Seine „Kanzel“ ist das Internet
Franz Wieser mit seiner Schwester Resi und deren Tochter Gabi vor dem Vintschger Museum in Schluderns.

„Ich muss nur vor Gott Rechenschaft ablegen, nicht vor dem Papst oder einem Bischof“

Publiziert in 18 / 2008 - Erschienen am 15. Mai 2008
Stilfs/Peru – Er wurde 1959 zum Priester geweiht, ging 1966 als Missionär nach Peru, wurde 3 Jahre danach auf ­seinen Antrag hin vom Priester­gelöbnis dispensiert, heiratete und setzte seine Arbeit als unabhängiger Laienmissionär in der peruanischen Hauptstadt Lima fort. Den Zölibat als Gesetz wertet Franz Wieser aus Stilfs als Unding. Kritik übt er an der Institution Kirche. Sie befinde sich als solche spätestens seit der Zeit Konstantins des Großen auf dem falschen Weg. „Priester dürfen sich nicht als Väter, Herren und Lehrer unseres Glaubens ausgeben, sondern als Diener. Auch der Papst und die Bischofe sollten Diener sein. Sie sind es aber nicht, denn sie wohnen in Palästen“, sagt Franz Wieser in einem Gespräch mit dem „Vinschger“. Seit seiner Pensionierung als Lehrer ist das Internet zu seiner „Kanzel“ geworden. Mit sich selbst, seinen Überzeugungen und seinem Gewissen steht er im Reinen. Das ver­raten schon die zufriedenen Augen des bald 77-Jährigen. von Sepp Laner Den derzeitigen Aufenthalt in Südtirol verdankt Franz Wieser vor allem der „Organisation für Eine solidarische Welt“ (OEW) in Milland/Brixen. Er wertet es als Fingerzeig Gottes, „dass diese Organisation genau dort ihren Sitz hat, wo ich mich seinerzeit auf den Missionsberuf vorbereitet habe, nämlich im früheren Schülerheim Xaverianum in Milland.“ Auf Vermittlung der OEW sind in der Vergangenheit schon ­etliche junge Südtirolerinnen und Südtiroler nach Peru gereist, um sich dort sozial zu engagieren und den Ärmsten zu helfen. Franz Wieser hat ­ihnen nicht nur geholfen, in der ­chaotischen Großstadt sicher zu „landen“, sondern hat ihnen auch Übernachtungsmöglichkeiten in seinem Haus angeboten. Von den Südtirolern, die er in Peru kennen lernte und bei sich aufnahm, ist Franz Wieser begeistert: „Sie bringen genau das mit, was die Menschen in Peru brauchen: Nicht Worte, nicht einmal materielle Hilfe, sondern lebendige Beispiele inmitten ihres Alltags.“ Heimweh schon früh verlernt Das Heimweh hat Franz ­Wieser, der 1931 auf der Gehöftgruppe Faslar geboren wurde, schon früh verlernt. Die Zeiten vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg waren hart und karg. Sein Vater Michael war Maurer, hatte aber nicht immer eine Arbeit. Um sich ein paar neue Schuhe oder ein bisschen Geld zu verdienen, war Franz bereits mit 10 Jahren als Hütbub tätig. Jahrelang war er während des Sommers auf verschiedenen Almen im Einsatz oder verrichtete Feldarbeiten bei Bauern in Lichtenberg, Trafoi und Gomagoi. Sein Bruder Hubert war erst 8 Jahre alt, als er zum ersten Mal außer Haus arbeitete. „Das Heimweh habe ich früh verlernt“, erinnert sich Franz. Trotz der Kinderarbeit sind ihm aus dieser Zeit nur gute Eindrücke geblieben, „das mag auch daher kommen, dass ich mir seit jeher nur die guten Sachen merke.“ Den Traum, Missionär zu werden, hatte er schon als Kind: „Den Gottesdienst fand ich eher langweilig, aber das Predigen hat mich immer stark fasziniert. Ich wollte unbedingt auf die Kanzel. Wie man mir später erzählte, stieg ich schon als kleiner Bub auf ­einen Stuhl und habe vor meinem Großvater ‚gepredigt’. Was ich sagte, verstand natürlich weder ich selbst noch der Großvater.“ Der Großvater hieß übrigens David, „daher sind wir in Stilfs seit jeher die ‚Tafitteler’“. Laut vor sich hingepredigt hat Franz auch oft, als er als Student vom Gottesdienst heimkehrte. „Die Mutter hat uns frei erzogen“ Froh ist Franz, „dass uns ­unsere Mutter immer frei erzogen hat. Sie sagte uns oft: Wegen der Leute tut nichts und lasst nichts. Ihr habt euer Gewissen.“ Um seinen Traum wahr zu ­machen, ging Franz zunächst nach Brixen/Milland (Comboni-Missionäre). Nach dem Studium im Vinzentinum begann er mit dem Noviziat in Bamberg, wo er Philosophie, Geschichte und Fundamentaltheologie studierte: „Bamberg war für mich wie ein Schritt in die Freiheit. Ich merkte, dass ich selbst denken kann und nicht mehr bereit war, alles Gehörte nach der Art der Papageien nachzureden.