Gefahr für Volkskultur
Publiziert in 16 / 2004 - Erschienen am 26. August 2004
[K] Nach den ersten Finanzprüfungen von Musikgruppen im Jahre 2002 ging ein Aufschrei durch die Künstlerszene im Land. Die E.N.P.A.L.S.- Steuer, hatte alle kalt erwischt. Fast niemand in Südtirol war über die italienweit gesetzlich vorgeschriebene Rentenversicherung für Künstler und Sportler informiert. Dabei gibt es sie schon seit dem fernen Jahre 1947. Seit die E.N.P.A.L.S. 2002 eine Konvention mit der S.I.A.E. abgeschlossen hat, greift die Gesetzgebung.
Bei vielen Musikgruppen, Musikkapellen, Chören, Böhmischen und Theatergruppen ist die Verunsicherung groß. Der Ruf nach einer autonomie-politischen Lösung wird laut.
von Magdalena Dietl Sapelza [/K]
Jahrzehntelang spielten Musikgruppen und Einzelunterhalter unbehelligt auf Gartenfesten, Bällen, in Gasthöfen und Hotels. Ihr Honorar kassierten sie schwarz. Beachtliche Summen. Und sie bezahlten keine Steuern. Das E.N.P.A.L.S. -Gesetz kümmerte weder die Arbeitgeber noch die Musiker. Kontrollen gab es so gut wie keine. Einzig Theaterleute, die gelegentlich mit der RAI zu tun hatten, kamen im Laufe der Jahre mit der E.N.P.A.L.S. in Berührung. Die Sendeanstalt RAI arbeitete seit jeher gesetzeskonform. In Südtirol bestand für die einzelnen Unterhalter kein Bedarf, sich im Hinblick auf eine Rente anmelden zu lassen. Fast alle waren und sind Freizeitmusiker und gehen einer geregelten Beschäftigung nach, in der sie sozial abgesichert sind.
[F] Finanzkontrollen [/F]
Ab dem Jahre 2002 erreichte die S.I.A.E., als verlängerter Arm der E.N.P.A.S. (siehe Kasten), die Unterhalter und deren Auftraggeber. Die ersten Kontrollen setzten ein und erwischten viele unvorbereitet. Die Strafen fielen teils saftig aus. Das brachte die gesamte Musikbranche in Aufruhr. Musikgruppen und Bands mit regelmäßigen Auftritten beziehungsweise ihre Arbeitgeber kamen nicht mehr umhin, die Vorgaben der E.N.P.A.L.S. zu erfüllen, den bürokratischen Aufwand auf sich zu nehmen. Die Musiker schufen die Voraussetzungen für eine Anmeldung, die Arbeitgeber zahlten ein. Um letztere zu entlasten wurden von der S.I.A.E. Möglichkeiten gefunden, dass es die Künstler selbst erledigen können (siehe Kasten). Veranstalter ziehen heute jene Gruppen vor, die die E.N.P.A.L.S.- Sache selbst im Griff haben. Mit über 32 Prozent, ist die Steuer hoch angesetzt, bei kleinen Honoraren bleibt nicht mehr viel übrig - ein Umstand, der zum Schwindeln verleitet. Das wird selbst von Seiten der S.I.A.E so gesehen. Agenturen machen heute meist zwei Verträge, eine offiziellen und einen inoffiziellen.
[F] Bürokratie [/F]
Laut S.I.A.E. haben fast alle kommerziell tätigen Musikgruppen mittlerweile die E.N.P.A.L.S.–Voraussetzungen geschaffen (siehe Kasten) und erledigen Anmeldung und Einzahlung für ihre Arbeitgeber, sprich Veranstalter. Einige (Einzelunterhalter) haben das Ganze entsprechenden Vereinigungen übergeben. Andere (Gruppen) beißen sich selbst durch den Bürokratie- Dschungel. In der Praxis ist es meistens ein Gruppenmitglied, das die Verantwortung übernimmt, Formulare ausfüllt, sich zum Büro der S.I.A.E begibt, Termine überwacht. Wie ein Rattenschwanz hängt die Steuergesetzgebung hinten dran. Wer sich der Sache nicht ganz sicher ist, nimmt die Dienstleistung eines Steuerberaters in Anspruch, verbunden mit den entsprechenden Kosten. Einige hielten dem Druck nicht mehr stand und gaben auf. Gruppen klagen ihnen bliebe abzüglich der vielen Spesen fast nichts mehr übrig. Zum Beispiel die Big Band Mals kann von den Veranstaltern hierzulande nicht das Honorar verlangen, das sie aufgrund ihrer Bestückung (14 Mann) eigentlich müsste.
