Kameraden im Krieg, Kameraden im Frieden
Publiziert in 9 / 2004 - Erschienen am 6. Mai 2004
[F] Wenn sie sich treffen, erzählen sie vom Krieg, von ihren Einsätzen in Russland, in Polen,in Ungarn, von Gefechten, Gefangenschaft und Verwundung vom “Führer” und dem “Dritten Reich”. Ihr Alter ist von 75 aufwärts. Die Rede ist von den Frontkämpfern. Die traumatischen Erlebnisse der Jahre 1939 und 1945 haben sie geprägt.
von Magdalena Dietl Sapelza [/F]
Sie waren jung und kamen mit der grausamen Wirklichkeit des Krieges Tag für Tag in Berührung. Wie sinnlos der Krieg war, begriffen sie erst viel später. Täglich mit Erschöpfung, Verwundung, Hunger, Gefangenschaft und dem Tod vieler Kameraden konfrontiert, wurde die Angst um das eigene Leben zum ständigen Begleiter. Die Schatten dieser Zeit verfolgen sie bis heute. Jährlich lichten sich ihre Reihen. Mit ihnen gehen nun langsam die Zeitzeugen des letzten großen Krieges zwischen Europas Völkern.
[F] Tragische Helden [/F]
Der 2.Weltkrieg forderte 55 Millionen Tote. Von den 26.000 Südtiroler Soldaten kehrten 8000 nicht mehr in die Heimat zurück. Vor allem die heute neuen EU-Staaten im Osten waren vor 60 Jahren Kriegsschauplätze. Unzählige erbitterte Gefechte und blutige Schlachten fanden dort statt. Soldaten fast aller Staaten Europas waren in die Auseinandersetzungen verwickelt. Die Soldaten der Deutschen Wehrmacht wurden zu tragischen Helden, als der Krieg verloren ging. Und mit ihnen viele Südtiroler.
Die meisten von ihnen hatten als Optanten für den “Führer” gekämpft und insgeheim gehofft, er würde ihr Land der faschistischen Gewaltherrschaft entreißen und ins „Reich“ heimholen. Ausgezehrt, erschöpft, zu Krüppeln geschossen kehrten sie heim, viele erst nach langer Gefangenschaft. Das Land gehörte immer noch zu Italien, das zu den Siegern zählte. Viele waren staatenlos, ein Umstand, den sie erst nach und nach klären konnten.
[F] Zu Bettlern degradiert [/F]
Die Heimkehrer mussten sich an den Frieden erst wieder gewöhnen und ihr Leben neu ordnen. Viele fingen ganz von vorne an, waren meist ohne Ausbildung, hatten keine Arbeitsmöglichkeiten und schwebten in rechtlosem Raum. Die Südtiroler Kriegsopfer waren den Italienischen in keiner Weise gleichgestellt. Die körperlich Behinderten traf es am härtesten. Obwohl arbeitsunfähig, hatten sie keinerlei Anspruch auf Invalidenrente. Sechs von hundert Südtiroler waren davon betroffen. Kriegswitwen und Waisen befanden sich in Notsituationen, da auch für sie keinerlei staatliche Zuwendung vorgesehen war. Eine Vielzahl von Kriegsversehrten war zu Bettlern degradiert und auf die Hilfe und auf Almosen der Mitmenschen angewiesen. Ein Kriegsblinder aus dem Schnalstal zog beispielsweise jahrelang von Haus zu Haus, um überleben zu können.
[F] Kampf um Rechte [/F]
Bereits 1951 hatte sich eine Gruppe von Meraner Frontkämpfern und einige aus dem übrigen Land aufgrund ihrer prekären Lage zu einem Komitee zusammengeschlossen. Sie holten Erkundungen über die Behandlung der Kriegsopfer in den Randgebieten Deutschlands ein, in Elsaß-Lothringen, in Schleswig Holstein, in der DDR. Die Gruppe erhielt Unterstützung vom damaligen Landesvorsitzenden des Verbandes Deutscher Kriegsopferversehrter VdK in Bayern, Karl Weishäupl, einem schillernden Vorkämpfer für die Rechte der Frontkämpfer. Er referierte in Meran über die Gesetze, die es in Europa bereits gab, und zeichnete den Weg vor, den die Südtiroler daraufhin einschlugen. Diesbezügliche bereits übersetzte Unterlagen wurden später den Südtiroler Parlamentsabgeordneten Josef Raffeiner übergeben. Bis Rom bereit war, die Sache ernstlich in die Hand zu nehmen, verging noch viel Zeit.
[F] Stummer Protest [/F]
Fast zehn Jahre nach Kriegsende gab es immer noch keine Gerechtigkeit für die Südtiroler Kriegsopfer. Im übrigen Europa war die Rentenversorgung der Kriegsopfer geregelt. Italien hinkte nach. Berücksichtigung fanden bislang nur die Kriegsopfer des italienischen Heeres und der Widerstandsverbände.