“ Nach dem Theo­logiestudium im Priesterseminar in Brixen wurde Franz Wieser 1959 zum Priester geweiht. Bei der Primizfeier in Stilfs war alles auf den Beinen: „Die ­Stilfser spendierten mir einen VW Käfer, der später nach Peru verschifft wurde. Dort gab es für dieses Auto allerdings keine Ersatzteile.“ Zu Beginn der 60er Jahre wirkte Franz Wieser als Präfekt und Religionslehrer in Bamberg. 1966 wurde sein Antrag, in die Mission zu gehen, endlich erfüllt. Er entschloss sich für Peru. Drei Jahre war er als Comboni-Missionär in der „Sierra Peruana“ tätig, einem Andental, das rund 200 Kilometer von Lima entfernt ist. Er brachte sich als Missionär stark ein, und zwar nicht nur als Religionslehrer, sondern auch als Prediger im Radio. Franz Wieser: „Das war eine spannende Zeit. Wir verfolgten die Auswirkungen des Zweiten Vatikanischen Konzils, das von 1962 bis 1965 stattgefunden hatte, genauestens mit. Der heutige Papst Benedikt XVI. (Joseph Ratzinger) erschien uns damals als sehr fortschrittlich.“ „Das Wort kam bei den Leuten nicht an“ Das Hauptproblem bei der Arbeit mit den Menschen vor Ort war, „dass das Wort bei den Leuten nicht ankam, man konnte mit Worten nichts ändern.“ Es seien zwar Frauen und auch Männer – diese oft in betrunkenem Zustand – zur Messe gekommen, aber gebracht hätten die Gottesdienste wenig: „Daher zog ich es vor, zu den Leuten hinaus zu gehen, mit ihnen Schlange zu stehen und ihren Alltag mitzuerleben. Das Wort musste Fleisch werden, musste Leben werden.“ Als Franz Wieser dem Bischof von Lima 1969 schrieb, dass er austreten und heiraten wolle, sei dieser „fast auf den Hintern“ gefallen. Der Bischof habe ihn gebeten, zunächst Urlaub zu nehmen. Franz aber blieb bei seinem Vorhaben und bekam dann auch von Papst Paul VI. die Dispens, also die „Ent­lassung“ in den Laienstand. „So eine Dispens ist wie ein Sprung ins Leere. Du verlierst die Arbeit, hast keinen Beruf mehr und keinen Rückhalt.“ „Dispens ist wie ein Sprung ins Leer“ Nach der Heirat mit Zulema Rei musste Franz Wieser aus eigener Kraft neu anfangen. Er fand Arbeit als Lehrer und Bibliothekar an der Deutschen Schule in Lima. Seine Freizeit und überschüssige Energie steckte er weiterhin in seine Berufung als Missionär, der er auch nach seiner „Laisierung“ nicht absagen konnte. Seine „Reitpferde“ dafür waren und sind zum Teil immer noch Religionsunterricht, Bibelstunden und vor allem öffentliche Kommunikationsmittel. „Das Absagen vom Zölibat hat meiner Missionsarbeit keinen Abbruch getan,“ sagt Franz Wieser, „im Gegenteil, ich konnte sie als Familienvater schon 37 Jahre in voller Freiheit ausführen und dazu noch in Wort und Beispiel und mitten in der Welt. Mehr noch: Ich werde in Peru 3 Kinder und mehrere Enkelkinder hinterlassen, von denen ich hoffen kann, dass sie die Werte ihrer Eltern hochhalten.“ Die schönsten Messen für Franz Wieser sind jene, „bei denen man zusammensitzt, miteinander spricht und teilt, was man hat.“ Seine Gründe für den Austritt hat der ­Stilfser ­seinerzeit auch in einem Brief an Papst Paul VI. niedergeschrieben. Die peruanische Zeitung „Correo“ hat diesen Brief veröffentlichet. „Ein Doppelleben wollte ich nicht führen“, sagt Franz Wieser. Er ist überzeugt, „dass - nach dem Worte Jesu - dem alles dazugegeben wird, der über allem das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit sucht.“ Er ist dankbar, in einer christlichen Umbebung aufgewachsen zu sein und eine Mutter ge­habt zu haben, „die den christlichen Glauben in aller Echtheit lebte.“ So, wie man seine leibliche Mutter nicht wählen kann, „so kann man von Kindheit an auch nicht seine Mutter Kirche wählen. Diese kann eine gute, eine weniger gute oder schlechte sein. Ich wünschte, unsere Mutter Kirche, die katholische, hätte die Tugend meiner verstorbenen leiblichen Mutter, die ihre Kinder in die Freiheit entließe, ohne sie aus­zugrenzen, selbst wenn sie Wege gingen, die sie nicht versteht.