Glurnser nehmen die Sache selbst in die Hand
Publiziert in 14 / 2012 - Erschienen am 12. April 2012
In Glurns wird dem unseligen „Leerstand“ zu Leibe gerückt. Mit der Renovierung zweier Laubenhäuser wird historische Bausubstanz zurück gewonnen und als Wohnraum Einheimischen zur Verfügung gestellt. Ein bereichsübergreifender Workshop hatte den Weg zur Verwendung von Holz aus dem Glurnser Wald geebnet.
von Günther Schöpf
Die Geschichte geht oft sonderbare Umwege, die man erst hinterher als Umwege erkennt und bezeichnet. Wer hätte vor etwas mehr als sechs Jahren gedacht, dass der Obmann der Waldarbeiter im Landesverband der Handwerker ein Glurnser sein wird. Und wer hätte gedacht, dass Alois Frank nach seiner Wahl zum Stadtrat und der Ernennung zum Vizebürgermeister genau jene Ressourcen seiner Gemeinde ins Spiel bringen würde, die vor gut 700 Jahren zwei gräfliche Brüder, Otto und Heinrich Grafen von Tirol, Herzöge von Kärnten, den Glurnsern zugestanden hatten. Damals, 1304, haben die Söhne des Stadtgründers Graf Meinhard von Tirol-Görz der Stadt die Schenkung eines großen Waldgebietes zwischen Trafoi- und Sulden-Bach verbrieft. Das dort geschlägerte Holz wurde auf dem Suldenbach bis zum Holzrechen bei Prad getriftet. Über Jahrhunderte bildete die Holzwirtschaft neben Marktrecht und Stapelpflicht der Händler eine sichere Grundlage für den Wohlstand der „Ackerbürger“ an Etsch, Ram und Puni. Der Umwege und Zufälle nicht genug. Waldarbeiter-Obmann Frank hatte immer schon eine Besonderheit der Vinschger Waldwirtschaft im Auge: Der Großteil des Waldes befindet sich in öffentlicher Hand. Es war naheliegend, dass der öffentliche Verwalter Frank aus diesem Tatbestand etwas machen würde, ja sich verpflichtet fühlte, daraus Konsequenzen zu ziehen.
Die Stadtbelebung
Es mussten aber einige Jahre vergehen, bis sich dazu Gelegenheit bot. Abwanderung und Wohnungsnot trotz vieler leer stehender Häuser zwangen die Stadtverwalter zum Handeln. Logische Folge war die Gründung einer Arbeitsgruppe. Im „Komitee zur Stadtbelebung“ übernahm Gemeinderat Alois Frank den Vorsitz und unterbreitete dem Rat im Laufe des ersten Halbjahres 2009 verschiedene Vorschläge. Besonderes Augenmerk warf die Gruppe auf die wohl größten Probleme der Stadt: den geradezu sichtbaren Verlust historischer Bausubstanz und die zunehmende Verödung des Stadtzentrums. Sie waren nicht die einzigen, aber die ausschlaggebenden Gründe, dass konkrete Schritte gesetzt wurden. Im Juni 2010 durfte der Stadtentwickler Gerhard Rainalter von der Firma Innovate GmbH Bregenz dem Glurnser Stadtparlament voller Schwung und Enthusiasmus seine „Zukunftsperspektive für Glurns“ vorstellen. Darin enthalten waren Anregungen und Impulse, den wohl schwächsten Punkt in Glurns, die Wohnungsnot trotz „Leerstandes“ im Stadtkern, aktiv anzugehen. Bekanntlich führte dies zur Gründung der „Glurns Immobilien GmbH“ unter Präsident Christoph Prader und zum Erwerb des Söleser- und des Schaller-Hauses in der Laubengasse. Beide Häuser gehören zum Lauben-Ensemble, wie es einmalig und stimmungsvoll in Südtirol nur Glurns bieten kann.