Den Südtiroler Betroffenen war das Existenzminimum noch immer verwehrt. Am 20. Juni 1954 zogen 5.000 Invaliden durch Bozen. Den schweigenden Protestmarsch der Blinden, Amputierten, Gehbehinderten auf Rollwagen und Schiebkarren zum Regierungskommissariat führte der beinamputierte Silvius Magnago an. Der Anblick war eine erschütternde Anklage. Für sich sprachen die Sätze auf den Spruchbändern wie "Menschlichkeit und Gerechtigkeit", "Auch wir sind Europäer". Eine von Anton Achmüller verfasste und vorgelesene Bittschrift übergab Magnagao dem Vizepräfekten von Bozen. Die ernüchternde Reaktion: Man habe bereits alles in der Macht stehende getan.
[F] Gründung des SKV [/F]
Am 29. Jänner 1955 kam es in Meran zur Gründung des Südtiroler Kriegsopferverbandes SKV. Als Unterlagen für die Statuten dienten die Richtlinien des VdK, die den Verhältnissen Südtirols angepasst wurden. Fast gleichzeitig mit der Gründung des SKV kam es in Rom zur Verabschiedung eines Gesetzes, das die Zahlungen von Renten vorsah. Doch italienische und deutsche Soldaten wurden unterschiedlich behandelt. Während erstere eine wirkliche Kriegsrente erhielten, mussten sich die Mitglieder des SKV mit so genannten Zuwendungen begnügen, die um einiges niedriger ausfielen. Der Kampf ging weiter. Um mit starker Stimme gegen diese Ungleichbehandlung auftreten zu können, wurden 1957 auch die einstigen Frontkämpfer des 1. Weltkrieges aufgenommen.
Es folgte die Umbenennung in Südtiroler Kriegsopfer und Frontkämpferverband SKFV. Durch den neuen Mitgliederzuzug gestärkt, konnte im April 1958 eine Gleichstellung erreicht werden.
[F] Papierkrieg [/F]
Damit das Gleichstellungsgesetz auch rechtskräftig werden konnte, musste jeder Betroffene innerhalb eines Jahres einen entsprechenden Antrag stellen. Landauf landab wurden daraufhin nach aufwändiger Aufklärungsarbeit seitens des Landesobmannes Achmülle schreibkundige Kräfte mobilisiert. Sämtliche Gesuche konnten termingerecht eingereicht werden. Schon bald stellte sich heraus, dass das Gesetz seine Tücken hatte. Die Anerkennung als Frontkämpfer im Allgemeinen war erreicht worden, nicht aber die effektiv geleistete Dienstzeit, die Dauer der Gefangenschaft und einiges mehr. Deren Anerkennung erfolgte erst 1965, also zwanzig Jahre nach Kriegsende. Viele ehemaligen Kämpfer waren bereits verstorben. Deren Witwen hatten aber Schwierigkeiten, die Zuwendungen zu erhalten, weil die entsprechenden Gesetze zum Zeitpunkt des Todes ihres Mannes noch nicht in Kraft waren. Erst 1990 kamen auch sie zu ihrem Recht.
[F] Kameraden und Mahner [/F]
Neben der Klärung der rechtlichen Fragen war und ist dem SKFV die Stärkung des Zusammengehörigkeitsgefühles ein wichtiges Anliegen nach dem Grundsatz: Kameradschaft im Krieg, Kameradschaft im Frieden. Die einschneidenden Kriegserlebnisse in ihrer Jugend verbinden. Wenn sie in ihren Erinnerungen schwelgen, scheint es so, als hätte es für sie nur das Leben in den Kriegsjahren gegeben. Das setzt sie dem Unverständnis der Jüngeren aus, die nie Krieg am eigenen Leibe miterleben mussten. Die Alten im SKFV bleiben meist unter sich. Ihr Kreis wird immer kleiner. Als Mahner für den Frieden treten offiziell in Erscheinung, zum Beispiel bei Gefallenenehrungen auf den Soldatenfriedhöfen. Deren Pflege möchten sie schon bald den Schützen übergeben.
Die Europäische Union ist ein Friedensprojekt. Durch die Vereinigung und die Erweiterung wird den kriegerischen Auseinandersetzungen der Nährboden entzogen. So kann möglicherweise nachfolgenden Generationen das Trauma erspart bleiben, das die Frontkämpfer ein Leben lang begleitet hat.
[K] Die Landespräsidenten des SKFV
Anton Achmüller 1955 bis 1959
Franz Runge 1959 bis 1967
Joachim Dalsass 1967 bis 1976
Albert Galvan 1976 bis 1980
Anton Achmüller 1980 bis 1981
Sepp Pircher 1981 bis 1988
Hans Pichler 1988 bis heute
Die Vinschger Bezirksobmänner
Peter Schwalt Kortsch
Luis Alber Kortsch
Anton Niederfriniger Spondinig
Meinrad Dietl Taufers i. M. [/K]
Magdalena Dietl Sapelza