Grundschule „auf den Kopf gestellt“
Schüler präsentieren ihre freien Themen. Auch die Räume der Grundschule Prad mussten der neuen Lernkultur angepasst werden. Die Lehrer danken dafür der Gemeindeverwaltung von Prad.

Grundschule Prad auf neuen Wegen

Publiziert in 32 / 2009 - Erschienen am 16. September 2009
Es ist bereits das dritte Schuljahr, an dem in der Grundschule Prad am Stilfserjoch nach reformpädagogischer Orientierung unterrichtet wird. Nach einer Fortbildung Ende Juni 2006 waren Überlegungen gereift, einen ­anderen Weg einzuschlagen. „Der Vinschger“ hat mit den ­Lehrerinnen Dominique Wallnöfer und Verda Adam darüber gesprochen, sowie mit Christian Laner, der im ­Pädagogischen Institut für ­Schulen mit reformpädagogischer Orien­tierung zuständig ist. Von Daniela di Pilla Stocker (dany) Zu Beginn waren die drei Gesprächspartner etwas zögernd. Es gebe so viel zu berichten, womit solle man anfangen. Dann sagte Dominique Wallnöfer, die Koordinatorin der reformpädagogischen ­Orientierung, eine Euphorie sei aufgekommen, nach der Fortbildung im Juni 2006. Es war der letzte Schultag und es war klar: „Wir wollen ­einen neuen Weg gehen.“ Im Sommer fand die Grobplanung statt und im Herbst 2007 ging es dann gleich los. Einige Lehrer wollten schrittweise vorgehen, andere hingegen wollten sofort mit dem neuen Projekt beginnen. Das Kollegium beschloss dann jedoch im Herbst, mit dem Unterricht nach reformpädagogischer Ausrichtung voll durchzustarten. „Die Eltern wurden damit überfahren“, gibt Wallnöfer zu. Einen neuen Weg einzu­schlagen, die Schule quasi „auf den Kopf“ zu stellen, sei kein leichtes Unterfangen gewesen, sagen Wallnöfer und Adam. Im ersten Jahr haben sie viel Widerstand gespürt, besonders von Seiten der Eltern. Im vergangenen Schuljahr gab es nur mehr eine sehr negative Rückmeldung. Was heißt dies nun, nach reformpädagogischer Orien­tierung zu unterrichten? Die Klassenverbände an der Grundschule sind aufgelöst, die Schule arbeitet in altersgemischten Gruppen - den so genannten „Stammgruppen“. Diese Erfahrung der Altersheterogenität erleichtert die Entwicklung von gegenseitiger Achtung, Rücksichtsnahme, und Toleranz. In diesem Schuljahr gibt es demnach die Unterstufe mit den Klassen eins bis drei der Züge A, B und C und die Oberstufe mit den Klassen vier und fünf der Züge A und B. Es gibt so jeweils zehn Stammgruppen mit maximal 18 Kindern. Die Klassenräume als solche sind den Fachräumen für Mathematik, Deutsch und GGN (Geschichte, Geographie und Naturwissenschaften) gewichen. Die Lernumgebungen in den Fachräumen werden so gestaltet, dass sie den Schülern eigenständiges Arbeiten ermöglichen. Die Kinder orien­tieren sich an ihren individuellen Wochenplänen, in welchen die Pflichtaufgaben und die frei gewählten Aufgaben eingetragen und von den Lehrpersonen kontrolliert werden. Diese offene Unterrichtsform ermöglicht es den Kindern, zwischen den Fachräumen zu wechseln. Hier hakte ­Christian Laner ein: „Damit bewegen sich die Kinder und das ist gut so. Es gibt in Südtirol ein paar Schulen, die ansatzweise oder ganz nach reformpädagogischer Orientierung ausgerichtet sind, aber keine in der Größen­ordnung wie Prad. Es ist festgestellt worden, dass in diesen Schulen die Aggression der Schüler sehr stark zurückgegangen sei. Besonders deshalb, weil sich die Kinder während des Unterrichts bewegen. Dies entspricht dem natürlichen Bewegungsdrang eines Grundschülers.“ 163 Kinder besuchen insgesamt die Grundschule Prad. Das neue Unterrichtssystem ist ein Vorteil für begabte ­Schüler und Schüler mit Lern­schwächen. „Jeder kann nach seinem eigenen Lernrhythmus arbeiten“, betonen Adam und Wallnöfer. Klarerweise gibt es Rahmenrichtlinien, Vorgaben und Schwerpunkte, die eingehalten werden müssen. Ein gewisses Lernpensum muss jeder Schüler erreichen, und die Schüler erhalten Noten. Wie das Pensum erreicht wird, ist individuell. Auf die Frage des „Vinschgers“, ob es auch für die Lehrerinnen eine Umstellung gewesen sei, lachen Wallnöfer und Adam: „Ja, und wie. Aber man verändert sich nicht nur als Lehrer, sondern auch als Person. Der demokratische Gedanke steht im Vordergrund.“, teilt Wallnöfer mit. „Wir bleiben nicht stehen, wir entwickeln uns auch weiter“, ergänzt Adam. Auf die Frage nach dem Lärmpegel in der ­Schule, antwortet Laner: „Es handelt sich um ein dynamisches Lernfeld.