“ Streiter um der Sache Jesu Willen Franz Wieser versteht sich als Streiter um der Sache Jesu willen, als Streiter für eine ­Kirche, die sich aus seinem Geiste nährt, für Hirten in ihr, die ihrer „Herde vorausgehen“ und sich – gemäß dem Wunsche Jesu - nicht als Väter, Herren und Lehrer unseres Glaubens ausgeben, sondern als Diener unsrer Freude, wie Paulus sich verstand. Franz Wieser streitet für eine Kirche, „in der sich niemand anmaßt, dem Geiste Gottes Bedingungen zu dik­tieren, wie und in wem er seine Charismen verteilt, für deren Einsatz jeder und jede nur Gott Rechenschaft schuldet; für eine brüderliche Kirche, in der es kein unten und oben gibt, keine Oberen und Untergebenen.“ Eine wirkliche Erneuerung der Kirche lässt laut Franz ­Wieser noch immer auf sich warten. Er für seinen Teil kämpft schon seit Jahrzehnten für eine Erneuerung. Er ist Mitglied der „Federación latinoamericana por la renovación del ministerio sacerdotal“ sowie maßgeblicher Gründervater des „Movimiento Nacional ­Diálogo y Vida“ in Peru. Das ist eine Bewegung, die schon von Beginn an nicht eine klerikale, sondern eine Gottesvolk­bewegung als Ziel hatte. Obwohl die Bewegung auch der „Internatio­nalen Föderation der Verheirateten Katholischen Priester“ angeschlossen ist, versteht sich „Diálogo y Vida“ als eine Bewegung von der Basis her und schließt Laien mit ein. Gekämpft wird für eine Kirche ohne das Zweiklassensystem Klerus-Laien. Nein zu einer Hierarchie von Gewalten, ja zu einer Symphonie von Charismen. Auch mit Kirchen-Erneuerungsgruppen in Europa arbeitet Franz Wieser zusammen, etwa mit der Plattform „Wir sind Kirche“ in Österreich. Inklusive seines derzeitigen Aufenthaltes im Vinschgau und in Südtirol ist Franz Wieser seit 1966 insgesamt nur 6 Mal nach Europa gereist, wobei er die Aufenthalte fast immer mit der Teilnahme an Tagungen und Kongressen in Berlin, München oder Madrid verband. Das erste Mal sah er seine Heimat 15 Jahre nach seiner Abreise nach Peru wieder. Sei Austritt lag damals schon 12 Jahre zurück, „doch für die Stilfser bin ich immer der Missionär geblieben“, erinnert er sich, „anfangs gab es zwar einige Skepsis, doch nach 3 Tagen hatte ich sie wieder alle in der ‚Tasche’“. Nicht vergessen hat er auch die Worte der Mutter zu seinem Austritt: „Franz, ich vertraue dir, du wirst schon wissen, was du tust.“ Bereut hat er den Austritt nie. Für eine Kirche auf urchristlicher Basis Seit einigen Jahren ist das Internet seine wichtigste „Kanzel“. Er hat eine Internet-Gemeinschaft aufgebaut, die sich für eine Erneuerung der kirchlichen Dienste einsetzt, „für eine Kirche auf urchristlicher Basis, die von unten her wächst.“ Es sei schade, dass die Kirche seit der Zeit Konstantins des Großen (römischer Kaiser von 306 bis 337), mit dem der Siegeszug des Christentums begann, sich immer mehr der weltlichen Macht verschrieben habe, „und dass christliche Führer den Glauben mit Kreuz und Schwert vermittelt haben.“ An den Macht­gelüsten des Vatikans habe sich bis heute kaum etwas geändert. Vom derzeitigen Papst erwartet sich Franz Wieser keine Wende. Die Befreiungstheologie sei erstickt worden. Der frühere Papst Johannes Paul II. sei ein „Schauspieler“ gewesen. Was viele Peruaner vom Vatikan halten, sage schon das Wort „mano negra“, wie es im Volksmund gebraucht wird. Ohne Erneuerung laufe die Kirche Gefahr, auch hier in Südtirol immer mehr an Boden zu verlieren: „Am Ende werden nur mehr der Papst, die Kardinäle, die Bischöfe und die Priester in die Kirche gehen, die Menschen aber werden ihr immer mehr fern bleiben.“ „Bis zu den Armen tröpfelt nichts durch“ Eines der gesellschaftlichen Hauptprobleme der Stadt Lima, die mit rund 9 Millionen Menschen mehr Einwohner zählt als ganz Österreich, sowie des ganzen Staates Peru sieht Franz Wieser in der allseits verbreiteten Korruption, der damit verbundenen Kriminalität und im krassen Unterschied zwischen arm und reich: „Es tröpfelt und rinnt einfach nichts durch bis zu den Armen.“ Peru habe zwar ein Riesenpotential, allein schon in den Bereichen Tourismus, Landwirtschaft, Fischfang und Edelholz, aber der Spruch „Der Peruaner ist wie ein Bettler, der auf einer goldenen Bank sitzt“ treffe leider bis zum heutigen Tag zu.
Josef Laner
Josef Laner
Vinschger Sonderausgabe

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