Glurns besinnt sich
Das langgestreckte Schallerhaus mit Wohnhaus zur „gemeinen Gass“, wie die Laubengasse genannt wurde, und mit angebautem Stadel nach Süden, wird im Westen durch das „Fuirgassl“ von den anderen Laubenhäusern getrennt. Das Haus war wohl immer Sitz einer Glurnser „Ackerbürger-Familie“ und wurde zuletzt von den Geschwistern Josef und Josefine Schaller bewohnt. Eine andere Rolle spielte das Söleser-Haus in den nordseitigen Lauben. Es gehörte zum Besitzstand der Khuen-Belasy, die seit 1513 das nah gelegene Schloss Lichtenberg besaßen. Ihr zweistöckiges Haus in Glurns, das in späteren Jahrhunderten meist von zwei Besitzern bewohnt war, könnte eine Konstruktion des 16. Jahrhunderts sein; darauf weist unter anderem das spätgotische Netzrippengewölbe hin. Im 18. Jahrhundert war es nachweislich das Gasthaus zum „Schwarzen Adler“ mit großen holzvertäfelten Stuben. Die Bezeichnung „Söleser“ wird wohl auf einen Besitzerwechsel zurück zu führen sein. Vielleicht stammte einer der Mitbesitzer vom Söles-Hof. Zur Sanierung und Umwidmung wurde ein Wettbewerb ausgeschrieben, den für das Schaller-Haus der Prader Architekt Martin Stecher und für das Söleser-Haus der in Glurns ansässige Architekt Jürgen Wallnöfer für sich entscheiden konnten.
Impulsgeber vor Ort
Mit Vizebürgermeister Frank und Architekt Wallnöfer begannen zwei Glurnser, sich Seite an Seite für ihre Stadt einzusetzen, mit ähnlichen Vorstellungen und Werthaltungen. Gemeinsam war ihnen die Überzeugung, dass historische Gebäude erhalten werden müssen, gemeinsam war die Vorliebe für einheimische Hölzer und gemeinsam auch die Überzeugung, dass einheimisches Holz kurze Transportwege hat, ökonomisch interessant ist, weil die Wertschöpfung durch Waldbesitzer, Holzfäller, Säger, Handwerker bis zur letzten Station im Fernheizwerk in der Region bleibt, dass eine höhere Qualität erreicht wird, weil man den Zeitpunkt der Schlägerung steuern kann, und dass man sich mit den Wertstoffen vor Ort auch identifizieren kann. Beide wussten aber auch von der aufwändigen Organisation unter den Interessensgruppen. Sie kannten das teilweise schwer zugängliche Gelände und wussten von den Einstellungen der Handwerker dem heimischen Holz gegenüber. Wieder spielte der Zufall seine Rolle. Über die Kontakte von Alois Frank mit dem Projektmanager des „Clusters Holz & Technik im TIS Innovation Center“, Michael Stauder, wurde Bewusstseinsbildung auf höchster Experten-Ebene gestartet. Über eine moderierte Veranstaltung mit Erfahrungsaustausch und einem klassischen Workshop, sollte die „Gebäudesanierung in der Gemeinde Glurns“ zum Thema gemacht werden. Michael Stauder stellte einen exakten Kostenvergleich zwischen Schnittholz vom Zimmermann und derselben Menge aus dem Gemeindewald an. Er kam auf Einsparungen von 30 bis 35 Prozent.
Überzeugung durch Emotion
Bürgermeister Erich Wallnöfer, selbst ein Maurer und Baumeister, hatte die Vertreter des Stadt- und Gemeinderates, den Verwaltungsrat „Projekt Glurns 2020“, die Arbeitsgruppe „Arbeiten und Wohnen“ und interessierte Planer und Handwerker eingeladen, um sie und sich von den Vorzügen des heimischen Holzes überzeugen zu lassen. Neben Architekt Wallnöfer war es Stauder gelungen, Landeskonservator Leo Andergassen, den Bauunternehmer Harald Haller aus Passeier und den Holzexperten Herbert Niederfriniger von Soligno-Reinverbund Prad als Impulsreferenten zu gewinnen. Zivilschutzchef Hanspeter Staffler wollte man als Nutznießer von Wohnluxus in Holz dazu gewinnen. Trotz der Mahnung „Wir sind auf Kollisionskurs“ und der Aufrufe zu „ganzheitlicher Betrachtung“ von Herbert Niederfriniger, trotz der Hinweise von Leo Andergassen, der Söles- und Schallerhaus Baudenkmäler nannte und der aufmerksam machte, dass sie untrennbar mit dem Ort verbunden sind, für den sie geschaffen wurden, brachte erst ein interessierter Zuhörer die Stimmung zum Kippen – zu Gunsten des heimischen Holzes. Es war Mario Broll, der Leiter des Forstinspektorats Schlanders, der mit der Frage „Warum können kurze Wege, Nachhaltigkeit und regionale Kreisläufe nicht auch für die Waldwirtschaft gelten?“ und mit seiner ehrlichen und emotionalen Begeisterung die städtischen Entscheidungsträger restlos überzeugte.
Günther Schöpf