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen und ins Deutsche Reich auswandern oder wollt ihr in der Heimat bleiben und „walsch“ wählen? Wenngleich die Südtiroler Bevölkerung vor nunmehr 80 Jahren vor diese Entscheidung gestellt wurde, sitzen die mit der Option verbundenen Verletzungen, Leiden, Folgen und Nachwehen zum Teil auch heute noch sehr tief. „Die Option ist das düsterste Kapitel in der Geschichte Südtirols. Was wir mit dieser Ausstellung keinesfalls wollen, ist werten, urteilen oder verurteilen. Für niemanden war die Entscheidung damals einfach“, schickte Helene Laganda am 5. Juli bei der sehr gut besuchten Eröffnung der Sonderausstellung „Gehen oder bleiben -  Erinnerungen an 1939“ im Vintschger Museum (Vuseum) in aller Deutlichkeit voraus. Ziel der Ausstellung sei es vielmehr, „zu sensibilisieren, zu informieren und mitzuhelfen, dieses dunkle Kapitel unserer Geschichte aufzuarbeiten.“ Helene Laganda hat die Sonderausstellung zusammen mit ihrem Sohn Simon kuratiert.

„Noch immer ein emotionales Thema“

In den Dörfern wisse man genau über das Abstimmungsverhalten der einzelnen Bewohner Bescheid. Die Erinnerung an die Zeit um 1939 sei nach wie vor sehr emotionsgeladen. Die Verletzungen, die sich Geher und Dableiber, sprich Optanten und „Walsche“, zugefügt haben, sitzen noch immer tief. Das ist laut Helene Laganda auch der Grund dafür, „warum es nicht leicht war, Interviewpartner zu finden, die bereit waren, uns unsere Erinnerungen und Erfahrungen zu erzählen.“ Die Interviews mit Robert Luzius Wolf aus Laatsch (Jahrgang 1941, optiert und rückgewandert), Paul Warger aus Taufers im Münstertal (Jahrgang 1932, optiert, aber nicht abgewandert), Kathi Zerzer aus Ried im Oberinntal (Jahrgang 1940), Edmund Lenk aus Zams (Jahrgang 1926, optiert), Stefan Folie aus Mals (Jahrgang 1930, Dableiber), Hermina Asam aus Schleis (Jahrgang 1938, optiert, aber nicht abgewandert) und Albert Lampacher aus Latsch (Jahrgang 1924, optiert, aber nicht abgewandert) bilden das Herzstück der Ausstellung.

Interviews als Herzstück der Ausstellung

Die Erinnerungen und Erfahrungen der Interviewten können an Hörstationen abgehört werden, und zwar in deutscher und in italienischer Sprache sowie auch im Dialekt. Ein weiterer Bestandsteil der Ausstellung sind historische Fotos aus dem Südtiroler Landesarchiv sowie Bilder, die der Chronist und Professor Helmut Hörmann aus Stams für die Ausstellung zur Verfügung gestellt hat. Das Stift Stams, 1938 von den nationalsozialistischen Machthabern besetzt und 1939 aufgelöst, diente während des Zweiten Weltkrieges als Auffanglager für Optanten aus Südtirol. In den Ausstellungsvitrinen sind originale Auswanderungspapiere, Schulzeugnisse von Dableibern und Optanten, Propagandamaterial aus jener Zeit, eine Ausgabe der Hitlerbuchs „Mein Kampf“, Spenden-Bestätigungen zu Gunsten der Deutschen Wehrmacht, damalige Geldscheine aus Italien und Deutschland sowie viele weitere Schriften und persönliche Dokumente von Leihgebern aus dem Vinschgau zu sehen. In die Sonderausstellung eingeführt werden die Besucher mit kurzen Angaben zur Vorgeschichte der Option, zur Entscheidung und zu den Folgen.