[F] Grauzone [/F]
Dass gut verdienende Unterhalter auch Abgaben zu bezahlen haben, ist nachvollziehbar. Was ist aber mit den zahlreichen ehrenamtlich tätigen Musikkapellen, Chören, Theater- und Volksmusikgruppen in Südtirol, kurzum mit jenen Gruppen, die aus Spaß an der Freude gelegentlich miteinander musizieren und spielen? Sind auch sie verpflichtet, dem Gesetze Genüge zu tun, weil sie gelegentlich ein Entgelt kassieren?
Bislang kamen sie noch nicht in den Sog der E.N.P.A.L.S., weil die S.I.A.E. anerkennt, dass eventuelle Entschädigungen nicht auf die einzelnen Mitglieder aufgeteilt werden. Im Volksmusikkreisen wähnen sich viele im Schutze der Ehrenamtlichkeit und des Volontariats. Kritisch wurde es aber bereits bei Böhmischen, Tanzlmusi, Gesangsduos und Quaretts. "Bei genauer Auslegung der Gesetzgebung ist jeder, der irgendwo auftritt, und jeder der im kulturellen Bereich einen Knopf verdient, verpflichtet, die E.N.P.A.L.S. Gesetze zu befolgen", betont Klaus Runer, Präsident des Südtiroler Theaterverbandes. Er spricht von einer Grauzone, in der sich der traditionelle kulturelle Bereich derzeit befindet. "Wenn beispielsweise einem Kapellmeister,
einem Chorleiter einem Theaterregisseur eine Entschädigung zuerkannt wird, sind Musikkapellen, Chöre und Theatergruppen schon nicht mehr in Ordnung". Er sieht Südtirols Volkskultur in Gefahr. Es sei dringend Handlungsbedarf. Vieles hängt in der Luft. Für Vereine und Verbände wird es deshalb nicht zuletzt immer schwieriger, Leute zu finden, die Verantwortung übernehmen.
[F] Wenig Durchblick [/F]
Nicht nur die Unterhaltungsszenen und der kulturelle Bereich Südtirols wurde von der E.N.P.A.L.S. kalt erwischt, sondern auch die Politiker. Die Autonomie greift hier nicht. Viele Entscheidungsträger haben bislang noch keinen richtigen Durchblick. In diesem Zusammenhang spielt einerseits die komplexe Materie eine Rolle, andererseits die mächtige S.I.A.E – mit ihrer Lobby in Rom, der man zurückhaltend entgegentritt. Die Senatorin Helga Thaler Außerhofer, nahm sich des Themas an und wagte zaghafte Vorstöße. Im Wahlkampf 2003 hatte auch die Volksmusiklady Anneliese Breitenberger ihren Einsatz in Sachen E.N.P.A.L.S auf politischer Ebene versprochen. Ihre Nicht-Wahl ließ das Ganze versanden. Bei einem Treffen zwischen S.I.A.E.-Direktor Massimo Antichi und Landeshauptmann Luis Durnwalder, wurde laut Medienberichte über eine Befreiung bis zu 5.000 Euro gesprochen. Das wirft die Frage auf: Lässt sich die Grenze zwischen einem Profi und einem Amateur überhaupt ziehen?
Nun will sich auch der neuen SVP- Obmann Elmar Pichler Rolle einarbeiten. Auch Südtirols kulturelle Verbände sind aktiv geworden und leisten den Politikern Hilfestellungen in Form von Vorschlägen.
