„Ich bin froh, dass ich mir helfen ließ“
Publiziert in 34 / 2012 - Erschienen am 26. September 2012
Am 1. Oktober wird der „Europäische Tag der Depression“ begangen. "Der Vinschger" bringt dazu den Erfahrungsbericht einer Betroffenen sowie Infos zu Hilfe und Selbsthilfe.
Vinschgau - Die Depression ist laut Weltgesundheitsorganisation die Volkskrankheit, die der Menschheit am meisten gesunde Lebensjahre raubt. Ein Drittel aller depressiv Erkrankten sucht keine Hilfe. Viele depressive Patienten werden von Ärzten nicht als solche erkannt. „40 bis 70 Prozent aller Selbsttötungen sind laut internationalen Schätzungen auf die Erkrankung Depression zurückzuführen,“ sagt Primar Roger Pycha, Leiter des Psychiatrischen Dienstes Bruneck sowie Koordinator der „Europäischen Allianz gegen Depression in Südtirol“ und Verantwortlicher der „European depression Association“. Handlungsbedarf sei angesichts dieser Fakten mehr als gegeben: Aufklärung der Bevölkerung, Schulung der Fachleute, Stärkung der Selbsthilfe. „Denn Depression ist eine häufige, ernst zu nehmende Erkrankung, die andererseits sehr gut behandelt werden kann. Die Säulen der Behandlung stellen Psychotherapie, antidepressive Medikamente und Teilnahme an Selbsthilfegruppen dar,“ so Pycha.
„Nur du allein kannst es schaffen, aber du schaffst es nicht allein“
In diesem Satz sieht Ingeborg Forcher eine sehr wertvolle Botschaft für Menschen, die an Depressionen leiden. Forcher ist seit 1998 in der Selbsthilfe tätig. Sie ist Mitglied der landesweiten Interessensvertretung „Lichtung“, Leiterin einer Selbsthilfegruppe in Meran und Gesprächspartnerin in den Einzelgesprächen zu den Themen Angst und Depressionen in Schlanders. Um zu verstehen, was im Inneren betroffener Menschen vorgeht, sind laut Forcher persönliche Erfahrungsberichte besonders aufschlussreich.
Eine betroffene Frau erzählt:
„Das muss ich doch alleine schaffen. Bis vor kurzem ist das Leben ganz normal verlaufen. Job, Partnerschaft, Freunde - alles okay. Und dann auf einmal bin ich aus dem Gleichgewicht geraten: Meine Gedanken und meine Gefühle spielen verrückt. Eine unerträgliche Schwere und Traurigkeit machen sich in meiner Seele breit. Wie war das eigentlich? Wie hat das angefangen? Wenn ich es mir recht überlege, war es ein schleichender Prozess. Zuerst achtete ich nicht so sehr darauf. Ich war immer öfter antriebslos, mochte nicht mehr unter Menschen gehen und saß am liebsten zu Hause herum. Alles Dinge, die für mich nicht typisch sind. Seit einiger Zeit ist es schon soweit, dass ich mich nicht mehr dazu aufraffen kann, mein Frühstücksgeschirr abzuräumen. Ich kann nicht mehr lachen, nicht mehr weinen, ich empfinde nichts wirklich und meine Wahrnehmung ist ausschließlich auf das Negative gerichtet. Ja, in besonders dunklen Momenten wünsche ich mir, einfach wegzudämmern, weil das Leben keinen Spaß mehr macht. Für meine Umgebung ist mein Zustand nicht leicht zu verstehen, obwohl sich alle sehr bemühen. ‚Ruf mich doch an, wenn es Dir schlecht geht!‘ Aber wozu? Was soll ich denn sagen? Es ist ja eigentlich nichts vorgefallen. Außerdem würde es für mich einen ungeheuren Aufwand bedeuten, aktiv jemanden anzurufen. Ich kann einfach die Energie dazu nicht aufbringen. Was soll ich tun? Zunächst versuche ich mich zusammenzureißen. Doch mit der Zeit geht es mir immer schlechter und schlechter. Neuerdings sind massive Existenzängste und panikartige Zustände hinzugekommen. Endlich lasse ich mich von einem Familienangehörigen dazu bewegen, einen Psychiater aufzusuchen. Dieser diagnostiziert nach einem ausführlichen Gespräch eine Depression. Ich empfinde die Diagnose geradezu als kleine Erleichterung: jetzt weiß ich wenigstens, was ich habe. Der Arzt hat mir eine medikamentöse Therapie empfohlen und eine Gesprächstherapie bei einem Psychologen angeraten. Er gab auch den Tipp, sich einer Selbsthilfegruppe anzuschließen. Nach einiger Zeit ärztlicher Behandlung, nach einigen Wochen guter psychologischer Gespräche und nach einigen Treffen in der Selbsthilfegruppe sehe ich wieder ‚Licht am Horizont‘. Ich habe Vertrauen, dass ich es tatsächlich schaffen werde. Es erwacht wieder mein Lebensmut. Ich bin froh, dass ich die Stärke hatte, mir helfen zu lassen.“
Kostenlos Einzelgespräche
Dieser Erfahrungsbericht belegt, wie hilfreich es sein kann, sich an Selbsthilfegruppen zu wenden. Kostenlose Einzelgespräche finden übrigens jeden Donnerstag von 16 bis 19 Uhr im Haus der Begegnung in Schlanders (Göflanerstraße) statt. Anmeldung bei Ingeborg Forcher: 0473 624558 oder 339 1637100. In den Selbsthilfegruppen wird jeder Einzelne durch Verhaltensprävention, also durch Aufklärung und Information aus gelebter Erfahrung über Depression und Angsterkrankungen und durch Stärkung der Persönlichkeit zur Vermeidung von Risiken bzw. zu gesundheitsfördernden Verhaltensweisen motiviert. Die Gruppenleiter sind Menschen, die selbst von einer Depression oder Angsterkrankung genesen sind. „Depression ist heilbar, aber warte nicht, dass sie ‚von allein‘ vergeht. Du brauchst unbedingt Hilfe“, so Ingeborg Forcher. Selbsthilfe bedeute nicht, es unbedingt alleine schaffen zu müssen, „sondern sich die ‚richtigen‘ Helfer zu suchen.“ Sie selbst sieht sich als Brückenbauerin zwischen den Betroffenen und den Professionellen. Eine ihrer zentralen Botschaften: „Der Mensch, der an einer Depression erkrankt, kann gesund werden. Voraussetzung ist allerdings, dass er für die Zeit der Krise geeignete Hilfen in Anspruch nimmt.“
Infostand im Krankenhaus
Am 1. Oktober wird im Krankenhaus Schlanders ein Informationsstand eingerichtet. Den ganzen Tag über liegt die neu erarbeitete Broschüre „Depression - was tun?“ zum Mitnehmen auf. Eine Gruppe um den rührigen Psychologen Harald Tappeiner organisiert am 1. Oktober am KH Schlanders die Vorführung des Videokunstwerkes „Blues“ der französischen Künstlerin Sylvie Riant.
Sepp Laner
Josef Laner