“ Die Wahrnehmung der Lehrer sei oft eine andere im Vergleich der Wahrnehmung eines Außenstehenden. Er selbst empfindet die Arbeitsweise in der Prader Grundschule als angenehm. Im Zentrum befinde sich das Kind. Das bedeute, dass auch das Arbeitsmaterial für die Kinder „greifbar“ sein sollte und nicht in einem Schrank verstaut bleibt. Im Allgemeinen lernen die Kinder selbständig zu arbeiten, einander zu helfen und stärken ihr Selbstbewusstsein. Besonders ab diesem Schuljahr wird auch die Zusammenarbeit mit der Mittelschule Prad verstärkt gesucht, betont Adam. Weitere Auskünfte im Blog der Grundschule Prad im Internet. Verena Rinner aus Latsch ist die neue Direktorin des Schulsprengels Prad. Sie ist seit 1. September im Dienst: „Es ist meine erste Stelle, die ich als Direktorin angetreten habe und freue mich auf die Herausforderung“. Sie erzählt dem „Vinschger“, worauf es ihr in der Schule ankomme. Dies habe sie auch in der Eröffnungskonferenz dem Lehrer­kollegium mitgeteilt. Ihr ­Motto heiße: „Stark sein…starke Kinder“. Stark sein im Sinne von „Ich bin stark, ich kann mit Veränderungen umgehen und deshalb habe ich auch Kraft und Stärke für andere; stark sein im Sinne von Sicherheit, stark sein im Sinne von starken Leistungen, stark sein im Sinne von viel wert sein, sich wertvoll fühlen, mit Anforderungen umgehen können.“ Eine Schule der Zukunft in Schweden Der ehemalige Direktor des Schulsprengels Prad, Reinhard Zangerle, hatte den Abend des 4. Septembers im Nationalparkhaus „aquaprad“ organisiert, an dem der Lehrer Hans ­Ahlenius aus Schweden über „Eine Schule der Zukunft – Visionen einer neuen Lernkultur“ vor etwa 45 Anwesenden in gebrochenem Deutsch sprach. Mitunter floss Englisch ein, wobei Zangerle gleich ins Deutsche übersetzte. Zangerle berichtete im Vorfeld, dass er vor fünf Jahren die Schule „Futurum“ in Balsta in Schweden besucht hatte. „Mir kam vor, ich bin in einem Jugendzentrum, ich hatte nicht den Eindruck, dass ich in einer Schule war“, erzählte Zangerle. Dies soll aufzeigen, dass Lernen, entspannte Atmosphäre und Wohlfühlen einander nicht ausschließen. Hans Ahlenius stellt sich vor: Er war Lehrer für Mathematik und Naturwissenschaft, 36 ­Jahre lang. „Ich bin sehr alt“, sagte er schmunzelnd. Nun stelle er das Projekt „Futurum“ vieler­orts vor. Das „Futurum“ sei eine individualisierende Schule für alle Kinder geworden. Er streift die Schulgeschichte in Schweden bis zum Umbau der ehemaligen Schule in Balsta. Die alte Schule gab es seit 1976, der Umbau erfolgte 1999 und kostete sechs Millionen Euro. Es wurde überlegt, den Umbau so zu gestalten, dass auch eine neue Lernkultur ihren Einzug finden konnte. Seit zehn Jahren gibt es nun diese zukunftsweisende Schule: „Es war wunderbar, aber schwer!“, sagt ­Ahlenius im Nachhinein. 8.500 Gäste aus 28 Ländern hätten die Schule bisher besucht. Auf 12.000 Quadratmetern bewegen sich 1.006 Schüler und 115 Lehrer. Auf jeden Schüler kommen zwölf Quadratmeter zu. Es handelt sich dabei um eine Ganztagesschule mit eigener Ausspeisung. Inzwischen würden 39 Arten von Spezialkost in Balsta angeboten für die Bedürfnisse aller. Wie kann eine effektivere und höhere Qualität im „Futurum“ erreicht werden? Folgendes zählt Ahlenius auf: neue Pädagogik, neue Or­ganisation, neue Lehrerrolle, neue Leitung, neue Arbeitsatmosphäre und neue Media. Die Schüler sollen selbstsicher werden; Flexibilität und Freiheit seien oberste Gebote. Die Eigenverantwortung und Mitbestimmung des Schülers seien wichtig. In den zehn Jahren sei eine positive Entwicklung beobachtet worden, besonders auch die Entwicklung der sozialen Kompetenz der Schüler. In Schweden besuchen die Kinder zehn Jahre die Grundschule, dann drei Jahre Gymnasium und dann die Universität, erklärt Ahlenius. „Die Individuen sind verschieden in ihrer Entwicklung; die Schüler sollen ihr Ziel er­reichen“, ergänzt er. Zudem seien Netzwerke bedeutend für die Schule. Das „Futurum“ ist von 6 Uhr bis 18 Uhr geöffnet und kostet 80 Euro pro Monat pro Schüler mit Verpflegung. Die Lehrer arbeiten 35 Stunden in der Woche: 18 Stunden Unterricht, 16 Stunden Planung und eine Stunde ist für Entwicklungs­gespräche mit Schülern und/oder Eltern vorgesehen. Zudem ist der Lehrer auch ein Mentor, das heißt, er ist der Ansprechpartner für 12 bis 15 Schüler. „Das sind wie unsere eigenen Kinder“, sagt ­Ahlenius liebevoll. In der Diskussion wollten Lehrer und Eltern noch mehr über die neue Lernkultur an der schwedischen Schule er­fahren.
Daniela di Pilla
Daniela di Pilla
Vinschger Sonderausgabe

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