Vom „Blutsonntag“ bis zum Abkommen

Simon Laganda holte in seinem Einführungsreferat zur Ausstellung weit aus. Er erinnerte an die Vorgeschichte der Option und speziell an den „Londoner Geheimvertrag“ im Ersten Weltkrieg, mit dem England und Frankreich territoriale Zugeständnisse an Italien machten, „die Italien veranlassten, am 23. Mai 2015 Österreich-Ungarn den Krieg zu erklären.“ Auch auf die Machtübernahme der Faschisten ging der Referent ein, den „Blutsonntag“ (24. April 1921), die intensive Italianisierungs- und Majorisierungspolitik in Südtirol, das Verbot der deutschen Unterrichtssprache, die Auflösung der Vereine, die Pressezensur und viele weitere Aspekte dieser Zeit der Unterdrückung. „Viele Südtiroler schielten nach Deutschland“, führte Simon Laganda aus. Am 21. Oktober 1939 vereinbarten Hitler und Mussolini ein Abkommen zur Umsiedlung der deutschen Bevölkerung in Südtirol. Mit dem Bekanntwerden der Options-Vereinbarung „kam eine Propagandamaschinerie zum Laufen, die zum einen von Versprechungen, zum anderen von Drohgebärden gekennzeichnet war.“ So seien den Optanten zum Beispiel homogene Siedlungsgebiete versprochen worden. 

Nie dagewesene Propagandamaschinerie

Die Propagandamaschinerie habe die Dörfer, die Vereine und sogar die Familien entzweit. Ein Slogan lautete: „Deutsch oder walsch! Zusammenbleiben und gemeinsam eine neue Haimat aufbauen.“ Auch mit zwei Gedichten wartete der Referent auf. Eines spiegelt die Version der Dableiber wider und eines die Version der Optanten. In beiden Gedichten wird die „Brennende Liab“ (Geranie) als Symbol genutzt. Die Option habe das ganze Land geteilt. Aufrufe und Flugblätter für das Abwandern gab es ebenso wie Stellungnahmen und Kundgebungen für das Verbleiben in der Heimat. Als einen besonderen Vertreter jener, die sich für das Verbleiben stark machten, nannte Laganda den Kanonikus Michael Gamper. „Dableiber und Optanten beschimpften sich gegenseitig. Dableiber wurden als Volksverräter, Optanten als Heimatverräter bezeichnet“, so der Referent. Kein historisches Ereignis habe die Südtiroler so entzweit, wie es die Option tat. Keine Entscheidung war so tiefgreifend für das persönliche Überleben, aber auch für das Land insgesamt.“ 

Aufarbeitung noch immer schwierig

Auch 80 Jahre nach dem Beginn dieser dunklen Jahre „gestalte sich die Aufarbeitung dieser Zeit nach wie vor als schwierig.“ Aber gerade in einer Zeit, „in welcher die Sprache der 1930er Jahre wieder salonfähig ist, tragen wir eine Mitverantwortung, dieses Kapitel aufzuarbeiten, zu beleuchten und dem braunen Gedankengut keine Chance zu geben.“ Die Ausstellung vermittelt einen sehr menschlichen Einblick in das, was mit nackten Zahlen nur schwer auszudrücken ist. Von rund 247.000 Südtirolern haben sich ca. 86% für das Gehen entschieden. Tatsächlich abgewandert sind ca. 75.000. Rund 20.000 Optanten kehrten nach Kriegsende zurück, 130.000 waren staatenlos, weil sie zwar für Deutschland gestimmt hatten, aber nicht ausgewandert sind. Die italienische Staatsbürgerschaft hatten sie mit ihrer Stimmabgabe verloren. 

„Raum und Platz auch für solche Themen“

Harald Trafoier, der Präsident des Vintschger Museums, dankte alle Mitwirkenden und zeigte sich erfreut darüber, „dass wir diesem sehr emotional besetzten Thema hier im Rahmen einer Sonderausstellung Raum und Platz bieten können.“ Einen besonderen Dank zollte der Helene Laganda und ihrem Sohn Simon sowie dem gesamten Mitarbeiter-Team des Museums. Mehrfach gedankt wurde auch den Interviewpartnern, die bei der Eröffnung zum Teil persönlich anwesend waren. Für passende Musik sorgte Gernot Niederfriniger. Die „Museums-Gabi“ und ihr Team luden abschließend zu einem Umtrunk ein.

Josef Laner
Josef Laner

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