[F] Autonomie muss greifen [/F]
In Absprache mit dem Südtiroler Sängerbund, dem Verband Südtiroler Musikkapellen, dem Verband der Kirchenchöre und in Absprache mit dem deutschen und italienischen Kulturamt geht der Theaterverband mit Klaus Runer in die Offensive: Er hakt zivilrechtlich ein und will anhand eines Beispieles einen Musterprozess führen, der das Gesetz aus den Angeln heben soll. Südtirols Unterhalter mit Amateurstatus zahlen durch die E.N.P.A.L.S. ein, haben aber (sie schaffen keine 140 Auftritte im Jahr) nicht die Möglichkeit je etwas heraus zu bekommen. "Das ist nicht EU-konform", sagt Runer. "Wir verlangen ein Feststellungsurteil, das heißt: Der Richter verlangt vom nächst höchsten Richter eine Klärung ohne den konkreten Fall zu entscheiden. Die Schlussentscheidung obliegt dem Europäischen Gerichtshof."
Damit sei das Problem aber noch nicht gelöst, so Runer. Südtirols Autonomie müsse greifen. Man konne sich zum Beispiel eine autonome S.I.A.E. vorstellen. Man brauche ein eigenes Gesetz, mit Lösungen für die kommerziell tätigen Gruppen einerseits und anderseits für jene im traditionellen volkstümlichen Bereich.
[F] E.N.P.A.L.S.-Gesetze aus dem Schlaf geweckt [/F]
E.N.P.A.L.S. Rentenversicherung für Unterhaltung und Sport
Die E.N.P.A.L:S (Ente Nazionale di Previdenza e di Assistenza per i lavoratori dello Spettacolo) gibt es seit dem Jahre 1947. Es handelt sich um eine reine Rentenversicherung für Künstler und Sportler. Das Einkommen scheint auf und muss regulär versteuert werden. Im Sportbereich gibt es eine staatlich geregelte Befreiung (7.000 Euro) die jährlich angepasst wird, im Unterhaltungsbereich nicht. Laut Gesetz ist der Arbeitgeber verpflichtet, die Beiträge an die E.N.P.A.L.S. einzuzahlen. Die Unterhalter müssen die Voraussetzungen schaffen und eine Matrikelnummer haben. Der derzeit einzuzahlende Prozentsatz beträgt 32,70 vom jeweiligen Honorar. (Jeder einzelne Spieler muss mindestens 39,16 Euro pro Auftritt angeben. Für Arbeitgeber, sprich Veranstalter, bedeuten Anmeldung und Einzahlung einen riesigen Aufwand. Um ihnen das Ganze abzunehmen, wurden Wege gefunden, dass es die Künstler selbst erledigen können. Die Mitglieder einer Band können sich zu einer "Associazione tra professionisti, (Vereinigung von Freiberuflern) zusammen schließen. Alleinunterhalter haben die Möglichkeit, sich in einer "Cooperativa a responsbilita´ limitata" (Genossenschaft mit beschränkter Haftung) einzuschreiben. In Südtirol gibt es bereits mehrere solcher Vereinigungen.
Die E.N.P.A.L.S. wird von Vollprofis, die in der Musik- und Sportbranche ihren Lebensunterhalt verdienen als Altersversorgung in Anspruch genommen. 140 Tage müssen jährlich aufscheinen, damit das Anrecht auf eine Auszahlung gegeben ist.
Konvention E.N.P.A.L.S. - S.I.A.E. (Societa Italiana autori e editori)
Musikgruppen, Bands, Alleinunterhalter und deren Auftraggeber blieben in Italien und Südtirol jahrzehntelang unbehelligt. Das Eintreiben und die Kontrollen seitens der E.N.P.A.L.S wurde nur dürftig gehandhabt. Mit einem Büro in Venedig und einem in Mailand waren die Möglichkeiten zu einer umfassenden Überwachung nicht gegeben. Das änderte sich im Jahre 2002. Die E.N.P.A.L.S. schloss eine Konvention mit S.I.A.E. Diese verfügt Italienweit über ein flächendeckendes Bürosystem.
Nach der ersten Regierung Berlusconis verlor die S.I.A.E Arbeitsbereiche, zum Beispiel im Bereich der Mehrwertsteuer und war auf der Suche nach neuen Aufgaben. Diese konnten durch die Konvention mit der E.N.P.A.L.S. gefunden werden. Die Konvetion rettete nicht zuletzt die Arbeitsplätze der zahlreichen Beschäftigten.
Die S.I.A.E übernahm die Überwachung der E.N.P.A.L.S.- Gesetzgebung und brachte die Kontrollen bis in die entlegenen Regionen, auch nach Südtirol.
Magdalena Dietl Sapelza